"Ich denke, es war eine schreckliche Entscheidung, Sie loszuwerden." So hört sich offenbar Zuneigung aus dem Mund von Donald Trump an. Dass Adressat Tucker Carlson nicht rot wurde, ist auch schon alles.
Dabei erklärte der rechte Scharfmacher einst nachweislich, dass er Trump "leidenschaftlich" hasse. Doch nichts eint offenbar so sehr wie eine verschmähte Liebe. Sie beide, der Ex-Präsident und der Ex-Starmoderator wurden von Fox News fallengelassen. Der eine auf Probe, der andere wohl für immer. Mit ihrem Gespräch, das Carlson diese Woche parallel zur TV-Debatte der Republikaner auf X (ehemals Twitter) veröffentlichte, stahlen sie Fox die Show. Die Botschaft: Wie ihr uns, so wir euch.
Während sich Trumps "Verfolger" live bei Fox News um die kläglichen Restprozente Wählergunst fetzten, plauderten Trump und Carlson vor einem Kamin über gestohlene Wahlen, schlimme Amtsinhaber, rachsüchtige Verräter und drohende Bürgerkriege. Nicht altmodisch im Kabelfernsehen. Sondern auf X. 46 Minuten und 12 Sekunden ging der Spuk. Am Ende hatten beide gewonnen – und Fox verloren.
Mit ihrem Twitter-Talk würden sie wahrscheinlich bessere Quoten einfahren als die Konkurrenzveranstaltung, weissagte Trump seinem Gegenüber. Er sollte Recht behalten. Schätzungsweise mehr als 15 Millionen Mal wurde der voraufgezeichnete Schnack unter Wieder-Freunden Berichten zufolge bisher angesehen. Die TV-Debatte bei Fox sahen gerade einmal 12,8 Millionen Menschen.
Mit der der metaphorischen Gelöbniserneuerung seiner Zweckehe mit Trump ist Carlson ohne Zweifel ein Coup gelungen. Wer glaubte, dass Amerikas erfolgreichster rechter Hetzer nach seinem Rausschmiss bei Fox News, in der Versenkung verschwinden würde, hat sich gewaltig geirrt. Tucker Carlson ist noch da. Und er ist wie entfesselt.
Zuletzt bei "Tucker & Fox"
Als Fox News seinem Quotengaranten Ende April nach sieben Jahren Beziehung überraschend den Laufpass gab, war das die letzte Konsequenz einer radikalen Inventur. Es war das Ende einer erfolgreichen Partnerschaft, die den Anchorman reich und den Sender weitreichender gemacht hatte. Nach dem juristischen Debakel mit Wahlmaschinenhersteller Dominion, das der Medienkonzern für 787,5 Millionen Dollar unter den Teppich kehrte, sah die Fox-Führung in Carlsons Abgang offenbar einen unerlässlichen Part des Heilungsprozesses. Dominion hatte Schadensersatz gefordert, weil der Sender Berichte über eine angebliche Manipulation der Wahlcomputer verbreitet habe. Das Aushängeschild selbst behauptete in seiner Anfang August erschienenen Biographie, sein Kopf sei sogar Teil des Deals mit Dominion gewesen. Bewiese dafür gibt es nicht.
Wie tief der Frust bei Carlson wirklich sitzt, ist schwer zu sagen. Ruhen lassen kann er die Vergangenheit nicht. Schon aus finanziellen Gründen. Denn tatsächlich wurde er genau genommen gar nicht gefeuert. Er steht immer noch unter Vertrag, bis Ende 2024, berichten US-Medien. Solange soll der 54-Jährige weiter sein üppiges Gehalt beziehen, zuletzt kassierte er angeblich mehr als 20 Millionen Dollar jährlich. Der Geldhahn bleibt aber nur unter der Bedingung offen, dass Carlson seinen Vertrag nicht verletzt. Aus Fox-Sicht tut er mit seiner Konkurrenzshow auf X allerdings genau das. Dafür erhielt Carlson angeblich bereits eine Abmahnung, sogar Unterlassungsklage ist zu lesen. Abschrecken tut Carlson das offenbar nicht.
