Sie heißen Mewtu, Dragoran oder Kokowei: kleine Monster, denen seit Anfang Juli Millionen Nutzer der Spiele-App Pokémon Go in zahlreichen Ländern nachjagen. Die gleiche Aufmerksamkeit wünschen sich die Revolutionary Forces of Syria (RFS) für die Kinder in den syrischen Kriegsgebieten. Die Medienplattform syrischer Oppositionskräfte hat auf ihrer Internetseite und in den sozialen Medien Fotos verbreitet, auf denen Kinder Bilder von Pokémon-Figuren in den Händen halten, darunter Aufrufe wie: "Ich bin in Kafr Nabl in Idlib, komm um mich zu retten!!", "Unsere Kinder, unsere Hoffnung. Tötet sie nicht, rettet sie!!" oder "Rettet die syrische Kindheit!"

Mit Pokémon Aufmerksamkeit schaffen
"Im Zuge des Medienrummels um das Pokémon-Spiel haben wir uns entschlossen, diese Bilder zu veröffentlichen, um deutlich zu machen, wie die Menschen in Syrien unter den Bombardierungen und Belagerungen der Assad-Truppen leiden", zitierte die britische Zeitung "Independent" einen RFS-Sprecher. "Wir wollen das Bewusstsein für die Notlage syrischer Kinder in den belagerten Gebieten erhöhen und auf das Leiden der Bevölkerung, die vom Assad-Regime und dessen Alliierten attackiert und getötet wird, aufmerksam machen."
Die kostenlose Spiele-App Pokémon Go animiert die Nutzer, mit ihrem Smartphone durch die Gegend zu laufen und in der "echten Welt" versteckte Pokémon-Figuren "einzufangen". Seit der Veröffentlichung der App Anfang Juli wurde sie bereits millionenfach heruntergeladen und sorgt in vielen Ländern für Furore. In Deutschland ist das Spiel seit einer Woche verfügbar.
"Krasse Gewalt gegen Kinder ist alltäglich"
Wer genau die Fotos unter welchen Bedingungen gemacht hat, ist unklar. Die syrischen Kinder selbst haben vermutlich gar keine Ahnung, was das für Wesen sind, die sie da in den Händen halten. Sie haben ganz andere Probleme als die Jagd nach Pokémons, und darauf machen die Bilder unabhängig von ihrer Quelle aufmerksam: So leben fast sieben Millionen Kinder in Syrien in Armut, wie es in einem Bericht des UN-Kinderhilfswerks Unicef vom März dieses Jahres heißt. Mindestens 2,1 Millionen Minderjährige in dem Bürgerkriegsland und 700.000 in Nachbarländer geflüchtete Kinder können demnach keine Schulen besuchen. Jedes dritte syrische Kind kenne nur ein Leben im Krieg und auf der Flucht.
"Krasse Gewalt gegenüber Kindern ist an der Tagesordnung", kommentierte der Geschäftsführer von Unicef Deutschland, Christian Schneider, die Veröffentlichung des Berichts. "Dazu gehören Bombenattacken und gezielte Angriffe von Heckenschützen genauso wie die Rekrutierung von Kindern." Unicef verifizierte eigenen Angaben zufolge im Jahr 2015 mehr als 1500 schwerste Kinderrechtsverletzungen. In 60 Prozent der Fälle seien Kinder durch Bomben in dicht besiedelten Wohngebieten getötet oder verstümmelt worden.
Im bereits fünf Jahre dauernden syrischen Bürgerkrieg wurden nach UN-Schätzungen bereits mehr als 270.000 Menschen getötet, etwa die Hälfte der einst 23 Millionen Einwohner des Landes musste infolge des Konflikts ihre Häuser verlassen. Seit dem 27. Februar gilt in Syrien eine Waffenruhe, die jedoch immer wieder gebrochen wird.
Sie wollen helfen? Die Stiftung stern sammelt Spenden fur die Versorgung syrischer Kriegsopfer.