Der russische Oppositionelle Garri Kasparow hat Präsident Wladimir Putin persönlich beschuldigt, ihn an der Teilnahme einer Demonstration am Rande des EU-Russland-Gipfels in Samara gehindert zu haben. "Im Kreml steigt die Nervosität, je näher die Präsidentschaftswahl im März 2008 rückt", sagte der frühere Schachweltmeister Kasparow der "Welt am Sonntag". "Es ist offensichtlich: Es tobt ein Kampf im Inneren der Macht. Vor diesem Hintergrund verbreitet eine oppositionelle Kraft, selbst wenn sie nicht so mächtig ist, im Kreml abergläubisches Entsetzen", so Kasparow weiter.
Die russische Polizei hatte Kasparow am Freitag am Moskauer Flughafen Pass und Flugticket abgenommen. Bei früheren Demonstrationen war der Koordinator der Oppositionsbewegung "Ein anders Russland" bereits einmal festgenommen worden. "Was das Rechtswesen in Russland angeht, muss man sich keine Illusionen machen", sagte Kasparow. "Das arbeitet nach der Stalinschen Formel: Wer festgenommen wurde, hat auch schuldig zu sein. Wer sich in die Politik einmischt ist a priori schuldig."
"Über Demokratie müssen wir uns nicht unterhalten"
Putins Äußerung beim Gipfel in Samara, wie bei jedem anderen Land auch könne man darüber streiten, ob Russland eine lupenreine Demokratie sei, konterte Kasparow: "Hier müssen wir uns nicht über Demokratie unterhalten, weil sie nicht existiert. Russland ist ein typischer Polizeistaat."
Das Vorgehen von Putin gegen Oppositionspolitiker am Rande des EU-Russland-Gipfels sorgt auch in Deutschland für Empörung. "Die Lage der Menschenrechte in Russland verschlechtert sich, das ist eine ernste Situation", sagte der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Günter Nooke (CDU), der "Frankfurter Rundschau". Moskau wolle vor allem Macht und Stärke demonstrieren, so Nooke. "Russland testet aus, wie weit die Toleranz des Westens reicht. Wir können das nicht akzeptieren."
"Putins Worte sind ein ziemlicher Hammer"
Der Russland-Koordinator der Bundesregierung, Andreas Schockenhoff, wies zudem die Kritik Putins am Umgang deutscher Sicherheitsbehörden mit Globalisierungsgegnern scharf zurück. "Putins Worte sind ein ziemlicher Hammer", sagte der CDU-Politiker der "Berliner Zeitung". Putin habe sich an ein altes Strickmuster gehalten: "Die Russen versuchen immer, irgendwelche Gegenbeispiele zu bringen. Als wir kritisiert haben, dass es bei den Regionalwahlen Unregelmäßigkeiten gegeben hat, ist uns geantwortet worden: Die gab es bei den Präsidentschaftswahlen in den USA auch." Man könne aber das Vorgehen der Behörden in Russland nicht mit dem in Deutschland vergleichen, sagte Schockenhoff.
Harte Kritik an den russischen Sicherheitsbehörden kommt auch von EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso: "Ich verstehe nicht, wieso ein Land mit einem solchen Sicherheitsapparat es nicht schafft, den Mord an Journalisten zu klären", sagte er im "Focus". Als Beispiel nannte er die im vergangenen Jahr getötete Journalistin Anna Politkowskaja. Außerdem wirft er Russland vor, die Europäische Union in zwei Klassen spalten zu wollen. "Man kann den Eindruck gewinnen, dass Russland bestimmte Mitgliedstaaten - etwa Polen oder die baltischen Staaten - anders betrachtet als die anderen Mitgliedstaaten", so Barroso im Nachrichtenmagazin "Focus" zitiert. Aber die russische Regierung müsse wissen, dass das Interesse der Polen genauso legitim sei wie das der Franzosen, der Deutschen oder Portugiesen. Den EU-Russland-Gipfel in Samara kommentierte Barroso mit den Worten: "Russlands Präsident Putin hat gemerkt, dass die europäische Einheit nicht zu knacken ist."
Journalisten quittieren Dienst aus Protest
Als Konsequenz aus der rabiaten Gangart der Machthaber im Kreml gegen Opposition und Presse haben mehrere Journalisten eines russischen Radionachrichtendienstes aus Protest gekündigt. Nach dem Amtsantritt eines neuen Chefredakteurs habe er nicht mehr über eine Demonstration von Regierungskritikern berichten dürfen, sagte Reporter Artem Khan der Nachrichtenagentur Reuters. Drei weitere Korrespondenten des unabhängigen Radionetzwerks Russian News Service hätten ebenfalls ihren Hut genommen. Der neue Generaldirektor des Netzwerks, Alexander Schkolnik, wies die Vorwürfe zurück.
Der Chefredakteur vertrete eine neue Politik, die ein unabhängiges Arbeiten unmöglich mache, sagte Khan. "Bevor der neue Chef hier ankam, war dies eine unabhängige Nachrichtenagentur und Radiostation. Dies alles hat sich nun verändert." Schkolnik arbeitete zuvor für den als regierungsfreundlich geltenden Fernsehsender Kanal Eins, der vom Staat finanziert wird.