Krieg in der Ukraine Putin versetzt seine Truppen in Atom-Alarmbereitschaft – warum Militär-Experten vor Panik warnen

Abschuss russische Atomrakete
Der Abschuss einer russischen ballistischen Atomrakete vom Typ "Jars" während eines Manövers
© Uncredited/Russian Defense Ministry Press Service/AP/ / DPA
Putin hat seine atomaren Streitkräfte in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt. Das klingt bedrohlich und soll es auch. Aber für Sicherheitsexperten ist Putins Order eher ein Signal dafür, dass der russische Präsident verunsichert ist.

Es gibt wohl niemanden, der am Sonntag nicht wenigstens kurz zusammengezuckt ist, als er die Push-Meldung auf dem Handy wahrgenommen hat: "Putin versetzt seine Atomstreitkräfte in Alarmbereitschaft". Bei den Älteren poppten unfreiwillig Erinnerungen auf an den Kalten Krieg, an Pershing 2 und SS 20 und an Szenarien, in denen Deutschland zumeist als atomares Schlachtfeld vorgekommen ist.

Und auch aktuell hat Putins Drohung dazu geführt, dass sich Menschen in Deutschland nach dem nächsten Luftschutzbunker erkundigen und Apotheken von einer verstärkten Nachfrage nach Jodtabletten berichten.

Doch wie begründet sind diese Ängste? Was heißt Alarmbereitschaft? Und was will Putin eigentlich mit seiner Drohung bezwecken?

Sowohl Russland als auch die USA haben unterschiedliche Intensitätsstufen der Mobilmachung ihrer Streitkräfte. Russland verfügt über vier Stufen, die US-Amerikaner über fünf, Defcon genannt (Defense Ready Condition). Was Putin mit seiner Order, "die Streitkräfte der Abschreckung der russischen Armee in ein besonderes Regime der Alarmbereitschaft zu versetzen" letztlich konkret getan hat: Er hat die Stufe von eins auf zwei erhöht.

Die Bedeutung der einzelnen Stufen sieht laut Professor Carlo Masala von der Universität der Bundeswehr in München vereinfacht etwa folgendermaßen aus:

  • Stufe 1: der Normalzustand. Die Waffen sind vorhanden, aber es geschieht nichts.
  • Stufe 2: erhöhte Alarmbereitschaft. Die Einheiten bleiben dauerhaft in den Kasernen, damit sie schnell reagieren können.
  • Stufe 3: militärische Gefahr. Waffen werden scharf gemacht. Die nuklearen Sprengköpfe werden auf Trägersysteme montiert (U-Boote, Flugzeuge, mobile Abschussrampen).
  • Stufe 4: Krieg mit Nuklearwaffen.

Was die zweite Stufe konkret meint, schildert Generalmajor Boris Solowjow, der selbst früher bei den entsprechenden Streitkräften war, der Zeitung "Komsomolskaja Prawda" so: "Dann kann in jedem beliebigen Moment der 'rote Knopf' betätigt werden."

Der rote Knopf – das sind in Russland drei Atomkoffer

Der ominöse rote Knopf, das sind in Russland Atomkoffer, von denen es drei geben soll. Einen hat Putin, den zweiten Verteidigungsminister Sergei Shoigu, ein enger Vertrauter Putins, der mit ihm dem Vernehmen nach privat Urlaub macht und auf die Jagd geht, und der dritte befindet sich im Gewahrsam des Chefs des Generalstabs. Laut einer US-amerikanischen Studie von 2019 war das Procedere bis 1991 so, dass der Präsident und der Verteidigungsminister zwei separate Codes schickten, denen der Chef des Generalstabes seinen Code hinzufügen musste. Unklar ist allerdings, ob es inzwischen Veränderungen an diesem Vorgehen gegeben hat.

