Die britische Regierung will nach den negativen Volksabstimmungen in Frankreich und den Niederlanden vorerst kein Referendum über die EU-Verfassung abhalten. Dies wurde am Montag in London bestätigt.
Ein Sprecher von Premierminister Tony Blair erklärte, angesichts der Ergebnisse in zwei EU-Staaten erscheine es sinnlos, mit dem geplanten Referendum fortzufahren. Die Lage nach dem Nein aus Frankreich und den Niederlanden müsse Mitte dieses Monats beim EU-Gipfel in Brüssel näher analysiert werden.
In dem traditionell europa-skeptischen Land ist Umfragen zufolge eine Mehrheit gegen die Verfassung. Die britische Regierung hat am Sonntag ihren Aufruf für eine "Periode des Nachdenkens" über die in zwei Volksabstimmungen abgelehnte EU-Verfassung wiederholt. Sie reagierte damit eher zurückhaltend auf die von Bundeskanzler Gerhard Schröder und dem französischen Staatspräsidenten Jacques Chirac in Berlin erhobene Forderung, den Ratifizierungsprozess nach dem Nein der Franzosen und Niederländer fortzusetzen.Ein Sprecher von Premierminister Tony Blair sagte, eine Phase des Nachdenkens sei bis zum Gipfeltreffen am 16. Juni notwendig
Die europäischen Staats- und Regierungschefs werden voraussichtlich beim EU-Gipfel Mitte Juni in Brüssel über das weitere Vorgehen beraten. Die Verfassung, die die Europäische Union (EU) zukunftstauglich halten soll, kann nur in Kraft treten, wenn sie von allen 25 Mitgliedstaaten ratifiziert wird.
Schröder und Chirac wollen EU-Verfassung retten
Trotz der beiden gescheiterten Referenden in Frankreich und Holland halten Deutschland und Frankreich an der umstrittenen EU-Verfassung fest. Bundeskanzler Gerhard Schröder und der französische Präsident Jacques Chirac sprachen sich am Samstag bei einem Krisentreffen in Berlin für die Fortsetzung des Ratifizierungsprozesses aus. Das Nein der Franzosen und Niederländer hat auch den Streit über einen EU-Beitritt der Türkei neu entfacht.
Schröder und Chirac vereinbarten bei ihrem mehr als zweistündigen Gespräch im Kanzleramt, künftig stärker auf die Sorgen der Menschen in Europa einzugehen. "Man darf die Idee Europa nicht fallen lassen, weil es Schwierigkeiten gibt", sagte der deutsche Regierungssprecher Bela Anda. "Man muss auf der Basis der Idee die Schwierigkeiten lösen." Nichts sei wichtiger, als sich in der jetzigen Phase zu Europa zu bekennen. Der Kanzler bekräftigte bei dem Treffen auch seine Bereitschaft zu Zugeständnissen in den Verhandlungen über die EU-Finanzplanung.
Vaclav Klaus hält Fortsetzen des Ratifizierungsprozesses für "zwecklos"
Schröder und Chirac wollen am kommenden Freitag in Paris zu weiteren Gesprächen zusammenkommen. Am 13. Juni - nur drei Tage vor dem EU-Gipfel in Brüssel - trifft Schröder den britischen Premierminister Tony Blair in Berlin. Der Zeitpunkt des britischen Referendums blieb weiter offen. Der tschechische Staatspräsident Vaclav Klaus sprach sich gegen die Fortsetzung des Ratifizierungsprozesses aus: "Ich denke, es ist zwecklos", sagte er im tschechischen Fernsehen.
Die Union forderte als Konsequenz aus der Verfassungskrise einen Kurswechsel in der Türkei-Frage. CDU-Chefin Angela Merkel stellte den 3. Oktober als Termin für den Beginn der Beitrittsverhandlungen zwar nicht in Frage. Sie plädierte aber ebenso wie der CSU-Vorsitzende Edmund Stoiber dafür, das Ziel neu zu definieren. "Wir wollen die privilegierte Partnerschaft", sagte sie der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung".
Erdogan warnt vor Kurswechsel
Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan warf der CDU/CSU vor, mit dieser Haltung die Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei aufs Spiel zu setzen. In der "Bild am Sonntag" warnte er davor, von dem Ziel einer EU-Vollmitgliedschaft seines Landes abzurücken: "Wir sind nicht bereit, irgendetwas anderes zu akzeptieren."
Die FDP plädierte für eine Volksabstimmung auch in Deutschland. In einer Umfrage des Instituts polis für "Focus" sprachen sich 44 Prozent für die Verfassung und 39 Prozent dagegen aus. Vor den Referenden habe das Verhältnis zwischen Ja- und Nein-Stimmen in Deutschland nach einer Infratest-Umfrage noch bei 52 zu 32 Prozent gelegen, berichtete das Nachrichtenmagazin.
Reuters, AP