Die EU kann nach jahrelangen Verhandlungen eine große Asylreform in Angriff nehmen. Eine am Mittwoch in Brüssel erzielte Einigung sieht zahlreiche Verschärfungen der bisherigen Regeln des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (Geas) vor. "Damit begrenzen wir die irreguläre Migration und entlasten die Staaten, die besonders stark betroffen sind - auch Deutschland", sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Menschenrechtsorganisationen übten hingegen scharfe Kritik.
Deutsche Medien kommentieren die EU-Asylreform:
"Nun erlebt Europa eine Zäsur. Denn die EU verschärft die Regeln massiv, um die irreguläre Einwanderung einzudämmen. Die Hardliner haben sich durchgesetzt. Trotzdem können die Erwartungen vieler krisenerschöpfter Bürger nur enttäuscht werden. In Zeiten von überfüllten Turnhallen und überforderten Kommunen ist deren Sehnsucht nach einer schnellen Lösung verständlich. Doch die Auswirkungen dieser Reform werden selbst im besten Falle erst in ferner Zukunft zu spüren sein. In ungünstigeren Szenarien geht das Sterben im Mittelmeer weiter. Das Leid von Geflüchteten könnte gar zunehmen, wenn sich plötzlich sogar traumatisierte Minderjährige in haftähnlichen Lagern wiederfinden."
"Die Grenzverfahren, die nun eingeführt werden sollen, sind ein erster Schritt, um schon bei der Einreise wenigstens diejenigen auszusortieren, die aus Ländern kommen, in denen es wenig Verfolgung gibt. (…) So menschenunwürdig, wie die Flüchtlingsverbände diese Kurskorrektur darstellen, ist sie nicht. (…) Die wichtigste Wirkung, die von den neuen Grenzverfahren ausgehen kann, ist, dass die Sogwirkung der bisherigen Praxis gemindert wird. Die EU muss der Erwartung entgegenwirken, dass eine gelungene Ankunft am Ende fast immer zu einem Aufenthaltsrecht führt. (…) Funktionieren wird das neue System nur, wenn die Länder an der Außengrenze es durchsetzen und die Zusammenarbeit mit Herkunfts- und Transitländern klappt. In beidem war die EU bisher nicht gut. Diese Reform war sicher nicht die letzte. (…)"
Frankfurter Rundschau:
"Die Bundesregierung spricht von 'Humanität und Ordnung', doch weder das eine noch das andere wird mit dieser Reform erreicht. Es ist reine Wunschvorstellung, wenn die Verantwortlichen in Berlin erklären, mit Geas könnten das Sterben auf dem Mittelmeer und die Rechtlosigkeit an den Außengrenzen ein Ende haben. Nichts spricht dafür, dass die beschlossenen Regelungen dazu beitragen. Die EU flüchtet vor ihrer Verantwortung.
Aus diesen Ländern beantragen die meisten Menschen Asyl in Deutschland

Zwischen Neujahr und Ende Mai 2024 haben 1623 Menschen aus Guinea in Deutschland einen Asylantrag gestellt.
Nicht einmal die Rechnung, damit den rassistischen Parteien bei der Europawahl etwas entgegensetzen zu können, wird aufgehen. Denn am Ende stärkt eine rechte Politik stets diejenigen, die ganz rechts nur darauf gewartet haben – und die aus Stimmung Stimmen machen."
Die Glocke:
"Dass sich die EU nach jahrelangen zähen Debatten endlich auf eine Asylreform geeinigt hat, ist zweifelsfrei ein Fortschritt. Positiv fällt ins Gewicht, dass es einheitliche Verfahren an den Außengrenzen geben wird und dass die Lasten der Versorgung von Geflüchteten fairer zwischen den Staaten verteilt werden sollen. Länder, die keine Flüchtlinge aufnehmen wollen, müssen künftig finanzielle Unterstützung leisten und können sich nicht wie bisher vor ihren Pflichten drücken. Von einem 'Meilenstein', wie einige EU-Politiker die Reform nennen, kann aber keine Rede sein. Denn manche Maßnahmen dürften sich in der Praxis als weniger effektiv erweisen als sie in der Theorie klingen."
Südwest-Presse:
"Diejenigen, die nach Europa dürfen, sollen solidarisch verteilt werden. Wetten, dass auch das wieder nichts wird? Einige Länder kaufen sich frei, die anderen ignorieren die Regeln. Wenn alles klappt, dürfte es eigentlich kaum noch Abschiebegründe geben, aber die Abschiebemaßnahmen werden trotzdem verschärft. Die 'Rückführungs'-Zahlen werden steigen, nur ganz sicher nicht in dem Maße, mit dem die Mehrheit der Deutschen zufrieden ist. Auch der Ausbau Europas zur Festung wird nur wenige Probleme lösen, dafür aber neue schaffen. Was ist zum Beispiel, wenn die Menschen in den Asyl-Zentren an den EU-Grenzen nicht auf das Ende ihres Verfahrens warten wollen? Werden dann Waffen eingesetzt? Doch schon sind neue Ideen da. Warum Asylbewerber nicht an Länder in Afrika verkaufen? Die nächste EU-Asylreform kommt bestimmt."
Die Welt:
"Es wird nicht bei Geas bleiben. Geas ist nur der erste Schritt hin zu einer Drittstaatenlösung nach australischem Vorbild. Dort werden alle Flüchtlinge sofort nach Papua-Neuguinea gebracht, wo ihr Asylantrag bearbeitet wird. (...) In der EU wird es zu einer ähnlichen Regelung kommen. Die meisten Mitgliedsländer sprechen sich dafür aus. Vor allem die Grünen in der Bundesregierung zieren sich noch, haben diesen Weg bereits einmal zum Ärger der Nachbarländer versperrt.
Doch die Bundesregierung wird sich besinnen. Langsam begreift nämlich selbst sie, dass ihr falsches Verständnis von Vergangenheitsbewältigung und ihr moralischer Größenwahn in der Flüchtlingskrise die Stabilität der Gesellschaft gefährden."