Von wegen Überraschung. Die Griechen sind frustriert, hoffnungslos, wütend. In dieser Gefühlslage haben sie gewählt. Sie haben die einst so allmächtigen Volksparteien abgestraft, die das Land mit ihrer verlogenen Vetternwirtschaft ins Chaos gestürzt haben. Nun reicht es nicht einmal für eine Parlamentsmehrheit von Nea Dimokratia und Pasok zusammen. Dabei hatten die beiden Parteien noch vor der Krise eines der undemokratischsten Wahlgesetze ganz Europas ausgetüftelt: Dem Sieger werden automatisch 50 der 300 Parlamentssitze zugesprochen. Das entspricht knapp 17 Prozent der Stimmen. Dermaßen dreist fälscht nicht einmal der Kreml seine Wahlergebnisse. So wollten Griechenlands Großparteien auf alle Ewigkeit sicherstellen, nie eine Koalition eingehen zu müssen. Um alleine und unkontrolliert regieren zu können.
Ebenso wenig ist es ein Wunder, dass nun die linksradikale Syriza-Partei als zweitstärkste Kraft in Parlament einzieht. Meinungsforscher hatten dem 38-jährigen, smarten Syriza-Chef Alexis Tsipras schon lange vorausgesagt, er sei der einzige, der die Übermacht von Pasok und Nea Dimokratia knacken kann. Allein deshalb, weil der studierte Ingenieur der einzige griechische Politiker mit Charisma ist. Die Krise kam ihm zur Hilfe. Im Ausland hat Tsipras noch den Ruf des Anarchisten, der Athens Demonstranten zum Werfen von Molotowcocktails aufhetzt. Doch zu Hause tritt er als linker Intellektueller auf. Syriza machte den besten Wahlkampf, war in jedem kleinen Dorf auf der Straße präsent, während sich alle anderen aus Angst vor Joghurtattacken in ihren Zentralen verschanzten.
Tsipras, der seine politische Laufbahn als Teenager bei den Kommunisten begann, hat Syriza für Menschen wählbar gemacht, die früher nichts mit den Linksradikalen zu tun haben wollten. Er verstärkte die Partei mit klugen Köpfen wie dem Politologen und Schriftsteller Petros Tatsopulos. Experten wie er wollen sehr wohl den Euro, aber sie fordern Kompromisse statt Spardiktat auf dem Rücken der kleinen Leute. Dennoch: Wäre Syriza an einer Regierung beteiligt, die EU hätte es schwer. Die Partei muss ihrem Stammklientel treu bleiben. Sie ist gegen die Privatisierung von Staatseigentum und will keine Kredite von europäischen Steuerzahlern annehmen. Die Banken sollen zahlen. Tsipras gestern: "Frau Merkel muss einsehen, dass ihre Politik gescheitert ist."
Drei Tage Zeit
Aber nun muss erstmal Antonis Samaras, Chef von Nea Dimokratia, den Versuch unternehmen, eine neue Regierung zu bilden. Nicht leicht, wenn man nur 19 Prozent der Wähler hinter sich hat. Drei Tage Zeit bleiben Samaras, dann geht der Kelch an die Zweitplatzierten von Syriza. Samaras braucht zwei Partner. Er wird sicher die sozialistische Pasok ins Boot holen. Denn die beiden Parteien sind sich darin einig, dass der von der EU geforderte Sparkurs fortgesetzt wird.
Und weiter? Vom Gründer der neuen Facebook-Partei Unabhängige Griechen (10,6 Prozent) hieß es bereits: "Eine Koalition mit uns gibt's nur, wenn ich tot bin." Die Faschisten von Chrysi Avgi (Goldene Morgendämmerung) scheiden ebenso aus wie die Kommunisten. Bleibt noch die Demokratische Linke, die mit 6,1 Prozent ins Parlament einzieht. Aber auch sie ist gegen die Sparmaßnahmen und dürfte große Probleme mit Samaras' nationalistischen Positionen haben. Der will zum Beispiel den Kindern legaler Einwanderer die griechische Staatsbürgerschaft entziehen.
Salonfähige Linksradikale
Für Europa wäre eine Regierung mit ND- und Pasok-Beteiligung sicher die willkommenste. Womöglich nicht mit Samaras an der Spitze, sondern mit einem unabhängigen Kandidaten. Etwa dem amtierenden Übergangspremier Lucas Papademos. Der hat seine Bereitschaft schon vor Monaten signalisiert. Diese Lösung würde die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass der Sparkurs fortgesetzt wird. Zumal das nächste Sparpaket von elf Milliarden Euro bereits kommenden Monat beschlossen werden muss.
Scheitern die Koalitionsverhandlungen, und es gibt abermals Neuwahlen, dann - so prophezeien alle Experten - könnte Syriza als stärkste Kraft ins Parlament einziehen. Das Wahlergebnis hat die Linksradikalen salonfähig gemacht. Alexis Tsipras wird in den Medien wie ein Popstar gefeiert. Dank der 50-Sitze-Bonus-Regelung hätte er bei Neuwahlen sogar Chancen auf die absolute Mehrheit. Das wäre dann eine Herausforderung, der die EU wohl kaum gewachsen wäre. Als nächster Wahltermin wird bereits der 17. Juni gehandelt.