Von Leugnern zu Mahnern Trump, Bolsonaro und ihr gemeinsames Problem: das Coronavirus lügt nicht

Donald Trump redet über Maßnahmen gegen die Coronavirus-Krise in den USA
© DPA




Während Donald Trumps Ansprache lässt C-SPAN die Kamera noch laufen – und erwischt peinliche Momente.
O-Ton: "Okay." 
Ein Blick hinter die Kulissen, den es eigentlich nicht hätte geben sollen.  Während Donald Trumps TV-Ansprache an die Nation unterläuft dem Sender C-SPAN eine kleine Panne. Vor der Live-Übertagung überträgt C-SPAN bereits den Ton aus dem Oval Office. Zuschauer können den US-Präsident bei seiner Vorbereitung hören: 


"Ach scheiße. Ach, nein. Ich habe einen Fleck vom Stift. Hat jemand ein Wischtuch? Etwas, womit ich es abwischen kann?"
Und nach der Ansprache gibt es wieder einen Patzer – die Kamera läuft weiter.
"Wir sind raus." 
"Okay. Okay."
Zuschauer teilen die Szenen im Netz und machen sich etwa über den US-Präsidenten lustig. Obwohl die Fehler für Trump-Gegner ein gefundenes Fressen sein mögen, ist der Inhalt seiner Ansprache nicht zum Lachen. Bislang sind mindestens 37 Menschen in den Vereinigten Staaten an einer Covid-19-Erkrankung gestorben. Laut einer Statistik der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore sind inzwischen mehr als 1100 Menschen in den USA mit dem Coronavirus infiziert. Trumps Patzer sollten also nicht davon ablenken, wie ernst die Lage ist. 
Sie haben das Coronavirus konsequent heruntergespielt. Nun legen die Präsidenten Jair Bolsonaro (Brasilien) und Donald Trump (USA) eine bemerkenswerte Kehrtwende hin: von Leugnern zu Mahnern.

Der eine dürfte weiterhin als veritabler Verdachtsfall gelten, der andere scheint davongekommen zu sein. Donald Trump und Jair Bolsonaro, die Präsidenten der USA und Brasiliens, haben plötzlich nicht mehr nur politisch mit dem Coronavirus zu kämpfen – sondern auch persönlich. Bolsonaro wurde zwar nach eigenen Angaben negativ auf die Virus-Erkrankung getestet, er kam dem Erreger aber wie auch Trump (schon mehrmals) gefährlich nahe. Sie hatten jeweils Kontakt zu infizierten Personen.

Beide haben die Gefahren und das Risiko durch die Virus-Erkrankung lange und konsequent heruntergespielt. Und beide haben eine bemerkenswerten Wandel im Umgang mit der Krise hingelegt – ließ sich das Virus weder wegreden noch wegtwittern. Chronik zweier Kehrtwenden.

Zwei Bilder, zwei Weltanschauungen  

Zwischen den Bildern liegen zwei Tage, aber vor allem zwei Weltanschauungen, die unterschiedlicher kaum sein könnten – und zusammen betrachtet einen Offenbarungseid darstellen. 

Das erste Bild stammt vom 10. März 2020. Es zeigt Jair Bolsonaro, Brasiliens Präsidenten, vor Medienvertretern in Florida (USA). Einen Tag zuvor ist der Índice Bovespa, der Aktienindex in Brasilien, spektakulär abgerauscht. Sind die Turbulenzen an den Finanzmärkten ein Ergebnis der Coronavirus-Epidemie? Von einer großen Krise kann nicht die Rede sein, sagt Bolsonaro, und wirft den Journalisten Panikmache vor. Vieles von dem, was die "Mainstream Medien" über das Virus berichteten, sei "Fantasie". Und überhaupt: eine Epidemie? Andere Grippe-Erkrankungen hätten schon mehr Menschen getötet, winkt Bolsonaro ab.

Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro vor Medienvertretern in Florida (USA)
Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro vor Medienvertretern in Florida (USA)
© Zak BENNETT / AFP

Das zweite Bild stammt vom 12. März 2020. Es zeigt Jair Bolsonaro in seiner wöchentlichen Live-Schalte – und bei einer Kehrtwende. Brasiliens Präsident trägt eine Atemschutzmaske, blickt in die Kamera und warnt seine Landsleute: "Was wir vermeiden müssen, ist, dass es eine Explosion der Zahl von Infizierten gibt." Mahnende Worte statt Medienschelte. 

Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro in einem Youtube-Video
Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro (M.) in einem Youtube-Video
© Screenshot: Youtube

Woher der Sinneswandel? Der vermeintlichen "Fantasie" ist die Realität dazwischen gekommen.

Jair Bolsonaro und der Offenbarungseid

Sein Kommunikationssekretär Fábio Wajngarten wurde positiv auf das Coronavirus getestet. Auch Bolsonaro wurde daraufhin untersucht - offiziell mit negativem Ergebnis. Inzwischen hat Brasilien mehr als 1400 Verdachtsfälle und mehr als 70 bestätigte Fälle. Bolsonaro darf sich glücklich schätzen, dass er wohl nicht dazu gehört. 

