Großmanöver "Steadfast Defender" So probt die Nato den Ernstfall gegen einen "fast gleichrangigen Gegner" namens Russland

Luftwaffe Jet Nato Manöver
Luftwaffen-Jet im rumänischen Mihail Kogalniceanu. Die Bundeswehr schickt 12.000 Soldaten ins Manöver.
© Bernd von Jutrczenka / DPA
Den Namen Russland spricht niemand bei der Nato aus, doch genau dieses Land steht im Fokus des größten Nato-Manövers seit Jahrzehnten. 90.000 Soldaten, 50 Schiffe und mehr als 1000 Kampffahrzeuge sollen die Verteidigung gegen Kremltruppen proben.   

Als Verteidigungsminister Boris Pistorius im vergangenen November forderte, das Land müsse wieder kriegstüchtig werden, waren viele friedengewöhnte Deutsche geradezu empört. Dabei hatte er nur an etwas erinnert, was über die Jahrzehnte in Vergessenheit geraten war: die Möglichkeit eines Krieges. Oder besser: Die Tatsache, das europäische Mächte Krieg als Mittel ihrer Politik einsetzen. Wieder. Oder weiter, wie Russland unter seinem Präsidenten Wladimir Putin. Mittlerweile mag kaum noch jemand ausschließen, dass auf seinen Invasionsversuch der Ukraine Angriffe auf weitere Staaten folgen könnten, auch auf Nato-Mitglieder.

Größtes Nato-Manöver seit Jahrzehnten

Diesen Ernstfall probt nun das Verteidigungsbündnis. "Steadfast Defender", übersetzt "standhafter Verteidiger" heißt das Großmanöver, mit der die Nato den Fall der Fälle übt: einen Einmarsch Russlands in ein europäisches Land. 90.000 Soldaten werden dafür ab Mitte Februar rund vier Monaten lang mobilisiert. Es sei die größte Militärübung dieser Art seit Jahrzehnten, sagt der Oberbefehlshaber der Nato-Streitkräfte in Europa, Christopher Cavoli. Und: "Die Allianz wird ihre Fähigkeit demonstrieren, den euro-atlantischen Raum durch eine Verlegung von US-Truppen zu verstärken."

Vorbereitungen für die Manöver sollen nach Angaben des US-Generals bereits in der kommenden Woche beginnen. Der eigentliche Start ist dann für Februar vorgesehen. Trainiert werden soll dabei insbesondere die Alarmierung und Verlegung von nationalen und multinationalen Landstreitkräften.

Russischer Angriff auf alliiertes Territorium

Szenario der Übung ist nach Informationen der Nachrichtenagentur DPA ein russischer Angriff auf alliiertes Territorium, der zum Ausrufen des sogenannten Bündnisfalls nach Artikel 5 des Nato-Vertrags führt. Letzterer regelt die Beistandsverpflichtung in der Allianz und besagt, dass ein bewaffneter Angriff gegen einen oder mehrere Alliierte als ein Angriff gegen alle angesehen wird.

Die Bundeswehr wird sich nach eigenen Angaben unter anderem mit einer vierstufigen Großübung mit dem Namen "Quadriga 2024" an "Steadfast Defender" beteiligen. Dabei sollen bis Ende Mai mehr als 12.000 Soldaten im Einsatz sein und insbesondere Fähigkeiten zur schnellen Verlegung von Kräften an die Nato-Ostflanke trainieren. Von Mitte Mai an wird beispielsweise die 10. Panzerdivision auf verschiedenen Wegen Soldaten mit Gefechtsfahrzeugen nach Litauen verlegen und dort in einem Probe-Gefecht ihre Fähigkeit zum Kampf zeigen.

Der Nato-Staat im Baltikum gehört zu den Ländern, die sich wegen ihrer Lage besonders bedroht von Russland fühlen. Menschen dort befürchten, dass ihnen eines Tages ein ähnliches Schicksal drohen könnte wie den Menschen in der Ukraine, die mittlerweile seit fast zwei Jahren mit einem russischen Angriffskrieg konfrontiert sind. Cavoli sagte, die Übung werde ein klarer Beleg für den Zusammenhalt, die Stärke und die Entschlossenheit des Bündnisses zum gegenseitigen Schutz sein.

Im Süden des baltischen Staates befindet sich die sogenannte "Suwalki-Lücke", ein 70 Kilometer breiter Landstreifen, der zwischen Belarus und Kaliningrad liegt und sich links und rechts der litauisch-polnischen Grenze erstreckt. Schon länger treibt die Nato-Strategen die Sorge um, dass Russland dorthin vorstoßen könnte, um die Baltenstaaten von den übrigen Nato-Ländern abzuschneiden. Auch deswegen hat die Bundeswehr begonnen, 4000 Soldaten dauerhaft dort zu stationieren. 

50 Schiffe, 80 Kampfjets, 1100 Kampffahrzeuge,

Die Nato plant mit fast 100.000 Soldaten sowie mit mehr als 50 Schiffen – vom Flugzeugträger bis hin zum Zerstörer. Über 80 Kampfjets unter anderem vom Typ F-35, Hubschrauber und Drohnen sollen zum Einsatz kommen sowie mindestes 1100 Kampffahrzeuge, außerdem 133 Panzer. 

Neben Deutschland ist auch Großbritannien ein wichtiger Truppensteller für die Übung. Das Verteidigungsministerium in London kündigte jüngst an, dass sich rund 20.000 britische Soldatinnen und Soldaten der See-, Luft- und Landstreitkräfte beteiligen werden.

Der Übungsraum bei "Steadfast Defender" erstreckt sich von Norwegen bis hin in Länder wie Rumänien. Zudem wird es nach Bundeswehrangaben einen maritimen Übungsanteil mit Verlegung von Kräften aus Nordamerika nach Europa geben. Der Fokus aber liegt auf Polen.

Die bislang größte Nato-Übung seit dem Ende des Kalten Krieges war 2018 mit Schwerpunkt in Norwegen organisiert worden. An ihr waren rund 51.000 Soldaten beteiligt. Die letzten Nato-Manöver, die größer waren als die nun geplante Übung, fanden vor der Auflösung der Sowjetunion im Jahr 1991 statt. Damals gab es unter anderem noch die Manöverreihe mit dem filmreifen Namen "Return of Forces to Germany" (Rückkehr von Streitkräften nach Deutschland). An ihr waren 1988 beispielsweise rund 125.000 Soldaten beteiligt.

Nato spricht von "fast gleichrangigem Gegner"

Bei der Ankündigung des bevorstehenden Manövers erwähnt die Nato Russland nicht namentlich. Vielmehr heißt es, es solle die Reaktion auf einen "simulierten beginnenden Konflikt mit einem fast gleichrangigen Gegner" trainiert werden. Im zentralen Strategie-Papier der Allianz wird jedoch Russland als die größte Bedrohung für die Sicherheit der Nato-Länder genannt.

Mit dem Manöver wird die Umsetzung der ersten regionalen Verteidigungspläne geprobt. Nach jahrzehntelanger Pause hat die Nato diese wieder entworfen. Sie wurden im vergangenen Jahr beim Nato-Gipfel in Vilnius verabschiedet. In der Zeit zuvor hatte die Nato lange keinen Bedarf für solche Pläne gesehen. Zum einen waren westliche Länder eher in vergleichsweise kleine Kriege in Afghanistan und im Irak verwickelt. Zum anderen fühlte sich die Allianz sicher, dass nach dem Zerfall der Sowjetunion von Russland keine existenzielle Gefahr ausgehe.

Quellen: DPA, AFP, Reuters, "Hamburger Abendblatt"