Herr Farage, Sie gehen schon bei dem Begriff EU in die Luft. Warum eigentlich?
Die EU ist ein Monster. Sie ist so schlimm, dass sie jetzt schon Ministerpräsidenten mit Marionetten ersetzt - wie in Griechenland und Italien. Wir haben es mit Fanatikern zu tun, mit einem neuen Nationalismus - Euronationalismus. Sie werden sich durch nichts aufhalten lassen, selbst wenn Millionen Menschen hungern werden, das ist denen egal. Es sind die gefährlichsten Menschen in Europa seit 70 Jahren. Sie sind schlechte Menschen.
Warum sollten die das alles tun wollen?
Es geht um die Idee. Genauso wie der Kommunismus die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts dominiert hat, hat der Euroföderalismus das Denken in der zweiten Hälfte dominiert, bis heute.
Und wer sind in ihren Augen die Anführer dieser Ideologie?
Die EU-Kommission.
Aber die hat keine große Macht über Nationalstaaten.
Die meisten Deutschen verstehen das nicht. Die europäische Integration vollzieht sich in hunderttausend keinen Schritten. Die Kommissare sind sehr effektiv. Gesundheit, Umwelt, Sicherheit, Mutterschaft und Apfelkuchen - sie finden immer einen Grund, irgendetwas zu regulieren.
Sie ziehen hier irgendwelche wilden Vergleiche zum Kommunismus, aber der Kommunismus hatte ein Gesicht.
Das fehlt denen. Das ist das Problem der EU. Robert Schumann und Jacques Delors - das waren Giganten. Van Rompuy und Barroso dagegen sind Witzfiguren. Es funktioniert trotzdem, weil die gesamte politische Klasse mitzieht.
Wie ist ihr Szenario für Europa?
Ich glaube nicht, dass Griechenland noch lang in der Eurozone bleibt. Wie Angela Merkel mir ins Gesicht sagte: Falls Griechenland und andere gehen, ist es das Ende unseres europäischen Traums.
Das hat sie Ihnen so gesagt?
Eins zu eins. Sie glaubt das wirklich. Neulich sagte sie, wir sollten der Europaflagge mehr Ehre erweisen. Bloody hell, Kanzlerin, wir wollen so was nicht hören.
Sie mögen Merkel nicht?
Ich wünschte, sie würde mehr lächeln. Selbst privat ist sie übel gelaunt. Abgesehen von dieser Euro-Idiotie ist sie eine gute Politikerin. Sie wird von diesen Tyrannen in Brüssel - die meisten wirtschaftliche Analphabeten - gedrängt, den Forderungen des Club Med nachzugeben und sagt einfach Nein. Sie hat Recht.
Ist sie die mächtigste Europäerin?
Natürlich. Wir leben in einem deutschen Europa. Die Bürokraten haben die Macht, aber die Richtung gibt Deutschland vor.
Wie gefällt Ihnen das?
Es ist schrecklich.
Warum? Weil es Deutschland ist?
Es geht gegen all das, wofür Großbritannien immer stand. Wir standen immer für die Balance of Power. Das ist die Ironie: Ziel des europäischen Projekts war es, Deutschland in Schach zu halten. Es funktioniert nicht.
Haben Sie tatsächlich Angst vor einem zu mächtigen Deutschland?
Ich mag es nicht, aber ich habe auch keine Angst. Die neue Generation bedroht uns nicht wie die vorherigen.
Warum stört es sie dann?
Wenn Sie glauben, dass Marionettenregierungen wie zum Beispiel in Italien, die zum Takt der Deutschen tanzen, ein guter Schritt für ein Europa ist - tut mir leid, ich nicht. Wir schmeißen die Demokratie aus dem Fenster. Diese neuen Vorschläge zur politischen Union und Fiskalunion sind antidemokratisch. Sie werden zu einem Europa der Feindschaft, des Hasses und der Gewalt führen.
Gehen sie nicht zu weit?
Wir befinden uns an einem sehr wichtigen Punkt. Ich bete, dass die Märkte das Projekt in den nächsten sechs Monaten zerstören. Wenn sich Merkel durchsetzt, drohen uns furchtbare Jahre.
Die Briten werden sich an einer Finanz- und Bankenunion kaum beteiligen.
Aber wir sind keine abgeschottete Insel. Was in Europa passiert, betrifft uns auch. Sie haben Recht: Die schlimmsten Exzesse treffen uns nicht, aber wir sind noch immer ein Teil dieses Marktes. 75 Prozent unserer Gesetze werden in Brüssel gemacht.
Ich habe mit vielen Briten gesprochen. Nicht einer sieht die EU positiv. Viele beten ihre Sätze nach.
Wir hatten 17 Prozent bei den letzten Europa-Wahlen. Nächstes Mal wollen wir gewinnen.
Sie setzen auf ein Referendum über den Austritt aus der EU?
Am besten morgen. Und hoffentlich folgen andere unserem Beispiel. Die Dänen, Schweden, Finnen, Letten, vielleicht Österreich. Wenn du erstmal entlarvst, dass der Kaiser keine Kleider trägt, werden andere dir folgen. Wenn die EU eine Finanztransaktionssteuer durchsetzt, wird Cameron gezwungen sein, ein Referendum über die EU durchzuführen. Und dann sind wir weg.
