"Unsere Revolution wird nicht in der (West-)Ukraine halt machen. Sie muss durch Europa getragen werden. Auf dem Kiewer Maidan haben die USA die Büchse der Pandora geöffnet. Und sie ist nicht nur eine Bedrohung für Moskau, sondern für ganz Europa – inklusive für Deutschland, Frankreich, Italien und den Rest. Nun, da die Vereinigten Staaten gelernt haben, wie sie ihre Neonazi-Komplizen steuern können, werden sie das gleiche in ganz Europa versuchen. Früher oder später. Wenn unsere russische Revolution erfolgreich sein wird, dann werden wir beginnen, Europa von der amerikanischen Ideologie zu befreien. Das ist das wahre Ziel des 'Eurasismus'. Europa von Lissabon bis Wladiwostok. Das große eurasische Kontinental-Imperium. Jede unsere bisherigen Schritte, Niederschlagung der tschetschenischen Separatisten, die Befreiung von Südossetien und Abchasien und jetzt der Krim, ist ein Schritt Richtung Europäische Revolution."
Diese unheilvollen Worte stammen aus dem März 2014, kurz nachdem sich Russland die Halbinsel Krim völkerrechtswidrig einverleibt hat. Geschrieben wurden sie von einem russischen Philosophen namens Alexander Dugin. Der 60-jährige Professor und Ex-Politiker der mittlerweile verbotenen Nationalbolschewistischen Partei Russlands hat sich in den vergangen Jahren zum Vordenker und Impulsgeber sowohl von westeuropäischen Nazis und Faschisten als auch Teilen der Kremlführung emporgearbeitet. Manche sehen in ihm sogar einen Einflüsterer Wladimir Putins. Obwohl dieser Status vermutlich etwas übertrieben ist, nähern sich die Denk- und Sichtweisen der beiden Männer auf unerfreuliche Weise einander an.
Gibt Dugin Putin die Richtung vor?
Wer ermessen will, wohin der Kremlchef sein Land und möglicherweise sogar die Nachbarstaaten lenken könnte, kann bei Alexander Dugin bereits die Richtung nachlesen – wie in seinem 2014 erschienen Aufsatz "Der Horizont unserer Revolution – von der Krim bis nach Lissabon." "Obwohl er keine offiziellen Ämter innehat, gilt Dugin als eine ideologische Schlüsselfigur", heißt es in einer jetzt veröffentlichten Reaktion der Bundesregierung auf die Anfrage der Linkspartei. "Die von Dugin propagierten völkisch-nationalistischen Positionen lieferten die Vorlage für den völkerrechtswidrigen Angriff auf die Ukraine", so deren Abgeordnete Martina Renner.
Experten warnen schon länger vor dem Chef des Instituts "Katehon". Der britische Autor Paul Ratner nannte ihn 2016 "den größten gefährlichen Philosophen der Welt". In dem Schreiben der Bundesregierung heißt es, seine Denkfabrik sei durch eine antiwestliche und antiliberale Grundeinstellung gekennzeichneter "rechtsextremer Think Tank". Ideologische Leitmotive seien "die Schaffung eines einheitlichen Kulturraums slawisch-orthodoxer Russen sowie eine russische Dominanz über große Teile Europas und Asiens".
Was Dugin und Putin verbindet, ist eine tiefe Abneigung gegen "den Westen" und dessen vermeintlich dekadente Kultur. In seiner jüngsten Rede spukte der russische Präsident Gift und Galle über die dort lebenden russischen Oligarchen. Er würde niemanden verurteilen, der in Miami oder an der Côte d’Azur lebe und nicht auf "Gänseleber, Austern oder sogenannte Geschlechterfreiheiten" verzichten könne, aber diese Menschen seien "aufgrund ihrer Natur mental genau dort und nicht hier, nicht bei unserem Volk, nicht in Russland angesiedelt".