Stattdessen feierte er die Trennung als eine Art Wiedererweckung. Ihm sei klar geworden, "wie unglaublich dumm der Großteil der TV-Debatten sind. Die sind komplett irrelevant. Die bedeuten nichts", sagte er einen Tag, nachdem er gegangen wurde.
Professionelles Schwurbeln: "Tucker on X"
Mit einem knackigen "We're back", meldete sich Carlson am 9. Mai zurück. Für seine erfolgreiche Notlandung auf X bedankte sich Carlson bei Elon Musk. Als hätte der ihm mediales Asyl gewährt. Der exzentrische Tech-Milliardär hatte die Plattform selbst zu dem Zeitpunkt gerade erst übernommen. Eigener Aussage nach auch, um der vermeintlichen Zensur ein Ende zu machen. Mit Tucker Carlson fand er einen Diskursverwandten. Im Podcast des britischen Comedians Russel Brand beteuerte Carlson später zwar, dass er nicht direkt für Elon, wie er Musk freundschaftlich nennt, arbeitet. Der habe ihn auch nicht dafür bezahlt, seine Interviews exklusiv auf X auszustrahlen. "Ich glaube, ich will nie wieder für irgendwen arbeiten", so Carlson. Die einzige große, ja die einzige Plattform auf der ganzen Welt, auf der man sich noch frei äußern dürfe, das sei aber eben Twitter. Keine Fesseln mehr für den Entfesselten! Und so begann für den gechassten Propagandapropheten der zweite mediale Frühling.
In seiner TV-Talkshow servierte der Scharfmacher seinen Zuschauern ein abendliches Potpourri aus Halbwahrheiten, Lügen und Verschwörungstheorien. Die Grenze des Sagbaren war ein schmaler Streifen am Horizont – wenn überhaupt. "Tucker on Twitter" (später "Tucker on X") entpuppte sich wenig überraschend als der exakte Nachbau seiner Primetimeshow. In den ersten Ausgaben beschränkte er sich auf seine typischen Monologe, in denen er sich vor allem aufregt. Am liebsten über Präsident Joe Biden. "Möchtegern Diktator", so der Titel von Episode Vier.
Nun unterhält sich kaum jemand so gut selbst wie Carlson. Doch zu zweit empört es sich eben besser. Er lud sich Gäste ein – oder Freunde. Die Grenzen verschwimmen beizeiten. In den bislang 19 Episoden verriet ihm Superschwurbler Robert Francis Kennedy junior, wer seinen Onkel ermordet habe (Spoiler: die CIA natürlich), gab er dem sexistischen Influencer Andrew Tate zweieinhalb Stunden verbale Beinfreiheit, ließ er sich von Prügelrherotiker und Präsidentschaftskandidat Vivek Ramaswamy Fragen mit Fragen beantworten und hofierte Ungarns rechtspopulistischen Regierungschef Viktor Orban persönlich.
Diejenigen, die angeblich nichts mehr sagen dürften, sagen bei Carlson eine ganze Menge. "Tucker on X" wird zum Format der offenen Tür. Offen für alles, was rechts und vermeintlich missverstanden ist.
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Quotensturz und Trennungsschmerz: Carlson erreicht die Millionen, die Fox News verliert
Bei Fox erreichte Carlson zur besten Sendezeit im Schnitt 3,5 Millionen Zuschauer – absolute Spitze im amerikanischen Kabelfernsehen. Wie viele Menschen seinem Gezwitscher heute lauschen, ist schwer zu sagen. Denn penibel gemessene TV-Quoten lassen sich nicht mit dem vergleichen, was X als "angesehen" wertet. Die auf Social-Media spezialisierte Nachrichtenseite "Mashable" geht davon aus, dass nur etwa sechs Prozent dessen, was die Plattform als "Anzeige" angibt, einem echten Zuschauer entspricht.
Doch auch unter Berücksichtigung dieser Formel legte Carlson auf X zunächst einen Traumstart hin. Millionen hielten ihm die Treue – oder waren zumindest neugierig. Danach schmierten seine Zahlen zeitweise ab, schossen aber je nach Gast in ungeahnte Höhen.
