Die USA sind, natürlich, auch in der Krise extrem. Vor wenigen Wochen noch sonnten sie sich in einem beispiellosen Wirtschaftsboom, doch dann brach das Coronavirus über das Land herein und innerhalb kurzer Zeit sind mehr Menschen gestorben als im Vietnamkrieg, haben mehr Menschen ihre Arbeit verloren, als in den vergangenen, fetten zehn Jahren eingestellt worden waren. Wem die Pandemie nicht gesundheitlich geschadet hat, dem entreißt sie nun die pure Existenzgrundlage. Mit einer Wucht, die nur an die ganz großen Krisen von 1929 und 2009 erinnert. Man muss kein Fan von US-Präsident Donald Trump sein – aber in seiner Haut möchte derzeit wohl niemand stecken.
Corona schicken USA in den freien Fall
"Der Absturz geht schnell", sagt Robert Stuart, ein Kirchenmann aus Florida im neuen stern: "Die Menschen leben von Monat zu Monat. Aber das Schlimmste kommt erst im Sommer: Wenn Arbeitslosengeld und Soforthilfe nach drei Monaten wegfallen. Wenn Wohnungen kündbar werden. Wenn die letzten Ersparnisse aufgebraucht sind oder die Schulden sie erdrücken. Da kommt ein Tsunami ungeheuren Ausmaßes auf uns zu." Während Golfklubs mancherorts als "unentbehrliche Orte" geöffnet bleiben, wird säumigen Mietern in Tennessee das Wasser zum Händewaschen abgestellt, schreiben die stern-US-Korrespondenten Jan-Christoph Wiechmann und Nicolas Büchse über einen Staat im freien Fall. Und weil dieses Land im Herbst auch noch einen neuen Präsidenten wählt, versucht der Amtsinhaber mit aller Gewalt zu so etwas wie der bisherigen "Normalität" zurückzukehren. Verständlich.
Doch auch dabei macht Donald J. Trump, wie so oft, keine gute Figur. Seit dem Beginn der Krise im März ist der sonst so reiselustige Staatschef das erste Mal wieder unter Menschen gewesen. Ins sonnige Arizona ging es, die Besichtigung einer Fabrik für Atemschutzmasken stand auf dem Plan. Symbolisch sicher eine gute Wahl, verzichtete er jedoch beim Rundgang ausgerechnet in einer Mundschutzfirma auf den Mundschutz. Obwohl das nicht nur den Empfehlungen seiner eigenen Regierung zuwiderläuft. Und dann hatte jemand noch die originelle Idee, über die Lautsprecher "Live and let die" von den Wings zu spielen, den Soundtrack des James-Bond-Films "Leben und sterben lassen".
Schutzbrille statt Mundschutz
Möglicherweise war Trump zu eitel für den Mundschutz (allerdings trug er eine auch nicht unbedingt vorteilhafte Schutzbrille) oder er wollte mit dem Verzicht die Rückkehr zur Normalität visuell unterstreichen – auf jeden Fall bekamen die Amerikaner bei der Stippvisite wieder einmal ein bizarres Bild ihres Präsidenten präsentiert, womit er bei vielen den Eindruck verstärkt haben dürfte, der falsche Mann zur falschen Zeit in der falschen Position zu sein.
Doch Trump macht Druck. Will das Land wieder öffnen. Die Konjunktur muss wieder brummen. Angesichts der kollabierenden Wirtschaft hat er eigentlich auch keine andere Wahl. Und obwohl er einräumen muss, dass es durch die raschen Lockerungen der Corona-Beschränkungen weiterhin Neuinfektionen und Todesfälle geben werde. Das sei keine "perfekte Situation", sagte er, aber man könne das Land nicht "fünf Jahre" geschlossen halten." Doch statt diesen riskanten Schritt gemeinsam mit Fachleuten zu gehen, schafft er in genau diesem Moment die zuständige Arbeitsgruppe ab, als bräuchte seine Regierung keine Hilfe in Sachen Virus-Bekämpfung mehr. Die Menschen in Amerika seien "Kämpfer" und wollten zurück an die Arbeit gehen, sagte Trump.
Wer braucht noch eine Corona-Taskforce?
Die Corona-Arbeitsgruppe um die Mediziner Deborah Birx und Anthony Fauci wird Ende Mai oder Anfang Juni aufgelöst, was ein Zeichen des "enormen Fortschritts" im Kampf gegen Corona sei, sagte Vizepräsident Mike Pence. Ganz so, als hätten die USA das Schlimmste bereits überstanden. Was die meisten Experten, darunter auch Fauci, bezweifeln. Wie überhaupt die geplante rasche Aufhebung der Einschränkungen. Bislang gibt es in den USA rund 1,2 Millionen Ansteckungen und rund 70.000 Todesopfer. Pessimistische Modelle gehen davon aus, dass die Zahl der Toten bis zum Hochsommer auf mehr als 130.000 ansteigen und sich damit verdoppeln könnte.

Die Ausgangsbeschränkungen, erlassen von den dafür zuständigen Bundesstaaten, haben geholfen, die Kurve der Neuinfektionen abzuflachen. Doch wegen der wirtschaftlichen Verheerungen beginnen, ähnlich wie in Deutschland auch, immer mehr Bundesstaaten damit, die Beschränkungen zu lockern – trotz vieler Neuansteckungen. Der ziemlich-sicher-Präsidentschaftskandidat der Demokraten, Joe Biden, der den Wahlkampf aus dem Keller seines Hause heraus macht, versteht die Hektik nicht: Man könne die Wirtschaft nicht über die Gesundheit stellen. "Wenn wir das Virus nicht besiegen, werden wir nie zur vollen wirtschaftlichen Stärke zurückkommen und zahllose Leben verlieren" sagte er.
"Risiko bei der Wiedereröffnung ist jetzt geringer"
Donald Trump, der als Staatsoberhaupt für die Verwerfungen verantwortlich gemacht werden wird, spätestens bei der Wahl im November, rechtfertig die Rückkehr zum gewohnten Alltag in gewohnter Naivität: "Die Menschen in Amerika haben durch die Pandemie viel gelernt - etwa über das Händewaschen, Distanzhalten und auch das Tragen von Masken - weswegen das Risiko bei einer Wiedereröffnung geringer ist." Immerhin fand er in Arizona seltene Worte für die Angehörigen der Corona-Opfer: "Ich will sagen, ich liebe Euch. Ich will sagen, dass wir alles tun, was wir können. Ich schlafe nachts nicht, weil ich darüber nachdenke."
Quellen: Realclearpolitics, DPA, AFP, "Guardian", Axios