Es ist ein Ansturm, den Waco so seit Langem nicht mehr erlebt hat. Wenn am Samstagnachmittag Ortszeit der ehemalige US-Präsident Donald Trump seinen ersten großen Auftritt im Wahlkampf zur Präsidentschaftswahl 2024 hält, werden auf dem Veranstaltungsgelände auf dem Regionalflughafen mindestens 15.000 Anhänger Trumps erwartet. Die Stadt mit ihren 140.000 Einwohnern liegt im Herzen von Trump-Land. Hier feierte der 76-Jährige bei seiner verlorenen Wahl 2020 große Erfolge, im Wahlbezirk McLennan County, in dem Waco liegt, gewann Trump mit mehr als 23 Prozentpunkten Vorsprung auf Joe Biden.
Kein Wunder also, dass Trump sich von seinem Auftritt große Unterstützung erhofft, obwohl der Auftritt erst in der vergangenen Woche angekündigt wurde. Zudem ist der Auftritt eine willkommene Ablenkung von seinen juristischen Problemen. In New York wird in den nächsten Tagen mit einer Anklage gegen Trump im Zusammenhang mit Schweigegeldzahlungen an einen Pornostar gerechnet. Dazu hat der ehemalige Präsident noch viele weitere juristische Probleme am Hals. (Welche, das lesen Sie hier).
Donald Trump geht nach Waco – die Rechtsextremisten sind schon da
Doch die Wahl des Veranstaltungsortes kommt nicht ohne Störgeräusche. Vor fast genau 30 Jahren spielte sich nur wenige Kilometer vor den Toren Wacos ein Drama ab, das noch bis heute Rechtsextremisten und Verschwörungstheoretiker anlockt. Nach einer 51-tägigen Belagerung stürmten Spezialeinheiten des FBI im April 1993 das Gebäude der militanten "Branch Davidians"-Sekte unter der Leitung von David Koresh.
Bereits am ersten Tag des Polizeieinsatzes im Februar, bei dem Beamte einen Durchsuchungsbefehl vollstrecken wollten, kam es zu einem Schusswechsel zwischen beiden Seiten, bei dem mehrere Menschen starben, doch der Einsatz im April endete in einer Katastrophe: In dem Gebäude brach ein Feuer aus, 76 Mitglieder der Sekte, darunter auch schwangere Frauen und Kinder, starben, ebenso Sektenführer Koresh. Wie der Brand entstehen konnte, ist bis heute ungeklärt und liefert reichlich Nährboden für Verschwörungstheoretiker. Die texanische Stadt wurde in der Folge zu einem Pilgerort für Rechtsextreme, die Waco als Symbol für eine tyrannische Regierung ansehen, die die Rechte der Bürger beschneidet. Der bekannte und mehrfach verurteilte Verschwörungstheoretiker Alex Jones ging sogar so weit, dass er auf dem Gelände der Sekte eine Kapelle errichten ließ – in der heute Trump verehrt wird. "Donald Trump ist der Gesalbte Gottes, der den 'Deep State' niederschlagen soll", zitiert die "New York Times" aus einer kürzlichen Predigt in der Kapelle.
Trump wegen sexuellen Missbrauchs verurteilt – diese juristischen Probleme hat er noch am Hals

Die heute 79-jährige Carroll hatte Trump beschuldigt, sie im Frühjahr 1996 in der Umkleidekabine des New Yorker Luxus-Kaufhauses Bergdorf Goodman vergewaltigt zu haben. Öffentlich machte die langjährige Kolumnistin des Magazins "Elle" ihren Vorwurf erst 2019, als Trump Präsident war. Trump bezichtigte Carroll der Lüge und erklärte, sie sei nicht sein "Typ".
Strafrechtlich waren die Vorwürfe verjährt, doch zivilrechtlich konnte Carroll gegen den Milliardär vorgehen, und so verklagte Carroll Trump in New York wegen Verleumdung und im vergangenen November in einer zweiten Klage wegen der mutmaßlichen Vergewaltigung selbst sowie erneut wegen Verleumdung. Sie verlangte Schmerzensgeld und Schadenersatz in nicht genannter Höhe. Weil es sich um einen Zivilprozess und nicht um ein Strafverfahren handelte, drohte Trump keine Gefängnisstrafe.
Für die Geschworenen war der Fall offenbar klar: Nach weniger als dreistündigen Beratungen sprachen sie Carroll fünf Millionen Dollar (rund 4,5 Millionen Euro) zu – zwei Millionen Dollar wegen sexuellen Missbrauchs und drei Millionen Dollar wegen Verleumdung. Ihr Urteil sei für alle Frauen, die ähnliches erlebt hätten, sagte die Autorin nach der Entscheidung. Es gehe ihr nicht um das Geld. Sie habe ihren Namen reinwaschen wollen. Und sie hätte Trump gerne im Zeugenstand vor Gericht gesehen.
Trumps Anwalt Joe Tacopina kündigte an, gegen das Urteil in Berufung zu gehen. Er verwies unter anderem darauf, dass Carroll Trump stets Vergewaltigung zur Last gelegt habe, die Geschworenen aber lediglich sexuellen Missbrauch anerkannt hätten. Trump selbst reagierte erbost auf den Ausgang des Zivilprozesses. "Dieses Urteil ist eine Schande, eine Fortsetzung der größten Hexenjagd aller Zeiten", wetterte der 76-jährige auf seiner Onlineplattform Truth Social. Mit Blick auf Carroll erklärte Trump: "Ich habe überhaupt keine Ahnung, wer diese Frau ist."