In jedem Fall zeigte Carlson: Es geht auch ohne Senderbosse im Nacken. Bei Fox dürfte diese Erkenntnis für unschönes Kopfkino sorgen. Was, wenn andere Moderatoren Carlsons Beispiel folgen? Was, wenn der Sender bald nicht mehr das Ziel, sondern lediglich noch Sprungbrett ist? In den ersten Monaten ohne Carlson waren die Einschaltquoten massiv eingebrochen. Die Moderatoren von der Ersatzbank erreichten zu Beginn weit weniger als die Hälfte der Zuschauer, die Carlson regelmäßig eingefangen hatte. Doch nicht nur der wichtigste Sendeplatz um 20 Uhr, sondern die Quoten für die komplette Primetime stürzten zeitweise um fast 40 Prozent ab.
Gleichzeitig legte die Konkurrenz zu. Die noch rechteren Kollegen von Newsmax konnte ihren Zuschauerschnitt zur Hauptsendezeit zwischenzeitlich mehr als verdoppeln. Erst mit Einführung eines neuen Programms und der endgültigen Klärung der Nachfolgerfrage erholten sich die Zahlen. Die Führungsposition von Fox News war nie in Gefahr", behauptete allerdings Lachlan Murdoch, der Vorstandsvorsitzende des Mutterkonzerns laut "Washington Post". Doch die Wahrheit ist: Carlson hat eine tiefe, eine sehr tiefe Kuhle im Moderatorensessel hinterlassen. Mit Nachfolger Jesse Watters seien die Senderbosse "zufrieden". Ein Tucker Carlson ist er aber nicht.
Fragt sich: Was macht Carlson überhaupt so besonders?
Der Mann rechts an der Theke – was kann Carlson besser als der Rest?
Die Zuschauer, fühlen sich von dem Mann, der gerne Krawatte im Hogwarts-Stil auf kariertem Hemd trägt, ernst genommen. Vermutlich kein anderer rechter TV-Hetzer bedient diese "Einer-von-uns-Mentalität so gekonnt. Fängt er an zu zetern, wirkt er wie eine Mischung aus Stammtischkumpel und Uniprofessor. Ein Typ, dem man zustimmen will, weil er die richtigen, die einfachen Worte findet und gleichzeitig der smarteste Kerl an der Theke ist.
Carlson spricht gerne im Wir, schließt das Publikum mit ein, ungefragt aber nicht aufdringlich. Als würde er dem Zuschauer inmitten eines vertrauten Gesprächs den Arm um die Schultern legen. Echte Freude versprüht er selten. Wenn er lacht, bricht es geradezu aus ihm heraus. Das schrille Gepruste klingt klingt mehr wie die absurde Imitation eines Lachens.
Tucker Carlson ist zweifellos ein begnadeter Rhetoriker mit einem natürlichen Gespür für die perfekte Pause. Hat er erst einmal Fahrt aufgenommen, ist er eine Dampfwalze, die sein Gegenüber zermalmt.
Aber das vermutlich Wichtigste: Er füllt eine Lücke. Er ist nicht so "verrückt" wie Alternativhetzer à la Steve Bannon, kann aber dasselbe Publikum bedienen – und mehr. Carlson ist machbar. Wo das Gros des Fox-Moderatorenpools aus austauschbaren Marktscheiern besteht, ist Carlson geschliffen ungeschliffen. Er verwandelt Verschwörungstheorien in Theorien. Absurditäten klingen aus seinem Mund logisch.
Wer weiß. Vielleicht hat Carlson in nicht allzu ferner Zukunft genug vom Reden und probiert sich im Handeln? Sollte er eines Tages selbst in Richtung Oval Office schielen, stünden seine Chancen vermutlich gar nicht schlecht. Zorn kann er verkaufen. Warum nicht auch sich selbst? Fragt sich nur, wem ein Präsidentschaftskandidat Carlson ein Interview gäbe. Fox News wohl nicht.
Quellen: X-Profil Tucker Carlson; "Guardian"; "Forbes"; "Washington Post"; "Mashable"; "Frankfurter Allgemeine Zeitung"