Türkische Streitkräfte haben ein russisches Kampfflugzeug im syrisch-türkischen Grenzgebiet abgeschossen. Das Verteidigungsministerium in Moskau teilte mit, dass eine Maschine vom Typ Suchoi Su-24 in Syrien abgestürzt sei. Nach russischer Darstellung wurde sie vom Boden aus abgeschossen. Es ist der erste offiziell bestätigte Verlust der russischen Streitkräfte seit Beginn ihrer Intervention im syrischen Bürgerkrieg Ende September. Das Verteidigungsministerium erklärte, "Das Flugzeug befand sich zu jeder Zeit ausschließlich über dem Luftraum Syriens".
Die Maschine soll sich zum Zeitpunkt des Abschusses in einer Flughöhe von 6000 Metern befunden haben. Das türkische Militär hat inzwischen die angebliche Flugroute der russischen Maschine veröffentlicht:
Inzwischen wurde bekanntgegeben, dass Vertreter der Nato-Staaten nach dem Abschuss des russischen Kampfflugzeugs zu einer Sondersitzung in Brüssel zusammentreten werden. Die Nato stehe in Kontakt mit den türkischen Behörden. Ein Nato-Sprecher erklärte auf Anfrage, bei dem Treffen handele es sich nicht um Konsultationen nach Artikel 4 des Nordatlantikvertrages. Nach diesem konsultieren sich die Bündnismitglieder, "wenn nach Auffassung eines von ihnen die Unversehrtheit des Gebiets, die politische Unabhängigkeit oder die Sicherheit einer der Parteien bedroht ist".
Angeblich zehn Warnungen in fünf Minuten
Nach Angaben des türkischen Militärs soll die Maschine vor dem Abschuss binnen fünf Minuten zehnmal gewarnt worden sein, dass sie den türkischen Luftraum verletze. Zwei türkische F16-Kampfflugzeuge hatten den Jet den Einsatzregeln entsprechend am Dienstagmorgen in der Grenzregion Hatay abgeschossen. Inzwischen haben die USA die Darstellung des Nato-Verbündeten Türkei untermauert. Das US-Militär habe die Kommunikation über Funk mitverfolgen können. "Wir konnten alles hören, was passiert ist", so der Pentagon-Sprecher Steve Warren.
Der Sender CNN Türk berichtete, das Flugzeug sei auf der syrischen Seite etwa fünf Kilometer von der Grenze entfernt abgestürzt. Beide Piloten hätten sich mit Schleudersitzen retten können. Eine Gruppe mit dem Namen Zehnte Brigade verbreitete am Dienstag über das Internet ein Video, das den Leichnam zeigen soll. Zu sehen ist eine leblose Person in Uniform. Wie syrische Rebellen gegenüber dem Nachrichtensender Al-Jazeera sagten, sollen beide Piloten tot sein. Diese Angaben wurden von offizieller Seite bislang nicht bestätigt. Wie die Nachrichtenagentur Reuters unter berufung auf eine türkische Regierungsquelle berichtet, sollen beide Piloten noch am Leben sein.
"Verlust ist ein Stoß in den Rücken"
Die Regierung in Moskau hat den Abschuss des Kampfjets als "sehr ernsten Zwischenfall" bezeichnet. Es sei aber noch zu früh für "Einschätzungen, Vorschläge oder Ankündigungen", sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow vor Journalisten in Moskau. Die Informationen über den Vorfall seien noch unvollständig. Das russische Verteidigungsministerium hatte zuvor bestätigt, dass sich die Piloten per Fallschirm gerettet hätten. Die Nachrichtenagentur Dogan hat ein Video veröffentlicht, dass russische Hubschrauber auf der Suche nach den vermissten Piloten zeigen soll.
Russlands Präsident Wladimir Putin drohte der Türkei ernsthafte Konsequenzen an. Die russischen Piloten schonten sich im Kampf gegen den Terror nicht, sagte Putin live im russischen Fernsehen. "Doch der heutige Verlust ist ein Stoß in den Rücken, begangen von Helfershelfern von Terroristen", sagte Putin bei einem Treffen mit dem jordanischen König Abdullah II. in Sotschi.
