Krieg in der Ukraine Laut Selenskyj Massengrab in zurückeroberter Stadt Isjum entdeckt

Ein ukrainischer Soldat inspiziert mit einem Metalldetektor ein Massengrab
Ein ukrainischer Soldat inspiziert mit einem Metalldetektor ein Massengrab in der kürzlich zurückeroberten Stadt Isjum, in dem ukrainische Soldaten begraben sind, die während der Kämpfe gegen die Russen zu Beginn des Krieges getötet wurden
© Evgeniy Maloletka / AP / DPA
Sehen Sie im Video: Zweites Butscha? Behörden entdecken bislang größtes Massengrab in der Ostukraine.




STORY: Ukrainischen Behörden haben in der zurückeroberten Stadt Isjum ein Massengrab mit mehr als 440 Leichen entdeckt. Das sagte Staatspräsident Selenskyj in seine täglichen Videoansprache am Donnerstag. Er gab Russland die Schuld an den Toten und verglich die Entdeckung des Massengrabs mit den Ereignissen im Februar in Butscha, einem Vorort der Hauptstadt Kiew. Nach Angaben der Polizei starben die Menschen durch Artilleriebeschuss oder durch Luftangriffe. Es sei das bisher größte Massengrab in den zurückeroberten Gebieten in der Ostukraine. Alle Leichen sollen demnach forensisch untersucht werden. Tausende russische Soldaten waren am vergangenen Wochenende aus Izjum geflohen. Sie hatten die Stadt in der Region Kharkiv monatelang besetzt. Russland hat wiederholt bestritten, Kriegsverbrechen zu begehen oder Zivilisten anzugreifen.
Die Ukraine wirft der russischen Armee neue Kriegsverbrechen vor. Mehr als 440 Leichen sollen in einem Massengrab in der von den Besatzern befreiten ostukrainischen Stadt Isjum gefunden worden sein. 

In der durch die ukrainische Armee zurückeroberten Stadt Isjum im Gebiet Charkiw ist nach Aussage von Präsident Wolodymyr Selenskyj ein Massengrab gefunden worden. "Die nötigen prozessualen Handlungen haben dort schon begonnen", erklärte der Staatschef in einer am Donnerstag in Kiew verbreiteten Videobotschaft ohne Details zur Anzahl der Leichen oder der Todesursache zu nennen. An diesem Freitag sollen Journalisten zu dem Massengrab gebracht werden. "Wir wollen, dass die Welt erfährt, was wirklich passiert und wozu die russische Okkupation geführt hat", sagte Selenskyj.

Polizeichef spricht von etwa 440 Leichen

Präsidialamtschef Andrij Jermak warf den russischen Truppen Mord vor und veröffentlichte ein Foto von einem Waldgebiet mit grob gezimmerten Holzkreuzen. Alle in dem Massengrab gefundenen Leichen würden exhumiert und gerichtsmedizinisch untersucht, kündigte Jermak an. Regionalpolizeichef Sergej Botwinow sprach gegenüber dem Sender Sky News von einer Grabstätte mit etwa 440 Leichen, die in Isjum entdeckt worden sei. Einige der Menschen seien durch Schüsse getötet worden, andere während Bombardierungen gestorben.

Die Russen hatten das Gebiet am Samstag ukrainischen Angaben zufolge nach einer Gegenoffensive der ukrainischen Kräfte fluchtartig verlassen. Das Verteidigungsministerium in Moskau hatte von einer "Umgruppierung" seiner Truppen gesprochen, während selbst kremlnahe Quellen von einer verheerenden Niederlage sprachen. Selenskyj hatte Isjum am Mittwoch besucht.

"Butscha, Mariupol und jetzt leider auch Isjum: Russland hinterlässt überall Tod und muss sich dafür verantworten. Die Welt muss Russland zur echten Verantwortung für diesen Krieg ziehen", forderte der Staatschef. Die Ukraine hat nach dem Abzug der russischen Truppen im Frühjahr aus dem Kiewer Vorort Butscha sowie in zahlreichen anderen Orten, darunter in der von Moskau eingenommenen Hafenstadt Mariupol, schwerste Kriegsverbrechen beklagt. In Butscha waren nach ukrainischen Behördenangaben Hunderte Zivilisten, in Mariupol Tausende getötet worden.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen schloss derweil nicht aus, dass der russische Präsident Wladimir Putin künftig vor dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) zur Rechenschaft gezogen wird. Es stehe außer Zweifel, dass in der Ukraine schwerste Kriegsverbrechen begangen würden, sagte von der Leyen Bild TV. Einen Prozess gegen Putin vor dem IStGH halte sie "für möglich".

Die Kommissionspräsidentin forderte die europäischen Staaten dazu auf, die militärische Hilfe an die Ukraine auszuweiten. "Wenn sie sagen, sie brauchen Kampfpanzer, dann sollten wir das ernst nehmen und sollten ihnen das liefern", sagte sie Bild TV. Die Ukrainer hätten bewiesen, dass sie sich verteidigen könnten, wenn sie die "richtigen militärischen Mittel haben".

USA sagen Ukraine weitere Militärhilfen zu

Die US-Regierung kündigte derweil weitere Militärhilfe für die Ukraine im Umfang von umgerechnet 600 Millionen Euro an. Das neueste Hilfspaket umfasst militärische Ausrüstung und Unterstützung sowie Ausbildung. Geliefert werden sollen nach Angaben des US-Verteidigungsministeriums unter anderem 37.000 Schuss Artilleriemunition sowie vier Artillerie-Abwehrradaranlagen. Auch weitere Munition für die von den USA bereits gelieferten Himars-Raketenwerfersysteme werde bereitgestellt.

Ukraine-Krieg: Militärexperte über Putin und Gegenoffensive im Osten
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© Gavriil Grigorov/ / Picture Alliance
"Scheint, als sei Kreis um Putin noch enger geschlossen" – Oberst zu Folgen der Gegenoffensive

Gleichzeitig verkündete Washington Sanktionen gegen zahlreiche weitere russische Behördenvertreter und Unternehmen vor allem im Technologiebereich auf ihre Sanktionsliste. Betroffen sind unter anderem prorussische Beamte in besetzten Gebieten der Ukraine, aber auch eine im Ukraine-Krieg kämpfende russische Neonazi-Gruppe und Putins Kinderschutzbeauftragte Maria Alexejewna Lwowa-Belowa. Sie wird verdächtigt, die Verschleppung ukrainischer Kinder nach Russland sowie Zwangsadoptionen zu beaufsichtigen.

Die US-Regierung verhängte zudem ein Verbot für den Export von Quantencomputer-Technologie sowie damit zusammenhängender Soft- und Hardware nach Russland und Belarus. Darüber hinaus wurden Sanktionen gegen die russische Raumfahrtindustrie sowie Computer- und Technologieunternehmen verhängt. Damit soll vor allem der Nachschub an Rüstungsgütern und die Modernisierung des russischen Militärs nach schweren Verlusten im Ukraine-Krieg behindert werden.

DPA · AFP
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