Vor dem Urteil hatte der Ex-Präsident fälschlicherweise behauptet, er habe sich in dem Verfahren nicht "verteidigen" dürfen. Trump war dem Prozess aus eigenen Stücken ferngeblieben, zu einem Erscheinen vor Gericht war er nicht verpflichtet. Trump war während des Prozesses sogar zu einem Golfplatz in Schottland gereist, der ihm gehört.
Zufälliger Standort? Nichte kritisiert Trump
Dass er an einem Pilgerort für Rechtsextreme fast genau 30 Jahre nach dem Zwischenfall seine Wahlkampagne startet, sei jedoch keine Absicht. "Waco liegt sehr zentral und nah an den vier Großstädten Dallas, Austin, Houston und San Antonio und bietet zudem die Infrastruktur, um eine Veranstaltung dieser Größe abzuhalten", erklärte Trumps Sprecher Steven Cheung gegenüber US-Medien. Trump selbst wich Fragen nach dem Standort und der Bedeutung am Freitag aus. Im Gespräch mit der rechtspopulistischen Newsmax antworte Trump nicht auf die Frage der Symbolik und schwadronierte lieber über die "kilometerlangen Schlangen", die schon vor dem Veranstaltungsort anstehen würden.
Trump hat jedoch bereits in seiner Präsidentschaft bewiesen, dass er sich nur schwer von rechtsextremen Gruppierungen abgrenzen will. So antworte Trump in einer TV-Debatte auf die Frage, ob er sich von rechten Gruppe distanziere: "Proud Boys – haltet euch zurück und haltet euch bereit". Bei den Proud Boys handelt es sich um eine Gruppierung von rechten, weißen Männern – Trump distanzierte sich erst Tage später von ihnen. Ebenso wollte Trump die rechtsextremen Demonstrationen in Charlottesville, bei denen 2017 eine Frau ums Leben kam, nicht gänzlich verurteilen. Im Herbst 2022 gab es erneut Kritik an Trump, als ein Abendessen zwischen dem Ex-Präsidenten und dem in den USA bekannten Antisemiten Nick Fuentes öffentlich wurde.
Doch nicht jeder ist überzeugt von dem zufälligen Standort in Texas. In einer Kolumne warf die Redaktion des "Houston Chronicle" Trump vor, sich der Symbolik des Besuchs durchaus bewusst zu sein und das "Feuer in Waco zu schüren". Die Stadt sei "ein Schrein für die Proud Boys, die Oath Keepers und andere regierungsfeindliche Extremisten und Verschwörungstheoretiker", schreibt die Zeitung. Trumps Nichte Mary warf auf Twitter dem Ex-Präsidenten vor, den Hass in der Stadt zu schüren. "Es ist ein Trick, um seinen Kult an die berüchtigte Belagerung von 1993 zu erinnern, bei dem eine regierungsfeindliche Sekte sich mit dem FBI bekämpft hat", schrieb Mary Trump. Ihr Onkel beabsichtige, das gleiche gewalttätige Chaos zu verursachen, um sich vor der Justiz zu retten. Die Symbolik des Besuchs in Waco dürfte auch Trump klar sein. Als das FBI im vergangenen Jahr sein Anwesen Mar-a-Lago nach klassifizierten Dokumenten durchsuchte, sprach Trump öffentlich ebenfalls davon, dass sein Haus vom FBI "belagert, überfallen und besetzt wird."
Für Trump ist mit dem Auftritt in Waco der Boden geebnet für weitere Anschuldigungen gegenüber der Regierung von Joe Biden und den gegen ihn ermittelnden Staatsanwälten. Bereits am vergangenen Wochenende hatte der 76-Jährige in seinem Sozialen Netzwerk Truth Social dazu aufgerufen, gegen seine mögliche Verhaftung im Falle einer Anklage in New York zu protestieren. Unter der Woche erneuerte Trump immer wieder seine Vorwürfe gegen den Bezirksstaatsanwalt Alvin Bragg. Erst am Donnerstagabend griff Trump Bragg erneut an. "Welche Art von Person kann eine andere Person für ein Verbrechen anklagen, wenn alle wissen, dass KEIN Verbrechen begangen wurde", schrieb Trump in Truth Social. Bei einer "falschen Anklage" seien möglicher "Tod und Zerstörung" die Folge im Land. So eine Anklage könne nur ein "degenerierter Psychopath" hervorbringen, der die "USA hasse", echauffierte sich Trump weiter. In einem am Dienstag veröffentlichen Video hatte Trump angekündigt, im Falle einer weiteren Präsidentschaft 100.000 Regierungsmitarbeiter zu entlassen und durch "Patrioten" zu ersetzen.
Welche Gefahr auch für Bragg ausgehen könnte, wurde am Freitag offensichtlich. Bei der Bezirksstaatsanwaltschaft ist US-Medienberichten zufolge ein Päckchen mit einer verdächtigen weißen Substanz eingegangen, der Inhalt entpuppte sich aber als ungefährlich. Auf einer in einem Kuvert mitgelieferten Karte habe gestanden: "Alvin – ich werde Dich töten", hieß es unter Berufung auf eine Polizeiquelle. Mit seinem Auftritt in Waco wird Trump die Stimmung unter seinen fanatischen Fans nochmal gehörig anfeuern.
Quellen: NY Times, Washington Post, Time, AP, AFP, Newsweek, Guardian