Der Fall legt einen weiteren Befund offen: Bolsonaro hat die Virus-Erkrankung heruntergespielt – und steht jetzt vor einem Glaubwürdigkeitsproblem. Brasilianische Medien kritisieren unlängst seine Verharmlosung der Krise. In keinem seiner letzten 100 Tweets hat Bolsonaro das Virus auch nur erwähnt, zählt der "Tagesspiegel"

Nun sagt er Sätze, wie: "Wir können niemals die Gesundheit unserer Menschen einem Risiko aussetzen" oder "Unsere Gesundheit und die unserer Familien muss erhalten bleiben", übersetzt die "Welt". Zur Erinnerung: In den Vereinigten Staaten hatte Bolsonaro noch gesagt, dass die kleine Corona-Krise mehr Fantasie und nicht alles das sei, was die Presse propagiere. 

Die Erkenntnis: Das Coronavirus lügt nicht, lässt sich weder wegreden noch wegtwittern. In eine ähnlich unangenehme Situation könnte daher auch sein amerikanischer Amtskollege geraten.

Donald Trump und der unsichtbare Feind

Denn Kommunikationssekretär Wajngarten war Teil der Delegation, die Bolsonaro auf seine Reise in die USA begleitet hatte. Brisant: Dabei hat er an einem Treffen mit US-Präsident Donald Trump in dessen Resort in Florida teilgenommen. Auf einem Foto auf seinem Instagram-Account war Wajngarten unter dem Slogan "Make Brazil Great Again" neben Trump und zusammen mit US-Vize-Präsident Mike Pence zu sehen.

An dieser Stelle hat unsere Redaktion Inhalte von Instagram integriert.
Aufgrund Ihrer Datenschutz-Einstellungen wurden diese Inhalte nicht geladen, um Ihre Privatsphäre zu schützen.

Ist Trump, der Virusleugner, nun auch ein Verdachtsfall? 

Die Antwort: keine Ahnung. Trump sagte am Donnerstag im Weißen Haus, er sei "nicht besorgt" angesichts der Berichte aus Brasilien. Man habe zusammen zu Abend gegessen, aber "wir haben nichts Außergewöhnliches gemacht". Die Sprecherin des Weißen Hauses, Stephanie Grisham, erklärte, Trump und Pence hätten "fast keine Interaktion" mit Wajngarten gehabt. Sie zu testen sei derzeit nicht erforderlich.

Ungeachtet dessen, dass die Inkubationszeit bei 14 Tagen liegt – und Symptome bei einem positiven Testergebnis auch erst später auftreten können. 

Trump gibt sich demonstrativ unaufgeregt. Auch nach Kontakt mit drei Republikanern, die wiederum Kontakt mit einem Infizierten hatten, sah Trump keine Notwendigkeit für einen Test. Am Dienstag sagte er:  Grundsätzlich würde er einen solchen machen, das sei schließlich "kein großes Ding". Aber es gebe "keine Symptome, nichts", so sein Leibarzt.

Seit dem ersten Coronavirus-Fall in den USA Ende Januar lautete Trumps Strategie in der Krise zunächst: Beschwichtigung. "Es wird weggehen", man müsse nur ruhig bleiben, sagte er da noch. "Amerika wird es hinkriegen!" Er spickte seine Aussagen zu dem Thema wiederholt mit parteipolitischen Kommentaren und schrieb noch am Montag auf Twitter, im vergangenen Jahr seien 37.000 Amerikaner an der normalen Grippe gestorben, ohne dass das Leben zum Stillstand gekommen sei. Darüber solle man mal nachdenken. Bolsonaro lässt grüßen.

Doch auch Trump schlägt neuerdings andere Töne an. Bei seiner Ansprache aus dem Oval Office am Mittwochabend (Ortszeit), übertragen im landesweiten Fernsehen zur besten Sendezeit, gibt er sich ernst und staatsmännisch. "Wir befinden uns in einer kritischen Phase im Kampf gegen das Virus", sagt er da plötzlich. Er will zeigen, was das Coronavirus ist: eine internationale Krise. Weil er weiß, dass es für ihn selbst noch dazu eine große politische Gefahr mitten im Wahljahr ist. 

Das Coronavirus ist für Trump eine besondere Herausforderung. Der Republikaner ist berüchtigt für unberechenbare Hauruck-Entscheidungen, streitsüchtige Tweets und harsche Kritik an seinen Gegnern. Trump, der politisch am stärksten sei, "wenn er einen menschlichen Feind zum Angreifen hat, scheint sich weniger sicher zu sein, wie er es mit einem unsichtbaren Killer aufnehmen soll", schrieb die "New York Times" kürzlich. Das Coronavirus reagiere nicht auf Trumps liebste Instrumente der Macht. 

Das haben Bolsonaro und Trump gemeinsam: Ihr beliebiger Umgang mit der Wahrheit stößt beim Coronavirus an Grenzen.

Quellen: Reuters, "Die Welt", "Der Tagesspiegel", Nachrichtenagentur DPA