Herr Blix, vor einem Jahr hielten Demonstranten Plakate in die Luft. Darauf stand: "Blix, no bombs". Vermissen Sie es, ein Friedensheld zu sein?
Das Plakat habe ich geschenkt bekommen. Es hängt heute in meinem Büro. Ich freue mich darüber. Doch vor einem Jahr ging es nicht um Falken oder Tauben. Bei der UN ging es um geduldige und ungeduldige Falken. Krieg war die letzte Option.
Den Krieg konnten Sie nicht verhindern. Warum sind Sie gescheitert?
Bin ich wirklich gescheitert? Immerhin stimmte die Mehrheit des UN-Sicherheitsrates gegen einen Krieg. Und dann stelle ich mir manchmal vor, was passiert wäre, wenn die UN-Inspekteure sich ausschließlich auf die Informationen aus den USA und Großbritannien verlassen hätten. Wie wäre es heute um die Glaubwürdigkeit der Vereinten Nationen bestellt? So gesehen bin ich nicht gescheitert, ganz und gar nicht.
Doch auch Sie selbst glaubten bis kurz vor Kriegsbeginn, Saddam Hussein habe Massenvernichtungswaffen.
Daraus sind Waffen des Massen-Verschwindens geworden. Da lagen alle Geheimdienste ziemlich falsch.
Zur Person
Eine Zeitlang gehörte er zu den wichtigsten Menschen der Welt: Dr. Hans Blix, 75, war vor einem Jahr der oberste Waffeninspekteur der Vereinten Nationen. Wenn er vor dem Sicherheitsrat sprach, schalteten TV-Sender in aller Welt auf Live-Sendung. Denn vor zwölf Monaten rüsteten sich die USA mit lautem Propagandagetöse zum Angriff auf den Irak. Heute scheint klar: Saddams Horror-Waffen existierten schon seit vielen Jahren nicht mehr.
Hans Blix gibt jetzt in einem Buch spannende Einblicke in die entscheidenden Monate, die zum Krieg führten. Und er kommt zu dem Schluss: die Waffeninspekteure der UNMOVIC hätten wohl nur noch ein paar Monate länger gebraucht, um ihre Überprüfungen im Irak zu beenden. Doch in Washington interessierte sich niemand für die Fakten.
Während seiner Amtszeit hatte Hans Blix stern-Autorin Katja Gloger bereits zweimal in seinem winzigen Büro im UN-Hauptgebäude in New York empfangen. Jetzt traf er Katja Gloger und Auslandschef Hans-Hermann Klare zu einem Gespräch in Berlin.
Buchtipp:
Hans Blix: Mission Irak, erscheint am 11. März, 19,90 Euro
Auch der deutsche BND?
Ja. Der deutsche Geheimdienst ging davon aus, dass der Irak über mobile Biowaffenlabors auf LKWs verfüge. Und auch die deutsche Regierung war ja offenbar überzeugt, es gebe noch Massenvernichtungswaffen im Irak. Diesen Eindruck hatte ich nach einem langen Gespräch mit Außenminister Fischer. Nur Präsident Chirac blieb skeptisch. Die Geheimdienste würden einander vergiften, sagte er mir.
In den Monaten vor dem Krieg überprüften Ihre Inspekteure etwa 700 Standorte. Sie fanden Raketen, ein paar Kanister Senfgas, viel mehr nicht.
Richtig, wir fanden jedenfalls keine Arsenale.
Warum hat das die Amerikaner nicht überzeugt?
Sie wollten nicht zuhören. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Unsere Inspekteure hatten eine feste Sprachregelung. Wenn etwas fehlte...
...etwa Chemiewaffen oder Tausende Liter Anthraxbakterien...
...dann hieß das offiziell: "noch nachzuweisen." Doch Amerikaner und Briten lasen an diesen Stellen hartnäckig: "Ist vorhanden." So schufen sie Fakten, wo es gar keine Fakten gab. Meine Warnungen wurden ignoriert.
Das Weiße Haus war demnach nicht an Fakten interessiert?
Ich glaube, die Gründe für den Angriff auf den Irak liegen in dem Bedürfnis, zurückzuschlagen. Der 11. September 2001 hat die Amerikaner viel mehr erschüttert als die Menschen in Europa. Vielleicht war der Angriff auf den Irak doch mehr eine Strafaktion als ein Präventivkrieg.
Und dabei waren Sie und Ihre Inspekteure ein lästiges Hindernis für die USA?