Russentum und Sexualmoral
Allein in diesem Satz streift Putin zwei Elemente, die auch Dugin immer wieder besonders hervorhebt: Das Russentum als Maß aller Dinge und einer Form von Auserwähltheit sowie das auffallend häufig vorkommende Thema sexueller Freiheit, wie etwa die Homoehe. Beide Männer geißeln sie oft als unnatürliche Erscheinungen. "Das eurasische Ideal ist der mächtige, leidenschaftliche, gesunde und schöne Mensch, und nicht der Kokainsüchtige, der Bastard aus weltlichen Diskos, der asoziale Kriminelle oder die Prostituierte", so der Philosoph in seiner Schrift "Euroasia über alles".
Wie Dugin treibt auch Putin die Idee eines neuen Großrusslands um. Im Sommer vergangen Jahres hatte der Kremlchef einen historischen Aufsatz verfasst, in dem er die Ukraine kurzerhand zu einem Teil Russlands machte und dem Land damit die Existenzberechtigung absprach. Die Idee, dass die Ukraine eigentlich kein eigener Staat sein könne, hat Putin nicht exklusiv. Schon der ebenfalls religiös-rechtsextreme russische Philosoph Iwan Iljin erwähnte in den 30er Jahren die Ukraine stets nur in Anführungsstrichen. Der in Emigration lebende Iljin war Anhänger von Adolf Hitler und Benito Mussolini, Wladimir Putin aber zitiert regelmäßig aus dessen Schriften. 2005 ließ der die sterblichen Überreste aus der Schweiz nach Moskau zurückholen und in der Heimat bestatten.
Kern des heutigen Putinismus
Der US-Historiker Timothy Snyder schreibt in seinem Putin-Buch "Der Weg in die Unfreiheit", dass Anfang 2014 alle Mitglieder der Regierungspartei Russlands und alle Angestellten im öffentlichen Dienst vom Kreml eine Auswahl von Iljins politischen Schriften erhalten hätten. Sein Werk, das "eine an rechtsradikal-faschistische Theorien, großrussisch-'eurasische' Ideologie anknüpft bildet den eigentlichen Kern des heutigen Putinismus", heißt es dazu im Schweizer Magazin "Republik".
Iljin und Dugin (und indirekt auch Putin) eint ihr Glauben an ein Wiedererstarken des russischen Reichs und den Kampf gegen den gottlosen Feind aus dem Westen. "Putin hat diese Großreichsideen, wenn er auch nicht so paranoid ist, um blind der Ideologie von Dugin zu folgen. Der ist noch deutlich radikaler und umfassender und hat Putin schon als zu liberal kritisiert", sagte der Politologe Hajo Funke jüngst im stern-Interview. Die Ausrichtung auf ein neues großes Reich fasziniere auch die extreme Rechte in Deutschland, so Funke.
In Dugins bekanntesten Buch, die "Grundlagen der Geopolitik", das auch unter westlichen Rechtsextremen verbreitet ist, skizziert er auch konkret, welche Nachbarstaaten für ihn zum Kern-Bestandteil Russlands zählen. Neben der Ukraine wären das Belarus, Georgien, Moldawien, sogar Finnland. In seinem Konzept von Moskau als "drittem Rom" gehören sogar die christlich-orthodoxen Länder Serbien, Rumänien und Griechenland zur russischen Sphäre. Ob diese Ideen und Mythen einer ostslawischen Völkereinheit in der russischen Gesellschaft verankert sind, sei unklar, sagt die Düsseldorfer Historikerin Heidi Hein-Kircher, Putins Regierung schlachte sie allerdings schon seit Jahren propagandistisch aus.
"Es ist nötig zu kämpfen und zu sterben"
1993 tauchte der Name Alexander Dugin erstmals in deutschen Medien auf. Damals versuchte der Kreml mit Hilfe des Militärs der Separatisten im Kaukasus Herr zu werden. Über den ungewissen Ausgang der Konflikte schrieb die "Süddeutsche Zeitung" damals: "Und dann könnte wieder gelten, was der rechte Pamphletist Alexander Dugin erst kürzlich in der Zeitschrift Djen formulierte: 'Es ist nötig zu kämpfen und zu sterben, damit wir unser Reich bewahren können.'"
Quellen: 4pt.su, DPA, AFP, "Tagesspiegel", "Spiegel", Republik.ch, "Frankfurter Rundschau", Blätter für deutsche und internationale Politik, Geopolitica.ru, DLF über "Der Weg in die Unfreiheit"