Anzeige
Anzeige

Dummdreiste Desinformation Ukrainische Soldaten bedrohen und beschießen Frau samt Kind? Kreml-Propaganda blamiert sich mit inszeniertem Video

Einer der Soldaten feuert mehrere Schüsse am zuvor "kontrollierten" Fahrzeug vorbei
Einer der Soldaten feuert mehrere Schüsse am zuvor "kontrollierten" Fahrzeug vorbei
© Screenshot / Telegram
Mit dem Narrativ, die Nazi-Ukraine bedrohe das russische Volk, rechtfertigt der Kreml seinen Angriffskrieg. Dumm nur, wenn sich "Beweismaterial" für die vermeintlich nationalistische Gesinnung des Nachbarn als schlechte Inszenierung entpuppt. Ein Faktencheck.

Seit Beginn versucht Russland seinen Angriffskrieg auf die Ukraine vor allem damit zu rechtfertigen, man müsse das eigene Volk und alle russischstämmigen Menschen vor dem Kiewer Nazi-Regime und den Faschisten im Westen beschützen. Regelmäßig befeuert die Kreml-Propaganda dieses Narrativ mit angeblichem "Beweismaterial".

Jüngstes Beispiel: Ein Dashcam-Video von einer vermeintlichen Fahrzeugkontrolle durch ukrainische Soldaten, in deren Verlauf die Fahrerin und ihr angeblich mit im Auto sitzendes Kind massiv beschimpft und bedroht werden, als einer der Militärs bemerkt, dass die Frau russisch spricht und Muslimin ist. Gegen Ende der etwas mehr als zweiminütigen Aufnahme gibt der Soldat noch mehrere Schüsse in Richtung Fahrzeug ab.

Wir haben uns das Video genauer angeschaut – ein Faktencheck mit eindeutigem Ergebnis.

Russisches Außenministerium löscht Tweet zum Fake

Behauptung: Ukrainische Soldaten stoppen Mutter mit Kind in Auto, ein Militär bedroht die beiden und schießt in Richtung des Fahrzeugs.

Bewertung: Falsch. Das Video ist inszeniert und wurde östlich von Donezk in von Russland kontrolliertem Gebiet aufgenommen.

Die Fakten: Das Video der angeblichen Fahrzeugkontrolle wird am Montagnachmittag (27. März) zunächst auf diversen pro-russischen Telegram-Kanälen, darunter Accounts mit mehreren Hunderttausend Abonnenten, verbreitet. In der Folge greifen auch offizielle Kreml-Sprachrohre die Geschichte auf. Das russische Außenministerium teilt die Aufnahme auf Twitter und schreibt dazu: "Einmal ein Nazi, immer ein Nazi. Das ist die Art von Terror, in der die Ukrainer leben." Während das Außenministerium den Tweet mittlerweile kommentarlos gelöscht hat, ist die Desinformation auf dem Twitter-Profil der russischen Botschaft im Vereinigten Königreich weiterhin online (hier archiviert): 

Warum Desinformation? Gleich mehrere Internet-User fanden nach der Veröffentlichung schnell heraus, dass hier keine ukrainischen Soldaten zu sehen sein können und das Video stattdessen inszeniert wurde, um die Ukraine als Nazi-Land darzustellen.

Video in von Russland kontrolliertem Gebiet aufgenommen

Das stärkste Argument für die Desinformations-These: Obwohl die per Dashcam aufgezeichneten Fahrt kaum Hinweise auf die Umgebung liefert, reichten einige markante Punkte wie Baumäste, Strommasten und eine Weggabelung aus, um den Aufnahmeort östlich von Donezk zu lokalisieren (Google-Maps-Link). Der Beleg: Auf einer anderen Dashcam-Aufnahme mit Start in Donezk ist an einer Stelle exakt die Anordnung von Baumästen zu sehen, wie sie auch im Fake-Video zu erkennen ist.

Aufnahmeort der fake-Fahrzeugkontrolle
Der Aufnahmeort des Videos bei Google Maps
© Montage: stern / Martin Thiele

Demnach wurde das Video etwa 30 Kilometer hinter der aktuellen Frontlinie in von Russlands Armee kontrolliertem Gebiet aufgenommen. Dass hier eine ukrainische Einheit patrouilliert, ist zu 100 Prozent auszuschließen.   

Weitere Indizien sprechen für eine Inszenierung

  • Die angeblichen ukrainischen Soldaten sind mit gelben Bändern an Helm, Armen und Beinen markiert. Tatsächlich nutzt die ukrainische Armee aktuell grüne Markierungen, um die eigenen Truppen identifizieren zu können.
  • Der zweite Soldat hält den Lauf seines Gewehrs während der gesamten Aufnahme auf den Boden gerichtet, zwischenzeitlich wendet er dem Geschehen sogar seinen Rücken zu. So aber würde ein Soldat in einer potenziellen Gefahrensituation niemals reagieren.
  • Beide Soldaten sind maskiert, was nichts heißen muss, aber sicherstellt, dass die beiden nicht identifizierbar sind.
  • Auffällig ist zudem das auf der Heckklappe des Pickup-Trucks aufgemalte Kreuz, das User als sogenanntes "Balkenkreuz" identifizierten. Das auch von der deutschen Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg verwendete Zeichen wird in der ukrainischen Armee allerdings nicht genutzt. Offensichtlich soll hier das Nazi-Narrativ untermauert werden.
  • Das ukrainische Innenministerium verbot Autofahrern bereits im März 2022, also kurz nach Kriegsbeginn, unter Strafandrohung das Nutzen einer Dashcam. Der Grund: Die Aufnahmen könnten die eigenen Truppen in Gefahr bringen, wenn sie in falsche Hände gerieten. Da das Verbot für alle Regionen der Ukraine gilt, ist es unwahrscheinlich, dass das Auto einen Kontrollpunkt ungehindert hätte passieren dürfen.
  • Im Video sind weder die Frau noch das angeblich mitfahrende Kind zu sehen. Dies befeuert die Spekulation, dass die Tonspur nachträglich hinzugefügt worden sein könnte. Das ist anhand der hochgeladenen Dateien jedoch nicht überprüfbar.
  • Das Auto der angeblich bedrohten Frau wirkt sehr sauber dafür, dass es sich in Kriegsgebiet bewegt.

Der gesichert östlich von Donezk lokalisierte Aufnahmeort sowie die vielen Ungereimtheiten ließen dann sogar pro-russische Kanäle an der Echtheit der Geschichte zweifeln. Ein Account mit rund 300.000 Abonnenten, der das Video auch samt Nazi-Narrativ verbreitet hatte, schrieb später ganz kleinlaut: "Bei der Durchführung solcher Informationsoperationen müssen wir noch lernen und lernen."

Mehr zum Thema

Newsticker

VG-Wort Pixel