Hinweis: Dieses Porträt erschien zuerst am 24. Juni auf stern.de. Aus aktuellem Anlass veröffentlichen wir dieses in einer aktualisierten Fassung erneut.
Er lieferte auf Bestellung den Tod. Davor war es Fingerfood.
Als Chef der Privatarmee Wagner war der russische Geschäftsmann Jewgeni Prigoschin gefürchtet. Vor zwei Monaten, am 23. Juni dieses Jahres, zettelte der 62-Jährige den Aufstand gegen die Moskauer Militärführung an, blies jedoch zum Rückzug. Danach war er bei Wladimir Putin, seinem Präsident und Gönner, in Ungnade gefallen und der Wagner-Chef musste nach Belarus. Zu hören war von Prigoschin seit der Revolte nur noch wenig.
Am Mittwoch geht dann eine Meldung um die Welt: Beim Absturz eines Passagierflugzeugs im Gebiet Twer, nordwestlich von Moskau, soll Prigoschin ums Leben gekommen sein. Sein Name stehe in der Passagierliste der abgestürzten Maschine, meldete die russische Nachrichtenagentur Tass unter Berufung auf die Luftfahrtbehörde. Was genau an Bord der Maschine geschah, war zunächst unklar. Unklar bislang auch: Ob der Wagner-Chef tatsächlich tot ist. Nach Angaben seines Telegram-Kanals Grey Zone ist er tot. Von offizieller Seite steht eine Bestätigung allerdings aus.
Was ist bekannt über den Mann, der als "Putins Koch" berüchtigt wurde?
Vom Hotdog-Verkäufer zum Präsidenten-Caterer
Genau wie sein späterer Gönner wurde Prigoschin in Sankt Petersburg (damals noch Leningrad) geboren. Seine jungen Jahre waren wenig glorreich. Den Großteil der Achtziger verbrachte er hinter Gittern – Raub, Betrug, Prostitution, von allem etwas. Doch danach sollte es für den verurteilten Verbrecher steil bergauf gehen.
Nach seiner Entlassung eröffnete Prigoschin in seiner Heimatstadt einen Hotdog-Stand. Und dann noch einen. Und dann noch einen. Prigoschin bewies schnell ein Händchen fürs Geschäft. Er gründete ein Catering-Unternehmen, stieg in eine Supermarktkette ein und machte bald sein eigenes Restaurant auf. Das Lokal wurde zum Treffpunkt der städtischen Elite.
Hier machte er wohl auch die wichtigste Bekanntschaft seines Lebens. Er lernte den stellvertretenden Bürgermeister von Sankt Petersburg kennen: Wladimir Putin. Der eröffnete dem Gastronomen in den kommenden Jahren ganz neue, vergoldete Türen. Als "Putins Koch" betrieb Prigoschin nicht nur ein Restaurant im Regierungssitz, sondern gab auch den Caterer bei Staatsbanketten. So bewirtete er unter anderem US-Präsident George W. Bush und Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac.
Prigoschins Beziehungen bis in die Chefetage zahlten sich aus. So sehr, dass er bald mehrere Töpfe auf dem Feuer hatte. Er investierte unter anderem in Medien – auch in solche, die ungewollt Schlagzeilen machten. Denn im Rest der Welt war Prigoschin lange weniger für sein Boeuf Stroganoff als vielmehr für seine Rolle in der "Internet Research Agency" bekannt. Die russische Trollfabrik verbreitete bei den US-Präsidentschaftswahlen 2016 zur Unterstützung von Donald Trump gezielt Desinformationen.
Gruppe Wagner: die Schattenarmee
Seine größte Investition war allerdings in den mietbaren Tod. Prigoschins hauseigenem, äußerst patriotischem Gründungsmythos zufolge habe er die paramilitärische Organisation Wagner 2014 aus dem Boden gestampft, nachdem er Zeuge prorussischer Proteste in der Ostukraine wurde. So lautet eine, seine Version der Geschichte. Die andere ist, dass Wagner vom russischen Nachrichtendienst GRU selbst gegründet wurde. Prigoschin soll lediglich wegen seiner exzellenten Verbindungen zum Militär eingespannt worden sein – als eine Art Geschäftsführer, wie das russische Investigativmagazin "The Bell" berichtete.
