Wer die Briten einmal bei ihrer wahren Selbsteinschätzung ertappen will, nimmt am besten einen James-Bond-Roman zur Hand. Da sucht der nassforsche CIA-Agent Felix Leiter stets die Konfrontation - und würde ohne seinen englischen Kollegen 007 dauernd vor die Wand rennen. Fazit: Die ganze Macht und Technologie der "Yankees" wiegt britische Umsicht und Erfahrung nicht auf. Und so sind die Briten auch jetzt im Irak wieder davon überzeugt, dass sie alles besser machen würden.
Federbusch statt Helm
Von Anfang an haben sie eine andere, wesentlich zurückhaltendere Strategie verfolgt. Während US-Marineinfanteristen in Bagdad mit Helmen, vermummten Gesichtern und Gewehr im Anschlag auf der Lauer lagen, trugen die Briten in Basra Tellermützen mit Federbusch, schüttelten Hände und verteilten Süßigkeiten. Man gehe halt "very British" vor, urteilte der "Daily Telegraph": mit Fingerspitzengefühl und Understatement.
Zwar ist auch Basra inzwischen das Ziel blutiger Anschläge geworden, doch im Vergleich zum Norden ist die Lage dort immer noch ruhig. Als Beweis für den Erfolg ihrer Strategie verweisen die Briten gern darauf, wie sie vor einigen Wochen die Besetzung eines Verwaltungsgebäudes in Basra durch mehrere hundert Iraker gewaltlos beendeten. Wäre man da nach "Cowboy-Manier" sofort mit schwerem Geschütz aufmarschiert anstatt ruhig zu verhandeln, hätte das ganz übel ausgehen können, heißt es in London.
Deutliche Spannungen zwischen Militärs und Diplomaten
So einig sich Präsident George W. Bush und Premierminister Tony Blair auch zeigen, im Irak bestehen zwischen den Militärs und Diplomaten der beiden Verbündeten schon länger deutliche Spannungen. Der britische Sondergesandte Sir Jeremy Greenstock weigerte sich im vergangenen Monat, noch länger in Bagdad zu bleiben - auch Blairs Bitten halfen nicht. Greenstock stand auf schlechtem Fuß mit dem US-Zivilverwalter Paul Bremer, den er nach Zeitungsinformationen als "zu ideologisch" und "naiv" bezeichnete. Für grundfalsch hielt er unter anderem Bremers Entscheidung, die irakischen Streitkräfte aufzulösen und Mitglieder aus Saddam Husseins Baath-Partei von allen Ämtern auszuschließen.
Greenstock hat nach einem "Times"-Bericht auch die 52 ehemaligen britischen Diplomaten beraten, die Blairs Nahost- und Irakpolitik in dieser Woche scharf angriffen. "Den Widerstand (im Irak) als eine von Terroristen, Fanatikern und Ausländern geführte Aktion zu beschreiben, ist weder überzeugend noch hilfreich", kritisierten sie. "Wie sehr sich die Iraker auch immer nach einer Demokratie sehnen mögen, die Vorstellung, dass diese von der Koalition geschaffen werden könnte, ist naiv."
Die Briten glauben, dass sie den Amerikanern zwei wichtige Erfahrungen voraushaben: Zum einen haben sie sich schon als Kolonialmacht am Irak die Zähne ausgebissen und dabei lernen müssen, dass ein unnachgiebiges Vorgehen - Kriegsminister Winston Churchill erwog sogar Giftgaseinsätze - die Lage nur verschlimmerte. Zum zweiten haben sie in Nordirland erfahren, dass man eine von großen Teilen der Bevölkerung getragene Terrorbewegung nicht mit polizeilichen und militärischen Mitteln niederringen kann, sondern irgendwann auch verhandeln muss.
Irritierte Amerikaner
Die Amerikaner wiederum sind - nach allem was durchsickert - sehr irritiert durch ihren "besserwisserischen" Juniorpartner. Sie werfen ihm eine zu lasche Einstellung vor und beschuldigen ihn, das oberste Ziel einer Demokratisierung des Landes praktisch aufgegeben zu haben.
