Es scheint absurd, die Situation Finnlands mit der der Ukraine zu vergleichen. Doch wer die Rechtfertigung Wladimir Putins für den russischen Überfall auf sein Nachbarland gehört hat und zudem in die finnische Geschichte blickt, dem könnte mulmig werden.
Wie die Ukraine ist Finnland kein Mitglied der Nato, und wie die Ukraine gehörte Finnland in seiner wechselvollen Geschichte zumindest in Teilen zu Russland; zuletzt führten die beiden Länder 1939 und 1944 Krieg gegeneinander. Und: Finnland hat eine 1340 Kilometer lange Grenze zum Aggressor in der Ukraine. Kein Wunder, dass vor allem dort Überlegungen, ein Mitglied der Nato zu werden, Fahrt aufgenommen haben. Doch nicht nur hier. Auch in Schweden und in Österreich hat sich die Debatte belebt.
Nato-Beitritt: Finnisches Parlament diskutiert
In Finnland drängt die Frage allerdings besonders, hatte das Bekanntwerden erster Überlegungen doch bereits eine russische Reaktion ausgelöst. "Wir betrachten das Bekenntnis der finnischen Regierung zu einer militärischen Blockfreiheitspolitik als einen wichtigen Faktor zur Gewährleistung von Sicherheit und Stabilität in Nordeuropa", hieß es in einem vom Moskauer Verteidigungsministerium verbreiteten Statement der Kreml-Sprecherin Maria Sacharowa. Um gleich eine Drohung hinterherzuschicken: "Der Beitritt Finnlands zur Nato hätte schwerwiegende militärische und politische Auswirkungen."
Grund genug für das finnische Parlament, über einen möglichen Nato-Beitritt zu debattieren. Auslöser war eine Petition, die ein Referendum über einen Beitritt Finnlands zu dem Militärbündnis fordert. Ministerpräsidentin Sanna Marin erklärte am Montagabend auf Twitter, auf der geplanten Parlamentssitzung sollte es eigentlich generell um die Lage in der Ukraine gehen. Da die Petition jedoch die für eine Parlamentsdebatte notwendige Anzahl von 50.000 Unterschriften erreicht habe, sei es "sinnvoll, die Haltungen der Parteien" zu einer Nato-Mitgliedschaft zu erörtern.
Die Regierung Finnlands, das den Status eines Nato-Partnerlandes hat, hatte zunächst auch kurz nach dem russischen Großangriff auf die Ukraine eine Mitgliedschaft ausgeschlossen. Doch eine am Montag veröffentlichte Umfrage zeigte ein historisches Umdenken hinsichtlich eines Beitritts. 53 Prozent der Finnen sind laut der Umfrage für den öffentlich-rechtlichen Sender Yle für einen Anschluss Finnlands an das Militärbündnis, 28 Prozent dagegen. Charly Salonius-Pasternak vom Finnischen Institut für Internationale Angelegenheiten bezeichnete das Ergebnis als "völlig historisch und außergewöhnlich".
Schweden: Regierung befürwortet weiter Neutralität
Auch im Nachbarland Schweden hat sich die Meinung seit dem russischen Einmarsch in der Ukraine deutlich geändert: 41 Prozent der Befragten sprechen sich laut einer im Fernsehsender SVT veröffentlichten Umfrage zufolge derzeit für einen Nato-Beitritt aus – so viele wie nie zuvor. Allerdings hat Schweden, anders als die beiden Nachbarn Finnland und Norwegen, keine Grenze mit Russland. Bestenfalls gibt es eine direkte Verbindung zwischen den beiden Staaten über die Ostsee hinweg. Trotz der durch den Ukraine-Krieg angefachten Debatte über eine Nato-Mitgliedschaft bleibe Schweden bei seiner Haltung, sich nicht dem Verteidigungsbündnis anzuschließen, sagte Regierungschefin Magdalena Andersson.
"In einer Situation wie dieser ist es wichtig, dass Schwedens langjährige Sicherheitspolitik standfest bleibt. Dass wir berechenbar und klar sind", sagte die Sozialdemokratin. Schweden sei "seit extrem langer Zeit bündnisfrei", und dies habe "den schwedischen Interessen gut gedient", fügte sie hinzu. Ungeachtet dessen sagte sie, es habe "ein neues und dunkles Kapitel in der europäischen Geschichte begonnen". Ob sie damit andeuten wollte, dass es auch in Schweden ein Umdenken hinsichtlich einer Nato-Mitgliedschaft geben könnte, blieb offen.
Österreich: Weg von "immerwährender Neutralität"?
Zunehmend lebhaft diskutiert wird die Frage eines Nato-Beitritts auch in Österreich. Die Alpen-Republik hat eine "immerwährende Neutralität" im Staatsvertrag von 1955 verankert. Das aber hält Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) nicht davon ab, diese Neutralität in Frage zu stellen. Im ORF distanzierte er sich von der "Lebenslüge", dass die Neutralität Österreich schon schützen werde. Nehammer mit Blick auf Putin: "Wer das Völkerrecht missachtet, der missachtet auch die Neutralität." Als einen Beitritts-Antrag an die Nato wollte der Kanzler das dennoch nicht verstanden wissen.
Das Gros der österreichischen Politiker:innen scheint sich auf die geographische Lage zu verlassen. Wer in Österreich einmarschieren wolle, müsse zunächst durch Bündnisgebiet, da das Land von Nato-Staaten umgeben sei. Auf diese Weise ergebe sich eine Abschreckung von selbst, heißt es. Von allen Parlamentsparteien rütteln derzeit nur die Neos an der Neutralität. "Absurd" sei der Versuch, eine derart überholte Idee in einer völlig veränderten Welt anzuwenden, zitierte "Der Standard" Vizeklubchef Nikolaus Scherak. Die EU brauche eine eigene Armee, um Europa zu schützen. Und an dieser Armee sollte sich Österreich beteiligen.
Das Thema Nato-Beitritt schwelt weiter in Österreich. Es wäre nicht der erste eiserne Grundsatz, der durch den Angriff auf die Ukraine in diesen Tagen rasch ins Wanken geraten würde.
Quellen: "Der Standard"; "Die Presse"; ORF; Mitteilung russisches Verteidigungsministerium; Nachrichtenagentur DPA