Aus den Schmuddelecken ins Parlament Willkommen im goldenen Zeitalter der Verschwörungstheorien

Donald Trump und Marjorie Taylor Greene
Seine Frau: Donald Trump und Taylor Greene während des Midterms-Wahlkampfs
© Seth Wenig / Picture Alliance
"Viele glauben Verschwörungstheorien, aber die Republikaner sind sehr anfällig dafür", stellt das US-Magazin Salon.com fest. Mittlerweile verbreiten selbst Abgeordnete ungerührt krudeste konspirative Erzählungen. Eine Übersicht.

Das Profanste, das sich über Marjorie Taylor Greene sagen lässt ist: Die Frau, 48 Jahre alt, aus einer Kleinstadt im US-Bundesstaat Georgia, ziemlich konservativ, wurde neulich als Abgeordnete des Repräsentantenhauses wiedergewählt. Das ist deswegen bemerkenswert, weil sie als Politikerin Schlagzeilen allein mit Verschwörungstheorien der besonders kruden Art macht. Vor wenigen Jahren wäre sie deswegen noch verspottet worden, mittlerweile wird sie deswegen ins Parlament gewählt.

Mehrfach wurde die Republikanerin von Twitter bereits wegen Verbreitung von üblem Unfug gesperrt. Im Frühjahr postete sie ein Video, in dem sie behauptete, die Demokraten seien "die Partei von Baby-Killern, Groomern (Erwachsene, die sich an Kinder heranmachen, d.Red.) der Geschlechtsumwandlungskinder und der Pädophiliebefürworter". Solche abseitigen "Theorien" gehören zu den Standarderzählungen von QAnon, einem mysteriösen Konspirativnetzwerk, zu dem sich auch Taylor Greene freimütig bekennt.

Verschwörungstheorien: Aus den Schmuddelecken in den Mainstream

Um 2017 herum kam QAnon-Anhänger aus den Schmuddelecken rechtsextremer Internetsphären gekrochen, in nur fünf Jahren haben sie sich im konservativen Mainstream breitgemacht – die Abgeordnete Taylor Greene ist das sichtbarste Zeichen dafür. Fleißig geholfen hat natürlich auch Donald Trump. Der geht seit seiner Abwahl mit der haltlosen Behauptung hausieren, die Präsidentschaftswahl 2020 "deutlich gewonnen" zu haben, dieser Sieg ihm aber gestohlen worden sei. Nichts spricht für diese Verschwörungstheorie, dennoch glaubt mancher Umfrage zufolge bis zur Hälfte aller Republikaner daran.

Die US-Seite Salon.com hat bereits das Goldene Zeitalter der Verschwörungserzählungen ausgerufen. "Sie waren schon immer Bestandteil der amerikanischen Politik, aber in der Ära von Donald Trump und des Internets sind sie noch verstörender und gefährlicher geworden", heißt es in dem Stück, in dem das Magazin eine Rangliste bei Republikanern besonders beliebter Theorien zusammenstellt. Natürlich gäbe es auch Linksliberale, die groteske Vorstellungen hätten, so Salon.com, "aber seien wir ehrlich: Die Republikaner sind besonders anfällig für dieses Zeug".

Hier ein paar Beispiele:

Wahlbetrug durch den "Deep State"

Beinahe schon ein Klassiker unter der Verschwörungserzählungen. Bereits im Sommer des Wahljahres 2020 hatte der damalige US-Präsident Donald Trump offen Zweifel an der Zuverlässigkeit der Briefwahl gesät. In Sozialen Medien machten Bilder von mobilen und angeblich manipulierten Briefwahlstationen die Runde. Nach dem Urnengang schossen die Spekulationen ins Kraut. Zum Nachteil der Republikaner sollen die elektronischen Wahlmaschinen gehackt worden sein. Vom einen mysteriösem Geheimstaat, dem "Deep State", oder den Chinesen, oder, besonders skurril, von Venezulanern mit Verbindungen zum vor neun Jahren verstorbenen Präsidenten Hugo Chavez.

Möglichst spät wählen, um "das System" auszutricksen

Vor der Zwischenwahl im November 2022 verbreitete das Umfeld des republikanischen Gouverneurskandidaten Doug Mastriano den "Tipp", die "Stimmen so spät am Tag wie möglich abzugeben", um das "System zu überfordern". Laut eines QAnon-Unterstützers hätten Hacker auf diese Weise keine Chance, die Wahl zu manipulieren. Eine ähnliche Empfehlung war auch aus Colorado und Maryland zu hören. Im letzteren stammte sie sogar für den republikanischen Kandidaten für das Amt des obersten Staatsanwalts.

"Der große Bevölkerungsaustausch"

Diese perfide Erzählung geistert auch schon länger in rechtsextremen Kreisen herum, wird aber in Talkshows wie der des Trump-Vertrauten Tucker Carlson behandelt, als wäre sie eine Tatsache. Im Kern geht es darum, dass die "Eliten" Einwanderung forcieren, um die weiße Bevölkerung zu dezimieren, "auszutauschen" oder gar zu vernichten. Diese Verschwörungstheorie existiert in vielen westlichen Ländern und wird entsprechend den lokalen Gegebenheiten angepasst. Im Mai 2022 hatte ein 18-Jähriger in der Stadt Buffalo zehn Schwarze erschossen, weil er glaubte, dass es einen "Genozid an Weißen" gäbe.

