Bei den Zwischenwahlen zum US-Kongress im November 2022 haben die Republikaner gute Chancen, den Demokraten von Präsident Joe Biden die Mehrheit im Repräsentantenhaus und im Senat zu entreißen. Doch der Weg dahin stellt die Konservativen vor eine schwierige Entscheidung: Wie umgehen mit Donald Trump?
Fragt man Joe Kent, früheres Mitglied einer Spezialeinheit der Armee, ist die Antwort klar: Die Grand Old Party muss geschlossen hinter dem Ex-Präsidenten stehen. Kent ist Teil eines breiteren Vorstoßes von Anhängern der "Make America Great Again"-Bewegung, welche die republikanische Partei von denjenigen "säubern" will, die nicht als loyal gegenüber Trump und seinen Lügen über die Wahl 2020 und die Erstürmung des Kapitols gelten, wie die "Washington Post" berichtet. Er selbst kandidiert im Bundesstaat Washington für einen Sitz im Repräsentantenhaus, den derzeit sein Parteikollege Jaime Herrera Beutler innehat. Beutler hatte für ein Amtsenthebungsverfahren gegen Trump wegen dessen Rolle bei den Ereignissen am 6. Januar gestimmt.
Donald Trump mischt bei Kandidatenauswahl mit
Er habe wenig Interesse daran, mit den Demokraten zu streiten, wenn er es bei den Midterms in den Kongress schaffe, erklärte Kent der "Washington Post" zufolge seine Pläne. Stattdessen wolle er die Republikaner zu harten Abstimmungen zwingen, angefangen mit einem Amtsenthebungsverfahren gegen Biden und einer umfassenden Kongressuntersuchung der Präsidentschaftswahlen 2020, bei denen Trump der Sieg gestohlen worden sei. "Ein großer Teil davon wird sein, die Republikaner zu beschämen", zitiert die Zeitung den 41-Jährigen. "Ich muss die Leute in der republikanischen Partei, die wieder zu einem Mitmachen-um-klarzukommen zurückkehren wollen, angreifen. Entweder sie geben nach oder sie halten die Klappe."
Das Ziel der Maga-Bewegung im Repräsentantenhaus sei nach Aussage ihrer Organisatoren, ihre Gruppe mit derzeit etwa einem halben Dutzend losen Angehörigen zu vergrößern, berichtet die "Washington Post". Sie solle so viel Gewicht bekommen, dass sie zusammen mit Trump in der Lage sei, erheblichen Einfluss auszuüben, sollten die Republikaner die Mehrheit in der Kammer gewinnen. Dazu wolle die Bewegung in den republikanischen Vorwahlen solche Kandidaten unterstützen, die in stark Trump-freundlichen Kongressbezirken antreten, in denen der Vorwahlsieger später so gut wie sicher auch den Abgeordnetensitz gewinnt.
Trump hat seit seinem Ausscheiden aus dem Amt im Januar immer wieder bei der Auswahl republikanischer Kandidaten mitgemischt und Dutzende von Unterstützungserklärungen abgegeben. Wie Kent gehen viele der Bewerber in den Vorwahlen der Konservativen auf Landes- und Bundesebene gegen etablierte Politiker ins Rennen. Für die Wahlen zum Repräsentantenhaus im kommenden Jahr hat Trump bereits mehr als zwei Dutzend Republikaner unterstützt, darunter fünf Kandidaten, die gegen amtierende Parteikollegen antreten. Wer seine Rückendeckung sucht, macht dem 75-Jährigen in dessen Residenz Mar-a-Lago in Florida die Aufwartung und unterzieht sich dort einem Loyalitätscheck.
"Obwohl er sein Social-Media-Megafon verloren hat, mobilisiert seine Unterstützung für Kandidaten immer noch Anhänger der Basis, treibt Wahlkampfspenden in die Höhe und kann in einigen Fällen Rivalen aus dem Weg räumen", zitiert die Nachrichtenagentur AFP den Politikberater Tommy Goodwin.
Trumpismus ohne Trump?
