Ukraine-Krieg Wie viele und welche Russinnen und Russen dürfen in die EU? Kompromiss im Visa-Streit in Sicht

Russische Touristen EU
Russische Touristen am Grenzübergang zur EU in Nuijamaa, Finnland
© Alessandro Rampazzo / AFP
Sollten russische Touristen Visa für die Einreise in die EU bekommen? Länder wie Estland oder Finnland sagen Nein, Bundeskanzler Scholz warnt davor, Russ:innen kollektiv haftbar zu machen. Zum EU-Außenministertreffen legt die Bundesregierung einen Kompromiss vor.

Wenn die Außenminister der EU-Staaten an diesem Mittwoch über den Umgang mit russischen Touristen beraten, wird es wohl keine guten Nachrichten geben. Denn demnächst dürften sich die Grenzen für Russinnen und Russen weiter schließen. Die Frage ist nur: wie sehr. Zur Debatte steht, das Visa-Vergabe-Abkommen mit Russland entweder auszusetzen oder aber es zumindest einzuschränken. Einige Staaten wollen weitermachen wie bisher, aber das ist die unwahrscheinlichste Lösung. Grund: Große EU-Länder wie Deutschland wollen weder ein radikales Aus für die bisherige Praxis noch ein Weiter-so.

"Signale gegenüber der russischen Gesellschaft"

Zuletzt hatte die Ukraine die EU aufgerufen, ihre Grenzen für russische Staatsbürger dicht zu machen. Die EU-Länder Estland, Lettland, Finnland und Tschechien haben ihre Grenzen für sie bereits geschossen oder planen es, wie etwa Polen. Der tschechische Ministerpräsident Petr Fiala sprach für den EU-Ratsvorsitz seines Landes von nötigen "Signalen gegenüber der russischen Gesellschaft" gegen den Krieg. Viele EU-Bürger sind empört darüber, dass russische Staatsbürger für Einkaufstouren und Urlaube in die EU reisen, während in der Ukraine Tausende Menschen wegen des Krieges sterben.

Auf ihrer Klausurtagung in Meseberg spricht sich die Bundesregierung für einen Kompromiss aus, was einer Aussetzung des europäischen Visa-Abkommens mit Russland entsprechen würde. Ein solches Vorgehen könne im EU-internen Streit über mögliche Einreisebeschränkungen für Russinnen und Russen eine "ganz gute Brücke" sein, sagte Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne). Diese Regelung gibt es auch bereits, allerdings offiziell nur für Geschäftsleute, Regierungsvertreter und Diplomaten.

Eine Million Russen in der EU

Die Aussetzung könnte es EU-Staaten ermöglichen, die Kosten und den Aufwand für Antragsteller aus Russland deutlich zu erhöhen. Nach Angaben von Baerbock gehört zu dem deutschen Vorschlag auch, dass Mehrfachvisa mit einer Gültigkeitsdauer von mehreren Jahren gar nicht mehr ausgestellt werden. Zudem sollten besonders betroffene Länder Visumsanträge sehr genau prüfen können.

Seit Kriegsbeginn im Februar sind laut der EU-Grenzschutzagentur Frontex rund eine Million Russinnen und Russen über den Landweg in die EU gereist, zumeist als Touristen. Deutschland hat seitdem etwa 15.000 Visa ausgestellt, etwa halb so viele wie vor dem Krieg. In den vergangenen Wochen ist die Nachfrage nach Schengen-Visa um rund 40 Prozent angestiegen. Grund dürfte die Diskussion über den Visa-Bann sein.

Der CDU-Politiker und Europaabgeordnete David McAllister äußerte Verständnis für Befürworter eines harten Kurses, warnte aber auch vor zu weitgehenden Maßnahmen. "Ich verstehe, dass viele Europäer Schwierigkeiten haben zu sehen, dass diese Menschen immer noch die Art und Weise genießen, wie wir in Europa leben, dass sie ihren Urlaub am Mittelmeer verbringen oder in europäischen Städten einkaufen." Man brauche aber einen differenzierten Ansatz, um offen für russische Bürger zu bleiben, die sich gegen "die Diktatur von Wladimir Putin" wendeten.

Das sieht auch Annalena Baerbock so. Aus deutscher Sicht aber sollten nicht nur Journalisten oder bekannte Oppositionelle, sondern zum Beispiel auch Studenten weiter die Möglichkeit haben, in die EU zu reisen, so die Außenministerin. Die kritische Zivilgesellschaft sollte nicht bestraft werden. Die Grünen-Politikerin nimmt an dem informellen EU-Außenministertreffen in Prag teil.

Kreml spricht von "antirussischen Impulsen"

In einem deutsch-französischen Positionspapier zum Außenministertreffen heißt es noch weitergehender, dass man den Einfluss, der von der unmittelbaren Erfahrung des Lebens in Demokratien ausgehen kann, nicht unterschätzen sollte. Dies beziehe sich insbesondere auf künftige Generationen. "Unsere Visapolitik sollte dies widerspiegeln und weiterhin in der EU zwischenmenschliche Kontakte zu russischen Staatsangehörigen ermöglichen, die nicht mit der russischen Regierung in Verbindung stehen", heißt es in dem an andere EU-Staaten verschickten Papier.

Der Kreml hat der EU für den Fall eines weitgehenden Einreiseverbots für russische Staatsbürger Konsequenzen angedroht. Russland werde eine solche Entscheidung nicht unbeantwortet lassen und die Interessen seiner Bürger schützen, sagte Sprecher Dmitri Peskow der Staatsagentur Tass zufolge. "Dies ist eine sehr ernste Entscheidung, die sich gegen unsere Bürger richten kann." Die EU-Staaten verfolgten aber unterschiedliche Standpunkte, sagte Peskow und sprach von "antirussischen Impulsen".

Quellen: DPA, AFP