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Sie können nicht einfach gehen.
Natürlich. Man kann sofort gehen. Man kann machen, was man will. Irgendwie hoffe ich, dass es so kommt. Ich begrüße Dummheit.
Sie hoffen, dass die EU zu weit geht in ihrem Vorstoß zu einer Fiskalunion, damit...
...alles schneller geht. Weniger Leid, weniger Arbeitslosigkeit, weniger Gewalt. Meine Traumvorstellung ist, dass die Märkte das ganze noch in diesem Sommer zerstören.
Das hätte katastrophale Folgen. Was würde mit den ganzen Jobs in Europa passieren?
Sehen Sie das Desaster da draußen nicht jetzt schon? Wir brauchen einen Neustart, es gäbe zwei bis drei Wochen der Instabilität gefolgt von einem langsamen Weg zurück. Island ist ein gutes Beispiel.
Island ist ein kleines Land.
Jedes Mal kommen Sie mir mit neuen Argumenten.
Was Sie da machen, ist ein Spiel mit dem Feuer.
Natürlich ist der Zusammenbruch der Eurozone teuer, aber mit jedem Bailout wird es schlimmer.
Fühlen Sie sich als Europäer?
Ich bin Engländer, ich bin Brite, ich bin mit einer Deutschen verheiratet, ich habe für französische Firmen gearbeitet, ich liebe Europa. Aber was ich an Europa liebe, sind die Unterschiede - verschiedene Länder, Traditionen, Geschichte. Was ich absolut abscheulich finde, ist dass dieses Wort Europa gekidnappt wurde von diesen Tyrannen in Europa.
Gibt es eine europäische Identität?
Es gibt kein europäisches Volk. Es gibt keine Europäer. Es gibt eine europäische Zeitzone, es gibt große Verbindungen zwischen europäischen Ländern, aber wollen die Völker dieses Kontinents diese Flagge, diese Hymne, diesen Herrn Van Rompuy - ich glaube nicht.
Haben Sie jemals einen Menschen getroffen, der sich Europäer nannte?
Oh ja, ich habe Europäer getroffen, absolut. Sie alle werden bezahlt von der EU oder bekommen irgendwelche Subventionen. Es ist schwer, jemanden zu finden, der sich Europäer nennt und nicht auf der Gehaltsliste steht.
Ich treffe viele, die sich Europäer nennen.
Wenn sie jemanden finden, der nicht bezahlt wurde, muss er ein Träumer sein, ganz so als ob es immer noch Kommunisten gibt. Gescheiterte Ideologen geben nicht gern zu, dass sie falsch liegen. Die riesengroße Mehrheit in Europa will in Nationalstaaten leben, will mitbestimmen, will in einem Europa leben, wo wir handeln und kooperieren. Auch ich will das. Ich bin kein Anti-Europäer. Lasst uns gegenseitige Vereinbarungen für ausländische Arbeiter, beim Studentenaustausch treffen. Was wir nicht wollen, sind die Vereinigten Staaten von Europa, bürokratisiert, zentralisiert, die Währung am Rand des Zusammenbruchs, ein Europa schlechter Menschen.
Was meinen Sie dann damit - ich liebe Europa?
Ich liebe meine Vision von Europa. Ein Europa, in dem man nur kurze Strecken zurücklegen muss, anders als in Kanada, Australien oder Amerika. Man muss nur 100 Kilometer fahren und trifft auf unterschiedliche Menschen, Kulturen, Historie, Weine, Käsesorten. Es ist fantastisch. Es ist der vielfältigste Kontinent der Welt. Warum wollen wir, dass uns Bürokraten harmonisieren, homogenisieren und, Gott bewahre, auch noch pasteurisieren?
Wenn ich nach Calais fahre, will ich einen Franzosen mit Barett und Gauloises sehen. Ein Europa der Unterschiede ist fantastisch, gesund und gut. Ein Europa der Uniformität langweilig.
Was wollen sie denn sehen, wenn Sie nach Deutschland fahren?
Deutschland ist ein so großer Staat mit all seinen Bundesländern. Die regionalen Unterschiede sind viel größer als in England. In Deutschland will ich Ordnung sehen, Anstand, Menschen, die eine Straße nicht überqueren, bevor das grüne Männchen nicht leuchtet. Die Sache, die Engländer eifersüchtig machen sollte, ist die immer noch zentrale Bedeutung der Familie in Deutschland. Wenn es um Scheidungen und Teenager-Schwangerschaften geht, sind eure Zahlen besser. Vielleicht kann man bei euch am Sonntag keine Milch kaufen, doch dafür ist die Familie sehr stabil.
Da sind viele Klischees dabei.
Ich sehe uns - Briten und Deutsche - ja eher als Cousins. Cousins, die sich gern mal streiten, aber irgendwie zusammengehören. Ihr schlagt uns im Fußball. Wir schlagen euch im Krieg.>
Nigel Farage
Jan Christoph Wiechmann Der britische EU-Abgeordnete Nigel Farage gilt als härtester Kritiker Brüssels. Bei den nächsten Europawahlen will er mit seiner rechtspopulistischen UK Independence Party die meisten Stimmen in Großbritannien holen, zuletzt errang seine Partei 17 Prozent.>