Das russische Flugzeug Su-24 habe bei seinem Kampfeinsatz gegen Terroristen in Syrien keine Gefahr für die Türkei dargestellt. "Das tragische Ereignis wird ernsthafte Auswirkungen auf die russisch-türkischen Beziehungen haben", sagte Putin. "Wir werden niemals dulden, dass solche Verbrechen wie das heutige begangen werden."
Türkei verteidigt Abschuss
Der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu hat den Abschuss unterdessen verteidigt. Die Türkei habe wiederholt vor der Verletzung ihrer Grenzen in der Luft und am Boden gewarnt, sagte Davutoglu in Ankara. Diese Grenzen zu schützen sei "sowohl unser internationales Recht als auch unsere nationale Pflicht". Die Türkei sei dafür "zu jeder Art von Aufopferung und Maßnahme bereit".
Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) hat nach dem Abschuss des Kampfjets zu Besonnenheit gemahnt. Er sprach am Dienstag in Berlin von einem "ernsten Zwischenfall", der die internationalen Bemühungen um eine Entschärfung des Syrien-Konflikts belaste. "Das kann bedeuten, dass wir nicht nur einen Rückschlag erleben werden, sondern dass der Hoffnungsschimmer, den wir gerade erst erarbeitet haben, zerstört wird."
Syrische Rebellen haben Aktivisten zufolge in der Region einen russischen Hubschrauber getroffen. Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte erklärte, der Hubschrauber sei in einem vom Regime kontrollierten Gebiet notgelandet, nachdem er unter Feuer geraten sei. Regimegegner berichteten, er sei nahe der Grenze zur Türkei von einer Panzerabwehrwaffe getroffen worden. Zu Opfern gab es zunächst keine Angaben.
Der Sender Haberturk TV zeigte Bilder eines brennenden Flugzeug, das in einem Waldgebiet abstürzt. Auch die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte teilte mit, das Kampfflugzeug sei im Norden des Landes in der Provinz Latakia abgestürzt. Die Türkei werde wegen des Vorfalls die Nato und die Uno einschalten, hieß es aus dem Büro von Ministerpräsident Ahmet Davutoglu.
Verhältnis zwischen Moskau und Ankara belastet
Seit Beginn des russischen Militäreinsatzes in Syrien hatte es mehrfach Zwischenfälle an der syrisch-türkischen Grenze gegeben. Im Oktober drangen bereits zwei Mal russische Kampfjets in den türkischen Luftraum ein, woraufhin Ankara den russischen Botschafter einbestellte. Ebenfalls im Oktober schoss die türkische Armee eine Drohne russischen Fabrikats ab, die in den Luftraum eingedrungen war. Moskau dementierte jedoch, dass die Drohne den russischen Streitkräften gehörte.
Der russische Außenminister Sergej Lawrow hat seinen für Mittwoch geplanten Besuch in der Türkei inzwischen abgesagt. Lawrow riet seinen Landsleuten zudem, die Türkei derzeit nicht zu besuchen. Die Terrorbedrohung in der Türkei sei nicht geringer als in Ägypten, argumentierte der Außenminister in Sotschi. Russlands Unterstützung für die syrische Regierung belastet das Verhältnis zwischen Moskau und Ankara. Die Türkei ist ein ausgesprochener Gegner des syrischen Machthabers Baschar al-Assad. Die russische Luftwaffe unterstützt mit ihren Angriffen die syrische Führung.
Das türkische Außenministerium hatte wegen russischen Luftangriffen auf turkmenische Rebellen in Syrien erst am vergangenen Freitag den russischen Botschafter in Ankara einbestellt. Aus Sicht des Ministeriums treffen die Russen mit ihren Luftschlägen nicht Terroristen, sondern Zivilisten. Die Türkei unterstützt die turkmenischen Rebellen, die gegen Assad kämpfen. Der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu hatte am Montag betont, die Armee werde auf Grenzverletzungen aus Syrien sofort reagieren.