Zwischenfall vor syrischer Küste Nato verurteilt Abschuss von Kampfjet

Warum wurde die türkische F-4 von Syrien abgeschossen? Und wo genau? Der Zwischenfall im Mittelmeer beschäftigt die Nato. Die bezeichnet die Angelegenheit nun als "nicht hinnehmbar".

Wenn man von der Zahl desertierender Militärangehöriger auf den Zustand eines Regimes schließen kann, dann geht es der syrischen Regierung den Umständen entsprechend gut. Noch. Denn der Trend spricht eindeutig gegen Diktator Baschar al Assad. Nach der spektakulären Flucht eines Kampfpiloten mit seiner Militärmaschine nach Jordanien, haben sich nun noch einmal 39 Soldaten in die Türkei abgesetzt. Mitsamt ihrer Familien, insgesamt rund 200 Syrer. Das ist zwar noch keine breite Absetzbewegung, wie sie im Verlauf des Aufstands in Libyen einsetzte, aber vielleicht ein Anfang. Immerhin sind schon jetzt 13 Generäle aus dem Land geflohen.

Es gibt sogar Exilanten, die bringen den Abschuss der türkischen F-4 Phantom in Zusammenhang mit der zunehmenden Zahl der Deserteure: Ein ehemaliger syrischer Militär, der mittlerweile in Beirut lebt, will über konkrete Informationen verfügen, wonach die Flak-Schützen den türkischen Kampfjet vom Himmel holten, weil sie glaubten, dass sich erneut einer der Ihrigen davonstehlen wollte. Nicht auszuschließen, dass die Nerven bei den Syrern tatsächlich blank liegen, ein Sprecher in Damaskus jedenfalls sagte zu dem Zwischenfall: "Selbst wenn es ein syrisches Flugzeug gewesen wäre, hätten wir es abgeschossen."

Wo genau wurde der Jet abgeschossen?

Der Zusammenhang, in dem dieser Satz fiel, war der erneute Versuch des Regimes, den Abschuss zu rechtfertigen. Die Regierung beharrt auch Tage danach auf ihrer Version, wonach der türkische Kampfjet das syrische Hoheitsgebiet verletzt und man sofort auf die "Verletzung der Souveränität" reagiert habe. Die Türkei stellt den Vorfall anders dar: Zwar habe der Pilot, angeblich aus Versehen, den syrischen Luftraum durchflogen, sei aber schnell wieder in internationales Gebiet zurückgekehrt und erst 24 Kilometer von der Küste entfernt getroffen worden.

Sicher ist, dass einer der beiden Staaten nicht die ganze Wahrheit sagt. Ist es die Regierung des Pariastaates Syrien, deren Glaubwürdigkeit ohnehin zerstört ist? Oder sollte doch Nato-Mitglied Türkei die unübersichtliche Lage zu ihren Gunsten auslegen? Mehr Licht ins Dunkel bringt auch die neueste Meldung nicht, wonach eine weitere türkische Maschine von der syrischen Luftabwehr beschossen wurde. Erst nachdem das Außenministerium in Ankara interventiert habe, hätten die Syrer den Beschuss gestoppt.

Ein Fall für Verschwörungstheoretiker

Um Licht in die Sache zu bringen, berät die Nato und die EU derzeit in einer Sondersitzung des Nato-Rats. Die türkische Regierung hatte das Treffen wegen des Abschusses der Phantom anberaumt. Offiziell geht es um "Konsultationen" nach Artikel 4 des Nato-Vertrages für den Fall, dass territoriale Integrität, die politische Unabhängigkeit oder die Sicherheit der Bündnismitglieder bedroht ist.

Als erstes Resultat der Sitzung hat die Nato den Abschuss als "nicht hinnehmbar" verurteilt. "Die Alliierten haben ihre feste Unterstützung und Solidarität mit der Türkei zum Ausdruck gebracht", sagte der Generalsekretär des Militärbündnisses Anders Fogh Rasmussen. Er äußerte die Erwartung an Syrien, dass sich ein "solcher Vorfall sich nicht noch einmal ereignet".

Diese Worte sind wohl mit Bedacht gewählt, denn das Verhältnis zwischen Syrien und der Türkei ist arg angespannt - und nicht nur, weil Ankaras Regierungschef Recep Tayyip Erdogan ganz offen die Ablösung von Baschar al Assad fordert. Als Nachbarstaat ist die Türkei erste Anlaufstelle für syrische Flüchtlinge. Schätzungsweise 33.000 Menschen sollen mittlerweile über die Grenze gekommen sein. Offiziell zwar dementiert, gilt es als offenes Geheimnis, dass die Türken den Waffenschmuggel zugunsten der Rebellen zumindest tolerieren.

Beschwichtigungen wohin die Ohren hören

Und so hatten die Mutmaßungen Überhand genommen: War der Abschuss der F-4 eine Warnung Syriens vor einem militärischen Vorgehen gegen das Regime? Oder ein Versehen? Waren es übereifrige Soldaten oder kam der Befehl von ganz oben? Waren die beiden Türken im unbewaffneten Kampfjet unterwegs, um zu testen, ob und wie schnell die Syrer reagieren? Eine Provokation der Türkei gar? Oder handelte die Türkei gar im Auftrag der Nato, die nach einem Grund sucht, in Syrien militärisch intervenieren zu können?

Nichts kann ausgeschlossen werden, doch die zurückhaltende Reaktion beider Seiten deutet darauf hin, dass es weder Syrien noch die Türkei auf eine Eskalation ankommen lassen wollen. Das dürfte auch im Interesse der EU sein. Sowohl Außenminister Guido Westerwelle als auch seine europäischen Kollegen sowie Nato-Diplomaten machten schnell klar, dass ein militärisches Eingreifen nicht zur Debatte stehe. Gleichwohl betrachten die Nato-Mitglieder den Abschuss als unverhältnismäßig, unakzeptabel und "ernste Bedrohung des Friedens" in der Region.

Syrien wünscht der Nato viel Glück

Ohnehin will niemand Soldaten in das Bürgerkriegsland entsenden. Schon aus militärischen Gründen, wie der Experte Aram Nerguizian vom CSIS-Institut in Washington sagt. Er vergleicht die Situation mit Libyen: "Syrien hat eine drei Mal größere Bevölkerung, eine 30-fach höhere Bevölkerungsdichte und eine viel größere und weitaus fähigere Armee." Dazu komme die enge Verbindung des Pulverfasses Syrien zum Iran und der libanesischen Schiitenmiliz Hisbollah, sowie die unmittelbare Nähe zu Israel, die gegen eine militärische Auseinandersetzung spreche.

Aus Damaskus war im Vorfelds der Sondersitzung eine Art drohendes Toi, toi, toi zu hören: "Wenn es das Ziel dieses Treffens ist, die Lage zu beruhigen und Stabilität zu fördern, wünschen wir viel Erfolg", sagte Sprecher al Makdissi. Wenn durch das Treffen jedoch die Agression gesteigert werden solle, müsse die syrische Regierung klarstellen: "Syriens Luftraum, Staatsgebiet und Gewässer sind der syrischen Armee heilig."

Reuters
mit AFP/Reuters