Unterdessen haben im Irak Attentäter am Donnerstag einen der schwersten Anschläge auf US-Soldaten seit Kriegsbeginn verübt und dabei acht von ihnen getötet. Sie starben nach Armeeangaben in dem südlichen Bagdader Vorort Mahmudija bei der Explosion einer Autobombe.
Zwei weitere US-Soldaten kamen bei Anschlägen im Osten Bagdads und in Bakuba ums Leben, womit sich die Zahl der im April getöteten Soldaten auf 125 erhöhte. Damit entrichteten die US-Truppen allein in diesem Monat einen höheren Blutzoll als bei der dreiwöchigen Invasion des Irak vor über einem Jahr. Wegen des erbitterten Widerstandes verlegten die USA Dutzende zusätzliche Panzer in den Irak, darunter auch in das Gebiet um die belagerte sunnitische Rebellenhochburg Falludscha. US-Truppen begannen unterdessen mit einem Rückzug aus Teilen der Stadt. Der Schritt war US-Angaben zufolge mit ehemaligen irakischen Offizieren ausgehandelt worden.
Panzer nach Falludscha und Tikrit
Als Brennpunkt des Widerstandes gilt die von den US-Streitkräften belagerte Stadt Falludscha im „sunnitischen Dreieck“. Dort konzentrieren sich Anhänger des gestürzten Ex-Präsidenten Saddam Hussein, der den Sunniten eine privilegierte Stellung im Staat eingeräumt hatte. US-Generalmajor John Sattler sagte in Washington, zwei Dutzend der zusätzlichen Panzer vom Typ „M1A1 Abrams“ seien für jene US-Truppen bestimmt, zu deren Operationsgebiet Falludscha gehöre. Etwa dieselbe Anzahl Panzer werde nach Tikrit, die Heimatstadt Saddams, verlegt.
Noch vor wenigen Monaten hatte die US-Armee beschlossen, im ersten Halbjahr 2004 ihr schweres Kriegsgerät im Irak zu verringern. Sattler erklärte den nunmehr vorgenommenen Strategiewechsel damit, dass die gegen US-Soldaten gerichtete Gewalt zugenommen habe.
US-Präsident George W. Bush hatte am Mittwochabend angekündigt, die Armee werde alles in ihrer Macht stehende tun, um Falludscha zurückzuerobern. Am Donnerstag begannen jedoch US-Marineinfanteristen mit einem Abzug aus Teilen der Stadt. Ein Armeesprecher bestätigte den eingeleiteten Teilabzug. Der Schritt entspreche Vereinbarungen mit früheren Offizieren der irakischen Armee, um die Lage in der Stadt zu beruhigen. Offen blieb zunächst, welchen Einfluss die Ex-Offiziere auf die in der Stadt verschanzten Freischärler haben. Die Widerstandskämpfer hatten ein US-Ultimatum zur Abgabe ihrer schweren Waffen verstreichen lassen.
Nach schweren US-Luftangriffen auf Falludscha in der ersten Wochenhälfte und vereinzelten nächtlichen Gefechten kehrte am Donnerstag relative Ruhe in der 300.000-Einwohner-Stadt ein. Außerhalb Falludschas kam es jedoch zu einem folgenreichen Zwischenfall, als US-Soldaten in der Nähe eines Kontrollpunkts auf einen Minibus mit Zivilisten feuerten. Dabei wurden nach irakischen Polizeiangaben vier Passagiere getötet.
Friedensmarsch in Rom für Freilassung der Geiseln
Hunderte Menschen haben sich derweil in Rom zu einem Friedensmarsch versammelt, mit dem sie das Leben der drei in Irak entführten italienischen Geiseln retten wollen. Die Kidnapper hatten gedroht, die Männer umzubringen, wenn die Italiener nicht gegen die Irak-Politik ihrer Regierung protestierten. Zu der Demonstration hatten die Angehörigen der Entführten aufgerufen. Es sei ein Marsch für den Frieden, nicht gegen die Irak-Politik von Ministerpräsident Silvio Berlusconi, betonten die Familienangehörigen.
Der Friedenszug sollte von der Engelsburg in Richtung Petersplatz führen. Er hoffe, dass es nicht schon zu spät sei, sagte der Vater einer der Geiseln, Angelo Stefio, im Fernsehen. Die drei Italiener waren am 12. April entführt worden, eine vierte Geisel wurde bereits ermordet.