Zum ersten Mal in der Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika wird ein ehemaliger Präsident angeklagt: Donald J. Trump, 77 Jahre alt, US-Präsident von 2017-2021. Das Strafverfahren beginnt am 25. März in New York, jener Stadt, die den Immobilienkönig einst groß machte oder – so würde er es vermutlich behaupten – die er groß machte.
Das steht seit gestern fest. Fest steht auch: Der Richter, Juan Merchan, ist durchsetzungsstark, wie er in der Anhörung von Beginn an demonstrierte. Er lässt sich von Trump nicht auf der Nase herumtanzen. Er weist die Theatralik seiner Anwälte barsch ab. Er stellt das Verfahren nicht ein.
Sechs Wochen lang wird der profilierungssüchtige Trump nun stumm dasitzen müssen, auf der Anklagebank in einem schmucklosen Gerichtssaal in Lower Manhattan. Bisher war seine Teilnahme an den beiden gegen ihn laufenden Zivilprozessen in New York freiwillig und er hat sie für allerhand Showeinlagen und zu Wahlkampfzwecken genutzt. Jetzt aber hat er keine Wahl mehr. Tag für Tag muss er pünktlich im Gerichtssaal sein, mehrere Stunden am Tag. Zuhören, während andere reden. Den Anweisungen des Richters folgen. Keine Showeinlagen. Keine Wahlkampfauftritte im Land. Die Höchststrafe für einen Selbstdarsteller wie ihn.
Trump kann sich nicht selbst begnadigen
Für die Nominierung des Präsidentschaftskandidaten der Republikaner ist der Fall bedeutungslos. Zwar werden Ende März erst die Hälfte der Vorwahlen absolviert sein, aber der Sieg ist Trump kaum mehr zu nehmen, zu sehr ist er Herrscher über die folgsame Partei. Auch wird der Prozess die Meinungsbildung der Republikaner nicht ändern. Die meisten Anhänger folgen ihrem Anführer blind, der stets behauptet, er sei Opfer einer politischen Hexenverfolgung durch Präsident Biden.
Und doch könnte der Fall eine Art Wendepunkt darstellen. Sechs Wochen lang werden die Amerikaner die Worte zu hören kriegen: Sex-Skandal. Schweigegeld. Porno-Schauspielerin. Fälschung von Geschäftskonten. Trump wird beschuldigt, kurz vor der Wahl 2016 dem Pornostar Stormy Daniels 130.000 Dollar Schweigegeld gezahlt zu haben, um den Skandal um eine außereheliche Affäre nicht öffentlich zu machen. Er ist in dem Verfahren in 34 Punkten angeklagt. Unter anderem soll er Geschäftsunterlagen gefälscht haben, um den Skandal zu vertuschen.
Der New Yorker Fall hat – neben manchen Schwächen – einen großen Vorteil. Da kein Bundesgericht das Urteil spricht, wird sich Trump selbst im Fall eines Wahlsiegs im November nicht begnadigen können oder seinen Justizminister anweisen können, den Fall einzustellen.
Die Republikaner tangiert das alles kaum, doch die Wähler der Mitte, die Independents, umso mehr. Auch unter ihnen gibt es Leute, die Trumps Vergehen für vergleichsweise gering halten, doch Schweigegelder eines verheirateten Mannes für einen Pornostar halten die meisten dann doch für ziemlich unappetitlich. Oder noch schlimmer: eine Verurteilung in dem Verfahren. Es würde aus Trump, dem Immobilienhai, Reality-TV-Star und US-Präsidenten Trump, den Kriminellen machen.
Donald Trumps Wahlkampf findet im Gerichtssaal statt
Dass der Strafprozess in New York als erster der vier Strafverfahren verhandelt wird, ist in der Wahrnehmung vieler Juristen bedauerlich. Er ist in der Tat der schwächste Fall, auch juristisch gesehen, und ein Freispruch würde Trump erheblichen Rückenwind geben. Sehr viel wichtiger ist der Fall in Washington wegen versuchter Wahlmanipulationen – das Hauptvergehen des Möchtegern-Autokraten. Doch dieser Prozess, der am 4. März beginnen sollte, muss verschoben werden, weil der Supreme Court zunächst darüber entscheiden muss, ob Trump komplette Immunität genießt, wie er behauptet. Die Wahrscheinlichkeit, dass er recht bekommt, ist gering, doch hat er mal wieder Zeit gewonnen.
Entscheidet das Oberste Gericht der USA zügig, könnte der Prozess in Washington direkt auf den in New York folgen, später im Mai oder im Frühsommer. Dann käme es richtig dicke für den Mann, der im Juli auf dem Nominierungsparteitag der Republikaner gekrönt werden will. Er verbringt dann seinen Wahlkampf zu großen Teilen tatsächlich im Gerichtssaal.
Dass Trump gestern auch eine gute Nachricht erhielt, lag nicht an ihm, sondern an dem zweifelhaften persönlichen Verhalten seiner juristischen Lieblingsgegnerin Fani Willis, der Staatsanwältin von Fulton County in Georgia. Sie erhob im August Anklage gegen Trump und 18 andere mutmaßliche Komplizen im zweitwichtigsten der vier Strafprozesse. Der Fall dreht sich um die Bildung einer kriminellen Verschwörung, um das Wahlergebnis in Georgia zu fälschen. Er soll im August 2024 beginnen.
Eine Affäre als Geschenk für Trump
Willis musste gestern selbst unter Eid aussagen. Sie hatte sich auf eine Affäre mit Nathan Wade, einem verheirateten Anwalt eingelassen, den sie im Fall Trump als Sonderstaatsanwalt für viel Geld angeheuert hat. Ob ihr der Fall wegen persönlicher Bereicherung entzogen wird, muss jetzt ein Richter klären. Auch so schon ist es ein Public Relations-Desaster für die Anklage – und ein Geschenk für Trump, der ständig unterstellt, dass das Justizsystem korrupt und politisch unterwandert ist.
Der Prozess gegen Trump in Georgia hatte nur wenig Aussicht, noch in diesem Jahr tatsächlich verhandelt zu werden. Zu voll ist der juristische Terminkalender. Das macht ihn nicht weniger bedeutend, weil es um die juristische Aufarbeitung des dunkelsten Kapitels der US-Wahlgeschichte geht. Der peinliche Fehltritt der Staatsanwältin könnte nun diese ganze Aufarbeitung verhindern – und den Demokraten in dem so wichtigen Swing State sehr weh tun.
Trump feierte die Anhörung von Willis und Wade in Georgia als großen Erfolg, und doch sind diese Tage Mitte Februar für ihn insgesamt ein Desaster. Am Freitag steht die juristische Entscheidung zur Zukunft seines Unternehmens an – der Trump Organization –, dem wegen allerhand Manipulationen und Betrügereien womöglich die Lizenz entzogen wird. Im Raum steht zudem eine Strafe in Höhe von 370 Millionen US-Dollar.
Und dass eine Verurteilung in einem Strafprozess ihm den Wahlsieg im November kosten könnte, wird auch Trump langsam bewusst sein. Zwar wird er kaum ins Gefängnis kommen – die Höchststrafe im Fall der Schweigegelder beträgt vier Jahre. Doch dass Amerika einen strafrechtlich verurteilten Gangster ins Weiße Haus einziehen lässt, ist dann vermutlich doch eine Wendung zu viel.