Allerdings birgt eine öffentliche Unterstützungsbekundung durch Trump auch Risiken. Sie sei zwar bei parteiinternen Vorwahlen der Republikaner wertvoll, könne bei der eigentlichen Wahl aber hinderlich sein, erklärte der Politikwissenschaftler Sam Nelson der AFP. "Sie motiviert Demokraten, wählen zu gehen, um gegen den von Trump unterstützten Kandidaten zu stimmen."
Außerdem ist die Macht des amts- und twitterlosen Ex-Präsidenten bei Weitem nicht mehr so groß, wie noch während seiner Zeit im Weißen Haus. Zwar hat sich Trumps Lüge vom Wahlbetrug in weiten Teilen der republikanischen Partei und ihrer Anhänger durchgesetzt, doch wenn man das Jahr 2021 insgesamt betrachtet, erkennt man, dass er längst nicht mehr der Königsmacher ist, der er gerne wäre.
So hat Trumps Bewerber für den US-Senatssitz in Pennsylvania seine Kampagne aufgrund von Vorwürfen häuslicher Gewalt eingestellt. Seine Unterstützung für den Senatskandidaten Mo Brooks in Alabama scheint wenig Wirkung zu zeigen, wie der US-Sender CNN berichtet. Der von ihm unterstützte Kandidat bei einer Sonderwahl zum Kongress in Texas scheiterte. Und manche derer, die wie Joe Kent in den Vorwahlen gegen amtierende Republikaner antreten, die für ein Amtsenthebungsverfahren gegen Trump gestimmt hatten, haben mit Schwierigkeiten bei der Geldbeschaffung zu kämpfen.
Als eklatantestes Beispiel nennt CNN Harriet Hageman. Die von Trump unterstütze Rechtsanwältin will der republikanischen Abgeordneten Liz Cheney aus Wyoming, Intimfeindin aller Hardcore-Trumpisten und Mitglied des Komitees zur Untersuchung der Ereignisse vom 6. Januar, ihre dritte Wiederwahl vermasseln. Doch Cheney verfüge nach den jüngsten Angaben der zuständigen Behörde von Oktober über zehnmal mehr Wahlkampfmittel als ihre Herausforderin, berichtet CNN.
"Um den Zustand des Trumpismus fast ein Jahr nach dem 6. Januar zu verstehen, können wir auch einen Blick auf seine jüngsten Redeveranstaltungen werfen", schreibt der US-Sender in Anspielung auf die sogenannte History-Tour des Ex-Präsidenten zusammen mit dem ehemaligen Fox-News-Moderator Bill O'Reilly. "Es gelang ihnen nicht, genügend Karten zu verkaufen, um einige der Veranstaltungsorte zu füllen." Und in Dallas kassierte Trump bei der Show von einigen Zuhörern sogar Buhrufe, als er erklärte, er sei gegen das Coronavirus geimpft und habe auch bereits eine Auffrischungsimpfung erhalten.
Wie erfolgreich man als Republikaner auch ohne Unterstützung des Ex-Präsidenten sein kann, bewies Anfang November Glenn Youngkin. Der republikanische Bewerber für den Gouverneursposten im Bundesstaat Virginia hatte Trump im Wahlkampf lieber vorsichtig auf Abstand gehalten – und die Wahl spektakulär gewonnen. Er schnitt insbesondere in den Vorstädten, bei unabhängigen Wählern und Frauen deutlich besser ab als Trump bei der Präsidentschaftswahl 2020 in dem Bundesstaat, wie die AFP berichtet.
Auch die Midterms im nächsten Jahr könnten in den Vorstädten, in denen Trump viel weniger populär ist als in ländlichen Gegenden, entschieden werden. Für viele republikanische Strategen lautet die Siegesformel deshalb der Nachrichtenagentur zufolge: "Auf eine Politik im Stile Trumps setzen, den Ex-Präsidenten selbst aber möglichst heraushalten, ohne ihn zu verärgern. Also Trumpismus ohne Trump."
Quellen: "Washington Post", CNN, AFP