Nach dem Einsatz in den Separatistengebieten in der Ostukraine (zuvor hatte Russland die ukrainische Halbinsel Krim annektiert) suchte Prigoschin für seine Männer neue Schlachtfelder. Für den Kreml war die Arbeit der Wagneristen, die auf dem Papier nicht existierten, ein Geschenk. Wollte Moskau feuern und leugnen, wurde Wagner zum Mittel der Wahl. Die Truppe diente Moskau fortan als Allzweckwaffe zur Sicherung der eigenen wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Interessen. Die lagen unter anderem in Syrien, Libyen oder Burkina Faso. Die Einsatzorte der Mietkrieger überschnitten sich allzu oft mit den Geschäftsinteressen ihres Chefs. Berichten zufolge sicherte der sich so unter anderem ertragreiche Bergbauverträge.
Was allerdings gern vergessen wird: Prigoschin hatte lange Zeit vehement bestritten, Chef der international agierenden Söldnertruppe zu sein. Erst im Herbst vergangenen Jahres trat er aus dem Halbschatten, als er behauptete, Wagner einst selbst gegründet zu haben. Zuvor hatte Prigoschin noch vor einem britischen Gericht gegen einen Journalisten geklagt, der seine engen Verbindungen zum Kreml aufgedeckt hatte.
Prigoschin, der Entfesselte
Als Putin in der Nacht des 24. Februar 2022 zum Angriff auf die Ukraine blies, dürfte sich Prigoschin die Hände gerieben haben. Seine Söldner galten in der in weiten Teilen unerfahrenen russischen Armee als heiß begehrte Veteranen und sollten eine Schlüsselrolle im geplanten Sturm auf Kiew einnehmen.
Zunächst kämpften sie Seite an Seite mit regulären russischen und prorussischen Verbänden. Obwohl Wagners Rolle in Putins Feldzug kaum zu leugnen war, tat der Kreml lange genau das. Praktisch – schließlich muss der Kreml für Soldaten, die gar nicht existieren, auch keinen Totenschein ausstellen.
Seit dem Zweiten Weltkrieg standen nicht mehr so viele Russen unter Waffen. Für die Organisation wurde der Überfall aufs Nachbarland zur echten Jobmesse. Prigoschin rekrutierte Tausende für die Front, die meisten davon direkt aus russischen Gefängnissen. Straftätern versprach er die Freiheit – im Tausch für ein halbes Jahr Dienst. Prigoschin drückte schätzungsweise 40.000 größtenteils unerfahrenen Männern Waffen in die Hände. Allein in der strategisch unbedeutenden Kleinstadt Bachmut sollten Zehntausende ihr Leben lassen.
Trotz schwerer Verluste blähte sich die Söldnerstreitmacht zusehends auf – und mit ihr ihr Anführer.
Prigoschins verbale Angriffe gen Moskau wurden immer heftiger. Das Verteidigungsministerium behandle seine Männer wie Kanonenfutter, man schicke ihnen nicht einmal ausreichend Munition. Noch schlimmer: Die aus seiner Sicht feigen Generäle schmückten sich mit seinen Federn.
Am 23. Juni 2023 eskalierte die Lage schließlich vollends. Prigoschin warf dem eigenen Militärapparat vor, einen Luftschlag auf seine Söldner befohlen zu haben. Und dann ist das Unmögliche auf einmal Wirklichkeit: Putins Koch verrät Putin. Er probt den Aufstand, schickt seine Krieger in Richtung Hauptstadt. Erst kurz davor pfeift er die Kolonne zurück.
Putins Albtraum
Einfluss entsteht in Russland fast ausschließlich durch Nähe zu Putin. Wer sich in dessen Hofstaat hervortut, dem winken Macht und Reichtum. Aus diesem Grund hütete sich Prigoschin in den vergangenen Monaten tunlichst davor, die Hand zu beißen, die ihn füttert. Zugeschnappt hat er trotzdem. Prigoschin und Verteidigungsminister Sergej Schoigu gelten als ziemlich beste Feinde. Schließlich sind die besten Plätze auf Putins Schoß begrenzt.
Der Wagner-Chef warf der russischen Armeeführung immer wieder Inkompetenz vor. "Schickt all diese Bastarde an die Front, barfuß und mit Maschinengewehren", wetterte Prigoschin bereits zum Beispiel im Oktober auf Telegram. Den Oberbefehlshaber treffe keine Schuld: Vielmehr würden die Generäle Putin über den verheerenden Kriegsverlauf belügen, um ihre eigene Haut zu retten. Und was tat Putin, um dem Gezänk zu seinen Füßen ein Ende zu setzen? Nichts. Das kam dem Kremlchef nun teuer zu stehen.
Doch Kremlchef Wladimir Putin ist dafür bekannt, Verrat – noch dazu von Freunden – eiskalt zu bestrafen. Womöglich hat er dies nun getan.