Bei den Amerikanern sehen die Eskalationsstufen Defcon ähnlich aus. Von Defcon 5 (Friedenszeiten) bis Defcon 1 (maximale Einsatzbereitschaft), bei der der US-Präsident einen massiven Atomschlag gegen einen Gegner befehlen kann. Defcon 1 wurde noch nie ausgerufen seit dem Zweiten Weltkrieg. In der Kuba-Krise wurden die strategischen Streitkräfte zeitweise in Defcon 2 versetzt.

Putins Drohung ist "verbales Säbelrasseln"

So martialisch Putins Order auch klingen mag: Militärexperten halten einen russischen Nuklearschlag für äußerst unwahrscheinlich. "Das ist verbales Säbelrasseln", sagt der Nuklearwaffenexperte Hans Kristensen der "New York Times". Er betont: "Wir werden sehen, wohin er (Putin) damit steuert. Dieser Krieg ist erst vier Tage alt und er hat bereits zweimal mit Atomwaffen gedroht."

Matthew Kroenig, der ebenfalls zu Atomwaffen forscht, sagt der Zeitung: "Staaten mit Atomwaffen können keinen Atomkrieg führen, weil sie damit ihre Auslöschung riskieren würden, aber sie können damit drohen und tun es auch." Es sei eine Art Spiel, um das Kriegsrisiko zu erhöhen, "in der Hoffnung, dass die andere Seite einen Rückzieher macht und sagt: 'Oh je, das ist es nicht wert, einen Atomkrieg zu führen.'"

Carlo Masala von der Bundeswehr-Uni in München formuliert seine Überzeugung in einer Leserdiskussion mit der "Süddeutschen Zeitung" so: "Ich denke nicht, dass sich der Krieg ausbreiten wird. Putin hat klar begrenzte Ziele. Und das ist die Ukraine. Und die Befürchtung, dass er die baltischen Staaten angreifen könnte, teile ich nicht, weil er sich dann im Krieg mit der Nato befinden würde. Und das will Putin nicht, weil er weiß (er hat es auch gesagt), dass weder Russland noch die Nato einen solchen Krieg gewinnen kann."

Ukraine: Massive Detonation im Zentrum von Charkiw – Videos zeigen Raketen-Einschlag und Zerstörung danach
Ukraine: Massive Detonation im Zentrum von Charkiw – Videos zeigen Raketen-Einschlag und Zerstörung danach
© Wochit (Bildquelle)
Massive Detonation im Zentrum von Charkiw: Videos zeigen Raketen-Einschlag und Zerstörung danach

Für den ehemaligen deutschen Brigadegeneral und Merkel-Berater Erich Vlad steht fest: "Eine große Sorge muss man sich nicht machen. Wenn Putin zu diesem letzten Mittel jetzt schon greift, argumentativ, und es ins Spiel bringt, zeigt das eher, dass er verunsichert ist."

Putin ist verunsichert

Der Grund für eine solche Verunsicherung könnte womöglich sein, dass Putin einerseits mit einem schnelleren Vormarsch der russischen Truppen gerechnet hat und er andererseits von dem Tempo und der Schärfe der Sanktionen des Westens überrascht worden ist. Putin sei frustriert angesichts des ukrainischen Widerstands, daher die Drohung mit Atomwaffen, meint David Khalfa von der Stiftung Jean Jaures. Letztlich zielt er mit dem Versetzten seiner – auch atomaren – Truppen in den Alarmmodus darauf ab, die Solidarität und Einigkeit des Westens zu unterminieren und so die öffentliche Meinung zu manipulieren, so Khalfa. Kurz gesagt: Putin will, dass wir Angst haben und uns nach Jodtabletten und Luftschutzbunkern umsehen.

Nichtsdestotrotz fußen die Einschätzungen der Sicherheitsexperten unisono auf der Prämisse, dass es sich bei Putin letzten Endes immer noch um einen rationalen Player handelt, der das Risiko einer nuklearen Eskalation kühl abwägt. Ob dem tatsächlich so ist, kann tatsächlich jedoch niemand mit Sicherheit sagen.

Quellen: DPA, "Süddeutsche Zeitung", "heute", ORF.at