Nach der Entdeckung eines mutmaßlichen chinesischen Spionageballons über den USA ist nun nach Pentagon-Angaben ein zweiter derartiger Ballon über Lateinamerika aufgetaucht. "Nach unserer Einschätzung ist es ein weiterer chinesischer Spionageballon", erklärte der Sprecher des US-Verteidigungsministeriums, Pat Ryder.
Zu dem zweiten gesichteten Ballon gab der Sprecher des US-Verteidigungsministeriums nur eine äußerst kurze Erklärung ab. Er machte darin keine Angaben, wo genau der Ballon über Lateinamerika gesichtet wurde. Der erste Ballon flog derweil über die Mitte der USA Richtung Osten.
Das Außenministerium in Peking erklärte seinerseits: "Einige Politiker und Medien in den Vereinigten Staaten benutzen den Vorfall als Vorwand, um China anzugreifen und zu verleumden." China habe "niemals" das Territorium oder den Luftraum eines anderen Landes verletzt.
Blinken sagt Reise nach China ab
Die Beziehungen zwischen den USA und China sind an einem Tiefpunkt angelangt. US-Außenminister Antony Blinken nannte das Auftauchen eines "chinesischen Überwachungsballons" im Luftraum der USA "inakzeptabel" und "unverantwortlich". Wegen der Vorfälle hat Blinken seinen für Sonntag erwarteten Besuch in Peking abgesagt. Es wäre der erste Besuch eines US-Außenministers in China seit 2018 gewesen. Auch hatte Blinken nach Medienberichten von Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping empfangen werden sollen. Zwar waren die Erwartungen an den Besuch nicht groß, doch gab es Hoffnungen, dass die Visite zu einer Beruhigung in den schwer angespannten Beziehungen führt.
Blinken sagte in einem Telefonat mit Chinas Spitzendiplomat Wang Yi aber zugleich auch, dass die USA diplomatische Verbindungen zu China wollen – "und dass ich plane, Peking zu besuchen, wenn die Bedingungen dafür vorhanden sind". Vor Journalisten sagte der US-Außenminister später: "Als erstes müssen wir dafür sorgen, dass dieses Spionage-Teil unseren Luftraum verlässt." Darauf sei die Regierung fokussiert.
Die chinesische Nachrichtenagentur Xinhua berichtete ihrerseits, dass Gespräch zwischen Blinken und Wang habe "in ruhiger und professioneller Atmosphäre" stattgefunden. Wang habe vor "Missverständnissen" gewarnt sowie "grundlose Spekulationen" zurückgewiesen. "China ist ein verantwortungsbewusstes Land und hält sich immer strikt an internationales Recht", sagte er laut Xinhua. China hatte zuvor beteuert, es handele sich um einen "zivilen" Ballon insbesondere für "meteorologische Zwecke", der versehentlich in den US-Luftraum geflogen sei.
Der Überflug des Ballons von der Größe dreier Busse war am Donnerstag publik geworden. "Ziel des Ballons ist ganz klar Spionage und sein aktueller Weg führt ihn über sensible Stützpunkte", sagte ein Pentagon-Vertreter. In der Region befinden sich unter anderem Luftwaffen-Stützpunkte und unterirdische Atomraketen-Standorte. Allerdings ist die Gefahr nach Einschätzung des Pentagon nicht besonders groß: "Wir sind zu der Erkenntnis gelangt, dass dieser Ballon aus Spionage-Sicht nur eingeschränkte Fähigkeiten hat."
US-Präsident Joe Biden hatte nach Entdeckung des Ballons nach Angaben eines Pentagon-Beamten angeordnet, einen möglichen Abschuss zu prüfen. Verteidigungsminister Lloyd Austin und die Spitzen des Militärs hätten sich letztlich dagegen entschieden, weil bei einem Abschuss durch die herunterfallenden Teile zu viele Menschen am Boden gefährdet werden könnten. Der frühere US-Präsident Donald Trump forderte trotzdem einen Abschuss: "Schießt den Ballon ab!", schrieb der Republikaner auf der Online-Plattform Truth Social. Auch der Präsident der renommierten außenpolitischen Denkfabrik Council on Foreign Relations mit Sitz in New York, Richard Haass, sagte dem TV-Sender CNN, man solle den Ballon abschießen. Dass Blinken seine Reise nach China absagte, kritisierte der Experte. Gerade jetzt sei es wichtig, mit China zu sprechen.
Spionageballon fliegt seit Tagen über die USA
Ein chinesischer Außenamtssprecher bekräftigte, der Ballon über den USA sei "für meteorologische und andere wissenschaftliche Forschung" benutzt worden. Er sei durch "höhere Gewalt" in den US-Luftraum eingedrungen. "Durch die Westwinddrift und wegen begrenzter Steuerungsmöglichkeiten ist das Luftschiff weit von der geplanten Route abgekommen", so der Sprecher. "Einige Politiker und Medien in den USA haben die Situation ausgenutzt, um China anzugreifen und in Verruf zu bringen."
Das Pentagon ließ das nicht gelten. "Wir wissen, dass es ein Überwachungsballon ist", sagte Ryder. Das Verteidigungsministerium hatte am Donnerstagabend die Sichtung des ersten Ballons im US-Luftraum publik gemacht. Zu diesem Zeitpunkt habe sich der Ballon über dem nordwestlichen Bundesstaat Montana befunden, hieß es. Man habe das Flugobjekt bereits seit einigen Tagen im Blick.
Die Spannungen zwischen China und den USA haben in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Dabei geht es unter anderem um den Konflikt um Taiwan und um Handelsfragen. In den vergangenen Monaten hatte es aber auch Zeichen der Entspannung gegeben. So trafen sich Biden und der chinesische Staatschef Xi Jinping im vergangenen November am Rande des G20-Gipfels in Indonesien. Biden betonte dabei, er wolle einen "energischen" Wettkampf mit China, aber "keinen Konflikt".