In der syrischen Protesthochburg Homs bahnt sich nach sechstägigem Dauerbeschuss eine humanitäre Katastrophe an. Der Nachrichtensender Al-Arabija meldete unter Berufung auf Regimegegner, landesweit seien am Donnerstag mindestens 126 Menschen von den Regierungstruppen getötet worden, allein 107 in Homs. Aktivisten baten um Hilfe vom Roten Kreuz und vom Roten Halbmond.
Homs ist umzingelt; Armeeposten kontrollieren alle Zugangsstraßen. Seit zehn Tagen konnten keine Lebensmittel mehr in die Stadt geliefert werden. Essen und Medikamente werden knapp; bei Temperaturen um den Gefrierpunkt gehen auch die Heizölvorräte zur Neige. In ganz Homs gibt es nach Angaben von Aktivisten nur noch drei Ärzte, einer wurde durch Granatenbeschuss verletzt.
Ärzte und Pfleger werden verhaftet
Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen (MSF) bezeichnet die Lage von Verletzten und Kranken in Syrien als katastrophal. Ärzte und Patienten mit Schussverletzungen müssten damit rechnen, in der Klinik verhaftet zu werden, sagte die MSF-Präsidentin Marie-Pierre Allié in Paris. "Weil die Leute aus Angst nicht mehr in Krankenhäuser gehen, haben die Mediziner und Pfleger ein Parallelsystem aufgebaut." Patienten würden nun in Untergrund-Kliniken behandelt - allerdings unter prekären Umständen.
Exilsyrer berichten auch in Deutschland, wo mehr als 32 000 Menschen mit syrischem Pass leben, von Einschüchterungsversuchen. Aus Protest gegen die Einschüchterung syrischer Regimegegner in Deutschland hat die Bundesregierung vier Diplomaten ausgewiesen. Außenminister Guido Westerwelle drohte zugleich mit weiteren Strafmaßnahmen. Westerwelle sagte, die Bundesregierung könne "in keiner Weise tolerieren, wenn für den syrischen Staat Tätige in Deutschland einen direkten oder indirekten Beitrag dazu leisten, die syrische Opposition unter Druck zu setzen".
Unerwünschte Diplomaten müssen Deutschland verlassen
Die vier syrischen Diplomaten - drei Männer und eine Frau – wurden vom Auswärtigen Amt (AA) zu "unerwünschten Personen" erklärt. Sie haben drei Tage Zeit, mit ihren Familien Deutschland zu verlassen. Solche Ausweisungen sind im diplomatischen Umgang äußerst selten.
"Die Ausweisung der Diplomaten ist ein positives Signal", sagte Abdelhamid al Jasem, der Vorsitzende des Deutsch-Syrischen Vereins zur Förderung der Freiheiten und Menschenrechte, der dpa. "Einige Syrer sind inzwischen so eingeschüchtert, dass sie sich nicht mehr trauen, an Demonstrationen teilzunehmen." Regimegegner seien von syrischen Agenten oder von Anhängern der mit Assad verbündeten libanesischen Schiitenbewegung Hisbollah bedroht worden.
Wegen Spitzel- und Drangsalierungsvorwürfen sitzen bereits zwei Mitarbeiter der Botschaft in Untersuchungshaft. Sie haben keinen Diplomatenstatus. Zudem wird gegen sechs Verdächtige ermittelt. Libyen weist sogar alle Mitarbeiter der syrischen Botschaft in Tripolis aus.
UN erwägt gemeinsame Mission mit Arabischer Liga
Nach fast elf Monaten der Gewalt mit 6000 Toten prüfen die Vereinten Nationen die Entsendung von Beobachtern und eines Sondergesandten nach Syrien. "Wir erwägen eine gemeinsame Mission mit der Arabischen Liga", sagte UN-Generalsekretär Ban Ki Moon nach einer Tagung des Sicherheitsrates in New York. Die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Navi Pillay, sprach von wahllosen Attacken auf Wohngebiete, von einem Massaker an der eigenen Bevölkerung.
Die US-Regierung strebt einen friedlichen politischen Übergang in Syrien an. Das Weiße Haus kündigte für die kommenden Tage Gespräche mit Freunden und Verbündeten über die nächsten Schritte an. Der britische Premierminister David Cameron forderte am Rande einer Konferenz in Stockholm, den Druck auf das Regime zu erhöhen. "Es ist wirklich entsetzlich, die Zerstörung von Homs zu sehen."
Ban äußerte sich im Sicherheitsrat zutiefst enttäuscht über die jüngste Blockade der Syrienresolution durch Russland und China. Damit sei das Regime von Präsident Baschar al Assad zu neuer Gewalt ermuntert worden. Der deutsche Botschafter Peter Wittig sagte, jetzt komme es darauf an, die Anstrengungen der Weltgemeinschaft zu verstärken und insbesondere die Arabische Liga zu unterstützen, die am Wochenende in Kairo berät.
Erdogan bezeichnet Assad als "Unperson"
Die Türkei setzt sich für einen neuen Fahrplan zur Beilegung des Konflikts ein. Nötig sei ein internationales Forum aller wichtigen Staaten in der Region, sagte Außenminister Ahmet Davutoglu dem türkischen Fernsehsender NTV. Für Ankara ist der einst von Erdogan als "Freund" bezeichnete Assad inzwischen eine Unperson. Erdogan will, dass Assad zurücktritt und den Weg für eine Lösung freimacht.
Der Führungsstab des Syrischen Nationalrats beriet im Golfemirat Katar, wie das Blutvergießen gestoppt werden könnte. Der Rat setzt inzwischen stärker auf militärische Optionen. Unter anderem wird über Waffenlieferungen an Deserteure diskutiert. Unter arabischen Diplomaten wird erwogen, den von mehreren Oppositionsgruppen gegründeten Nationalrat als legitime Vertretung des syrischen Volkes anzuerkennen.