Nein, das ich glaube nicht. Ohne den militärischen Druck der USA hätte es keine Inspektionen im Irak gegeben. Zugleich behaupteten Männer wie Vizepräsident Cheney, Verteidigungsminister Rumsfeld und sein Stellvertreter Wolfowitz...
...die Männer, die das Vertrauen des US-Präsidenten genießen...
...dass Inspektionen bestenfalls sinnlos seien. Cheney sagte uns bei einem Treffen im Weißen Haus Ende Oktober 2002, sechs Monate vor dem Beginn des Krieges, er werde nicht zögern, die Inspektionen zu diskreditieren. Das war ganz schön brutal, ich war ziemlich schockiert. Aber andererseits hatte Präsident Clinton 1998 bereits die Bomber Richtung Irak geschickt, als er die Entscheidung in letzter Minute zurücknahm.
Und wie haben Cheney und Bush Sie sonst behandelt, wenn Sie sich trafen?
Wir trafen die Herren nur einmal. Cheney benahm sich wie ein Firmenboss. Er redete die ganze Zeit. Der Präsident war sehr freundlich, machte einen jungenhaften Eindruck. Er rutschte auf seinem Stuhl hin und her. Er sagte, er fühle sich geehrt, uns zu sehen.
Was hatte er Ihnen zu sagen?
Es war kein besonders substantielles Gespräch. Er sei kein wilder Texaner, sagte er. Die USA würden den Sicherheitsrat über eine Lösung diskutieren lassen, aber nicht lange. Ich glaube, die Amerikaner wollten Inspektionen eine Chance geben. Im Gegensatz zu anderen Ländern lieferten sie zunächst allerdings nur wenige Geheimdienstinformationen, um uns zu helfen. Doch als wir im November 2002 die ersten Inspekteure nach Bagdad schickten, zeigten sie größtes Interesse. Sie hatten eine genaue Vorstellung davon, wie diese Inspektionen ablaufen sollten.
Als verlängerter Arm der CIA?
Nun ja, sie hatten konkrete Forderungen. Etwa, die Zahl der Inspekteure zu verdoppeln. Oder auch die unrealistische Idee, Wissenschaftler zu Befragungen ins Ausland zu schicken. Da waren sie unglaublich hinterher. Sie hatten eine Liste mit Namen. Bei keinem anderen Punkt haben sie so viel Druck gemacht.
Weshalb?
Wir sollten wohl als Schmuggler für mögliche Überläufer fungieren. Die USA haben sich immer stark auf Überläufer verlassen. Denn seit 1998 wussten sie so gut wie nichts mehr über den Irak.
Damals hatte Saddam Hussein die Waffeninspekteure aus dem Land geworfen.
Ja. Damals wurden alle Inspekteure noch auf einer US-Militärbasis befragt, als sie aus dem im Irak zurückkehrten. Wir haben uns unabhängiger von den USA gemacht. Und zum Glück haben wir nie einen Überläufer gesehen. Die Vereinten Nationen sind ja keine Agentur für Überläufer.
Link-Tipps
Die Inspektoren der UNMOVIC
Das Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik
Wo sind Saddams Waffen denn geblieben?
Ich glaube heute, die meisten ließ er tatsächlich nach Ende des ersten Golfkrieges 1991 zerstören. Später wurde die Infrastruktur zerstört, also etwa Produktionsanlagen, Chemikalien, Nährstoffe für Bakterien.
Allerdings erst nach ihrer Entdeckung durch Waffeninspekteure.
Ja. Doch kein Inspekteur - mit einer Ausnahme - fand jemals eine versteckte Bio-oder Chemiewaffe. Sie lagen alle an Orten, die vom Irak offiziell deklariert worden waren. Möglicherweise führten die Sanktionen der UN in diesen Jahren zu einer Abrüstung des Irak, ohne dass man davon etwas bemerkte.
Warum schenkten die Amerikaner Ihren vorsichtigen Aussagen über Saddam Husseins Waffenarsenal keinen Glauben?
