Bundeswehr-Video "Die Deutschen wissen nichts"

Die Bronx ist der grünste Stadtteil von New York, zwei Drittel der Bewohner sind weiß, die Kriminalitätsrate ist seit 1990 um 71 Prozent gesunken. Das war den Soldaten im "Motherfucker"-Video offenbar nicht bekannt. Bronx-Bürgermeister Carrion will nun die Deutschen aufklären.

Es passiert nicht allzu oft, dass es Geschichten aus Deutschland in die US-Medien schaffen. Wenn Angela Merkel den amerikanischen Präsidenten im Weißen Haus trifft, ist das den US-Sendern, falls überhaupt und im besten Fall einen Nachrichtenschnipsel von gefühlten neun Sekunden Länge wert. Deutschland, das merkt man spätestens dann, ist aus der Perspektive diesseits des Atlantik eben doch ein kleines und, nun ja, eher unbedeutendes Land.

Vor kurzem immerhin gab's kuschelige Nachrichten aus Germany: Knut, der Berliner Eis-Teddy, hatte es auch den Amerikanern angetan, und die Medien landauf, landab sendeten und schrieben über dessen Schicksal. Nun also das: Das Video des "Motherfucker"-brüllenden und sodann Salven entladenen Soldaten bringt Deutschland abermals in die Schlagzeilen. "New York Times", "Washington Post" und "USA Today" berichteten über den Skandal ebenso wie das lokale Fernsehen und CNN. Der Radiosender "1010WINS" schickte ein Reporter-Team in die Bronx und befragte die brüskierten Anwohner. "Ich dachte", sprach ein Geschäftsmann fassungslos ins Mikrofon, "dass die Europäer aufgeklärt und liberal seien." Der Bürgerrechtler Reverend Al Sharpton forderte umgehend, dass George W. Bush von der deutschen Regierung eine Entschuldigung verlangen solle. Und der Bürgermeister der Bronx, Adolfo Carrion, zeigte sich "traurig darüber, dass die Deutschen offenbar so gut wie nichts über Afro-Amerikaner in der Bronx wissen".

"Wer darf was sagen?"

Die Affäre um den peinlichen Bundeswehr-Ausbilder trifft die Amerikaner just auf dem Höhepunkt einer Debatte um latenten Rassismus. Der an sich liberale Talkmaster Don Imus verlor vor einer Woche nach 25 Jahren seinen Job, weil er in seiner morgendlichen Sendung die schwarzen Basketball-Spielerinnen der "Rutgers University" als "nappy-headed hos", "kraushaarige Flittchen" verunglimpft hatte. Imus, für seinen partei- und rassenübergreifenden Sarkasmus bekannt, entschuldigte sich zwar pronto für seinen Ausfall, kroch beim ewigen Al Sharpton zu Kreuze, aber der schäumende Reverend senkte den Daumen: "Du gehörst gefeuert". So geschah es. Die Imus-Affäre verdrängte sogar die chronisch skandalträchtige US-Regierung für ein paar Tage aus dem Nachrichten-Zentrum. "Who can say what?", "Wer kann was sagen?", fragte das Nachrichtenmagazin "Time" auf dem Titel.

Reiche wohnen in der Bronx

Das Bundeswehr-Video indes gehört definitiv nicht in die Don-Imus-Kategorie. Es ist keine Satire, es ist böse, dumm und bitterer Ernst. Das schmerzt. Denn nichts schmerzt mehr als das Vorurteil. Bronx gleich schwarz, gleich Gewalt, gleich Motherfucker. Die Bronx ist in der Wahrnehmung vieler, auch vieler Touristen, ein Ort der Gewalt, des Hasses und der Gefahr. Wer New York sagt, meint in der Regel Manhattan und vernachlässigt all zu oft die vier anderen Boroughs - insbesondere die Bronx mit seinen knapp 1,4 Millionen Einwohnern, davon im übrigen gerade mal ein gutes Drittel schwarz. Wer weiß schon, dass Riverdale in der Nähe des Hudson, zu den reichsten Wohngegenden New Yorks gehört? Wer weiß, dass das Little Italy in Manhattan nur noch eine Touristenfalle ist und nichts hat vom Charme und Flair des richtigen Little Italy, jenes Klein Italiens an der Arthur Avenue in der Bronx. Wer weiß, dass die Bronx der grünste Stadtteil der City ist? Und wer weiß schon, dass die Kriminalitätsrate in New York seit Jahren sinkt und die Zahl der Verbrechen in der Bronx seit 1990 um 71 Prozent zurück ging?

Das Klischee ist der natürliche Feind des Wandels.

Gipfeltreffen in der Bronx

Die Bronx hat in den vergangenen Jahren einen veritablen Boom erlebt. Und erlebt ihn noch. Der Stadtteil-Präsident Adolfo Carrion hat dazu massiv beigetragen. Er, Sohn eines protestantischen Pfarrers, ist seit 2001 im Amt, und seitdem flossen 2,1 Milliarden Dollar in neue Immobilien. Vor ein paar Wochen war Carrion in Berlin auf der Internationalen Tourismus Börse. Er wandelte mit seiner Frau durch die Hauptstadt und ließ sich inspirieren von der frischen Architektur Berlins, "denn ich bin von Haus aus Stadtplaner". Carrion war begeistert. Er traf auf viele interessierte Menschen, und um so überraschter war er über das Video. Er spricht mit ruhiger, klarer Stimme, kein Zorn darin. Am Montag Nachmittag meldete sich der deutsche Generalkonsul Hans-Jürgen Heimsoeth bei ihm und sprach sein Bedauern aus. Die beiden Herren waren sich schnell einig. "Vielleicht," sagte Carrion zu stern.de, "ist dies auch eine Gelegenheit, die Menschen über die wahre Bronx zu informieren." Vielleicht sei dies auch ein Anfang, und das habe er auch dem Generalkonsul gesagt. Der deutsche Diplomat mochte diese Worte. Heimsoeth kennt die Bronx. Er ging dort zur Schule.

Von Michael Streck, New York