Italien droht nach dem äußerst knappen Ausgang der Parlamentswahl eine politische Hängepartie. Rund zwölf Stunden nach Schließung der Wahllokale erklärte sich der Oppositionschef Romano Prodi zum Sieger, nachdem sein Mitte-Links-Bündnis "Unione" jüngsten Auszählungen zufolge hauchdünn in beiden Kammern vor dem Regierungsblock "Haus der Freiheiten" landete.
"Wir können fünf Jahre regieren
Vor Journalisten kündigte der ehemalige EU-Kommissionspräsident an: "Wir können fünf Jahre regieren." Bei der Abstimmung zum Abgeordnetenhaus entfielen dem vorläufigen Ergebnis zufolge auf sein Bündnis 49,80 Prozent der Stimmen, Berlusconi erhielt 49,73 Prozent. Die Differenz beträgt gerade einmal 25.000 Stimmen bei 47 Millionen Wahlberechtigten. Prodis Koalition erhält demnach im Abgeordnetenhaus 340 der 630 Sitze. Das neue Wahlrecht, das Berlusconis Koalition im Dezember durchgedrückt hatte, sieht mindestens 340 Sitze für den Sieger vor.
Der italienische Senat
Der italienische Senat ist der Abgeordnetenkammer verfassungsrechtlich gleichgestellt: Alle Gesetze müssen auch vom Senat verabschiedet werden. Damit hat der römische Senat größere Bedeutung als etwa der deutsche Bundesrat, der lediglich bei so genannten zustimmungspflichtigen Gesetzen mitzureden hat. Ein italienischer Ministerpräsident benötigt die Zustimmung beider Kammern.
Bisher gab es in der italienischen Nachkriegsgeschichte keine "gespaltene Mehrheit" zwischen Senat und Abgeordnetenkammer. Die italienische Verfassung sieht für einen solchen Fall auch kein Schlichtungsverfahren vor, wie es etwa eines in Deutschland gibt.
Der römische Senat ist keine Länderkammer wie der Bundesrat, die 315 Senatoren werden aber auf regionaler Basis gewählt. Das aktive Wahlrecht für den Senat liegt bei 25 Jahren (Kammer: 18 Jahre), das passive Wahlrecht bei 40 Jahren (Kammer: 25 Jahre).
Zu den 315 gewählten Senatoren kann der Staatspräsident fünf Bürger zu Senatoren auf Lebenszeit benennen, die auf sozialem, wissenschaftlichem oder künstlerischem Gebiet Hervorragendes geleistet haben. Derzeit sind dies unter anderem Ex-Ministerpräsident Giulio Andreotti und die Nobelpreisträgerin für Medizin, Rita Levi Montalcini.
Auch ehemalige Staatspräsidenten haben Anspruch auf einen Senatorensitz auf Lebenszeit, derzeit gibt es zwei Ex-Staatspräsidenten im Senat, Francesco Cossiga und Oscar Luigi Scalfaro.
Im Senat entfielen nach Hochrechnungen zunächst 154 Sitze auf Prodi und 155 auf Berlusconi. Doch von sechs weiteren Sitzen, über die Auslandsitaliener entschieden, sicherte sich die Unione Medienberichten zufolge vier. "Aber zum Schluss haben wir gewonnen, und nun ist es an der Zeit für Italien, eine neue Seite aufzuschlagen", rief Prodi vor jubelnden Anhängern in Rom aus. Von Berlusconi forderte er, endlich die Wahlniederlage einzuräumen. Der Regierungschef meldete sich bislang nicht zu Wort. Er hatte bereits 1996 eine Wahl gegen Prodi verloren.
Industrieminister Claudio Scajola von Berlusconis Partei Forza Italia kritisierte Prodis Selbstproklamation zum Wahlsieger. "Das kann nicht toleriert werden", sagte er. "Was ist das, ein Staatsstreich? Das erinnert mich an Südamerika." Berlusconis Lager will eine gründliche Überprüfung von bis zu einer halben Million Stimmen, die Berichten zufolge ungültig sind oder annulliert wurden.
Eine möglicherweise langwierige Kontrollauszählung lässt Erinnerungen an das Debakel bei den Präsidentschaftswahlen in den USA von 2000 aufkommen, als im Bundesstaat Florida jede Stimme nachgezählt werden.
Offenbar im Versuch, einen solchen Streit noch abzuwenden, lobte Italiens Präsident Carlo Azeglio Ciampi in einer Erklärung den "ordnungsgemäßen und korrekten" Wahlverlauf.
"Gespaltenes Land" und "Kopf an Kopf" titelten Italiens Zeitungen, nachdem monatelang ein komfortabler Sieg der Opposition um Prodi als sicher gegolten hatte. Das Wahlergebnis war aber dann eines der knappsten in der Geschichte des Landes, in dem die Regierungen im Schnitt nicht länger als ein Jahr an der Macht waren. Einige Italiener gaben einer Prodi-Regierung unter den gegebenen Umständen aber nicht einmal die Chance auf eine halb so lange Lebensdauer: "Ich denke wir werden eine Regierung haben, die sechs Monate halten wird", sagte Pietro Bianchi, ein Bankangestellter aus Mailand. "Dann wird das Parlament auseinander brechen und wir müssen neu wählen."
Der 66-jährige Prodi kündigte unbeeindruckt erste Leitlinien für seine künftige Außenpolitik an. In deren Zentrum werde er Europa rücken. Gleichzeitig wolle er sich auch um eine "konstruktive Beziehung zu den USA bemühen". Berlusconi gilt als einer der wichtigsten Verbündeten von US-Präsident George W. Bush. Gegen Massenproteste im eigenen Land hatte er Soldaten in den Irak entsandt. Prodi hat deren Abzug - in Abstimmung mit den Verbündeten - in Aussicht gestellt.
Die hauchdünne Mehrheit ließ eine chronische Instabilität für die nächsten Monate erwarten. In Italien ist für jedes Gesetz die Zustimmung beider Kammern notwendig. "Es ist höchst unwahrscheinlich, dass die Art von Mehrheit, die wir sehen werden, die nötigen Reformen beschließen kann", sagte Susana Garcia von der Deutschen Bank. Der Leitindex der Mailänder Börse rutschte 0,7 Prozent ins Minus.
Während im Regierungslager noch niemand eine Wahlniederlage einräumte, gingen bei Prodi bereits erste Glückwünsche aus dem Ausland ein. So gratulierten Frankreich und Luxemburg. Bis zur Amtsübernahme einer neuen Regierung wird es voraussichtlich noch mindestens einen Monat dauern. Der im Mai scheidende Präsident Ciampi will nämlich die Ernennung des neuen Ministerpräsidenten seinem Nachfolger überlassen.