Selbst konservative Abgeordnete Ron Johnson aus Wisconsin oder Lauren Boebert aus Colorado thematisieren den gefährlichen Unsinn öffentlich. "Diese Regierung will offene Grenzen", hatte etwa Johnson in einem Fox-News-Interview gesagt. "Und haben sie sich schon einmal gefragt, warum? Wollen sie nicht vielleicht die amerikanische Demografie ändern, um für immer an der Macht zu blieben?" Auch zahlreiche Kandidaten für den US-Senat hatten im Wahlkampf diese konspirativen Gedanken in unterschiedlichen Varianten ventiliert. Darunter der erfolgreiche Trumpist J.D.Vance.

LGBT-Aktivisten sind verkappte Pädophile

Je mehr Aufmerksamkeit und Rechte Minderheiten wie Homosexuelle und Trans-Personen erhalten, desto giftiger wird der Ton ihnen gegenüber. So hat in Florida Gouverneur und möglicher nächster republikanischer Präsidentschaftskandidat Ron DeSantis verboten, an Grundschulen solche Themen überhaupt anzusprechen. Seine Sprecherin sagte dazu: "Demokraten nennen es das 'Sag-nicht-Schwul-Gesetz', aber korrekterweise müsste es 'Anti-Grooming-Regelung' heißen. Und wenn du es ablehnst, bist du vermutlich selbst ein Groomer, oder lehnst es zumindest nicht ab, wenn Vier- bis Achtjährigen sexuelle Avancen gemacht werden", so Christina Pushaw auf Twitter.

Der unappetitliche und völlig aus der Luft gegriffene Dreisatz: LGBT-Unterstützer machen sich an Kinder ran und neigen daher zu Pädophilie ist einer der "populärsten Verschwörungstheorien der Republikaner dieses Jahr", schreibt Salon.com und nennt etwa den Senator Wendy Rogers aus Arizona oder die Vizegouverneurin von Idaho, Janice McGeachin als Vertreter dieser "Idee". Auch die erzkonservative Fox-News Moderatorin Laura Ingraham verbreitet vor einem Millionenpublikum, dass Schulen, die LGBT unterstützten, "sexuelles Brainwashing" betreiben würden und daher "Grooming Center" seien.

Der inszenierte Angriff auf den Mann von Nancy Pelosi

Nancy Pelosi war schon immer da. Sie wird bewundert und gefürchtet, sie gehört zu den mächtigsten Menschen in Washington. Wenn sich in zwei Wochen das neu gewählte Parlament konstituiert, wird die 82-Jährige nicht mehr dabei sein, nach 35 Abgeordneten-Jahren macht die Sprecherin des Repräsentantenhauses Schluss. Doch eine sorglose Rente scheint ihrer Familie nicht vergönnt zu sein, seitdem ihr Mann Paul Pelosi vor zwei Monaten im eigenen Zuhause von einem rechten Verschwörungsanhänger der Schädel eingeschlagen wurde. Eigentlich hatte es der Attentäter auf Nancy abgesehen, doch die war zu dem Zeitpunkt in Washington.

Quasi mit Meldung des Überfalls schossen auch die Verschwörungserzählungen ins Kraut. Im Zentrum standen dabei vor allem homophobe Unterstellungen. So hieß es, der Täter sei Paul Pelosis heimlicher Geliebter gewesen. Anlass war die Falschmeldung, nach der der Angreifer nur mit Unterhose bekleidet festgenommen wurde. Aus allen Ecken, vor allem den rechten, kam ausgedachter Blödsinn, von hämisch bis verleumderisch.

Obwohl der Gewalttäter ganz offenbar ein Rechtsextremer war, taten manche Republikaner wie der Senator Ted Cruz oder ein Abgeordneter so, als wäre er ein auf Drogen hängengebliebener Althippie. Auch der reichste Mann der Welt, Twitter-Chef Elon Musk, trug seine konspirative Idee bei: Er verwies darauf, dass Paul Pelosi zum Zeitpunkt der Attacke betrunken gewesen sei und sich im Streit mit einem männlichen Prostituierten befunden habe.

Marjorie Taylor Greene verdrehte dann den ohnehin schon überspannten Bogen völlig: Sie beschuldigte die Medien, Falschinformationen zu verbreiten. Dass die nur den offiziellen Ermittlungsstand der Polizei wiedergeben, interessiert sie dabei nicht. Auf Twitter schrieb die Abgeordnete: "Die gleichen Mainstream-Medien-Demokraten-Aktivisten, die jahrelang Verschwörungstheorien über Präsident Trump und Russland verkauft haben, beschuldigen nun Elon Musk der 'Internet-Falschinformation' über Paul Pelosis Freund, der ihn mit einem Hammer angegriffen hat.

Der vermutlich psychisch instabile 42-jährige QAnon-Anhänger sagte übrigens vor Gericht aus, dass er niemanden habe verletzten wollen, aber auf einer "Selbstmordmission" sei. Ihm drohen bis zu 13 Jahre Haft.

Quellen: Salon.com, DPA, AFP, Reuters, Twitter, "Washington Post"