Es soll Menschen geben, die an Hexen glauben. Wie betrachten sie einen Besen in der Ecke oder eine schwarze Katze? Nicht als Besen oder schwarze Katze, sondern als Beweise für die Existenz von Hexen. Ich glaube heute, Männer wie Cheney oder Rumsfeld schufen sich so ihre eigene virtuelle Realität - auch mit Hilfe der Medien. Sie holten sich ein paar Zahlen, aber nicht die Erklärungen dazu. Doch wir waren vor Ort. An drei Orten fanden wir Verbotenes, etwa Raketenmotoren. Die waren illegal, aber keine Gefahr für den Weltfrieden. Der Krieg war auf keinen Fall gerechtfertigt. Die USA brauchten die Massenvernichtungswaffen, um Krieg führen zu können. Also zimmerten sie sich eine Realität. Sie mussten den Krieg verkaufen. Das war skandalös leichtsinnig.
Überzeugte Sie US-Außenminister Powells großer Auftritt vor dem Sicherheitsrat nicht, als er angebliche Beweise über mobile Labors und Waffen vorlegte?
Es heißt ja, Powell habe mehrere Tage lang mit dem Geheimdienst CIA darum gerungen, welche Informationen in die Rede kommen sollen. Und er soll eine Menge als nicht überzeugend genug abgelehnt haben. Was er präsentierte, war wohl das Beste, was er zeigen konnte. Etwa die Fotos aus einer Chemiefabrik. Darauf waren Lastwagen zu sehen - angeblich Dekontaminierungsfahrzeuge. Wir hatten diese Fabrik schon mehrmals zuvor untersucht. Wir hatten Bodenproben genommen. Wir fanden nichts.
Und die Lastwagen?
Das waren Wasserwagen.
Wurde Powell von den Falken hinters Licht geführt?
Powell ist ein sehr loyaler Diener seines Präsidenten. Der Präsident ist sein Oberbefehlshaber. Vielleicht hat man diese Loyalität ausgenutzt.
Wie lange hätten die Inspektionen noch andauern müssen?
Vielleicht zunächst bis Mai.
Und wann wussten sie, der Krieg ist nicht mehr zu verhindern?
Ich dachte noch Anfang März, es müsse nicht zu einem Krieg kommen. Die Iraker hatten ja begonnen, 70 Raketen zu zerstören. Das war doch ziemlich spektakulär. Aber auch das war den Amerikanern nicht genug. Selbst Tony Blair versuchte noch im letzten Moment, den Krieg abzuwenden. Vielleicht aus Publicitygründen, er stand ja unter großem Druck. Einmal fragte ich ihn, wie es denn wäre, wenn man mit 150000 Mann in ein Land einmarschiert und dann keine Massenvernichtungswaffen findet.
Was antwortete Ihnen Tony Blair?
Er sagte: Nein, nein, diese Waffen existieren. Aber er versuchte wenigstens, noch in letzter Minute eine Lösung zu finden. Er hoffte, Saddam Hussein werde der Welt zeigen, dass er sich wirklich grundlegend geändert habe. Als Beweis solle er innerhalb von zehn Tagen fünf Forderungen erfüllen. Darüber sollte dann der Sicherheitsrat entscheiden.
Woran scheiterte diese Idee?
An den Franzosen und den Deutschen. Sie misstrauten den Amerikanern. Sie glaubten einfach nicht, die USA würden ein Zugeständnis des Irak akzeptieren.
Warum spielte Saddam bis zuletzt Katz und Maus mit der Welt?
Er hatte gar kein Interesse daran zu kooperieren. Es hieß doch immer, erst wenn er entmachtet sei, würden die Sanktionen aufgehoben. Außerdem war es doch gar nicht schlecht, die Fassade des Schreckens aufrecht zu erhalten. Und möglicherweise spielte auch so etwas wie Stolz eine Rolle. Bei einem Verhör fragte man Saddam ja, warum er keine Inspekteure in seine Paläste lassen wollte. Er soll geantwortet haben: "Wir wollten einfach nicht, dass sie in unsere Privatsphäre eindringen."
Der Feldzug im Irak ist vorbei. Inzwischen lässt der Iran Inspekteure ins Land, um das Atomprogramm zu kontrollieren, Libyen verzichtet auf sein Atomwaffenprogramm. Ohne den Irak-Krieg wäre das womöglich nicht passiert. Sind Präventivkriege doch sinnvoll?
Nein. Heute wissen wir, Saddam war eine Gefahr für sein eigenes Volk, aber nicht für die Welt. Die Lektion aus dem Irak-Krieg lautet: Sanktionen und Inspektionen funktionieren. Sie helfen auch bei der nuklearen Abrüstung - solange sie professionell und unabhängig durchgeführt werden. Und vor allem kosten sie keine Menschenleben.