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Atomkatastrophe in Japan Deutsche AKW-Bundesländer denken um

Die Atomkatastrophe in Japan hat die fünf Bundesländer mit Kernkraftwerken blitzschnell zum Umdenken gebracht. stern.de fasst die Entwicklungen zusammen.

Die Atomkatastrophe in Japan hat nicht nur die Bundesregierung, sondern auch die fünf Bundesländer mit Kernkraftwerken blitzschnell zum Umdenken gebracht. Die Ministerpräsidenten von CDU und CSU, bisher entschiedene Verfechter der Atomenergie, schlagen plötzlich ganz neue Töne an. Eine Übersicht.

Hessen

Im Süden des Bundeslandes steht das Atomkraftwerk Biblis. Block A ging 1974 in Betrieb und ist der älteste noch laufende Meiler in Deutschland, Block B ist zwei Jahre älter. Wie im Bund hatte sich auch die schwarz-gelbe Koalition in Wiesbaden bislang stets für Atomstrom als Brückentechnologie stark gemacht. Noch am Montag schien es zunächst, als ob Biblis von der Entscheidung der Bundesregierung, die Verlängerung der Laufzeiten für drei Monate auszusetzen, gar nicht betroffen sei. Über Nacht dann die Wende: Biblis A müsse doch kurzfristig vom Netz, erklärte Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) am Dienstag. Ob die beiden Meiler jemals wieder Strom produzieren dürfen, ist unklar. Atomgegner kritisierten in der Vergangenheit besonders, dass das Atomkraftwerk Biblis nur unzureichend gegen Flugzeugabstürze gesichert sei.

Baden-Württemberg

Im Südwesten stehen vier Atommeiler, zwei werden nun abgeschaltet: Neckarwestheim I und Philippsburg I. Zumindest ersteres, das 1976 in Betrieb ging, wird endgültig stillgelegt, wie Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) am Dienstag ankündigte. Die Atomdebatte trifft Mappus dreifach: Erstens hatte er wie kaum ein anderer für deutlich längere Atom-Laufzeiten gekämpft. Zweitens wird am 27. März ein neuer Landtag gewählt; das Kopf-an-Kopf-Rennen, das sich Schwarz-Gelb und Rot-Grün zuletzt in den Wahlumfragen geliefert haben, könnte durch die Atomdebatte entschieden werden. Drittens hatte Mappus im Dezember in einem Hauruckverfahren vom französischen Staatskonzern EDF den 45-prozentigen Aktienanteil am Karlsruher Stromkonzern EnBW zurückgekauft. Der AKW-Betreiber EnBW, dessen Unternehmenswert auch an den Atom-Restlaufzeiten hängt, gehört somit dem Land.

Schleswig-Holstein

Im Norden ändert sich praktisch nichts. Die beiden von dem Moratorium betroffenen Siedewasserreaktoren Brunsbüttel (Inbetriebnahme 1976) und Krümmel (1983) sind nach zahlreichen Pannen ohnehin seit knapp vier Jahren fast durchgängig vom Netz. Und an der Kieler Förde rechnet kaum jemand damit, dass diese Meiler jemals wieder angefahren werden. Die nur mit einem Sitz Mehrheit im Landesparlament regierende CDU/FDP-Koalition muss sich voraussichtlich im Mai 2012 Neuwahlen stellen. Die FDP möchte die "Pannenmeiler" Krümmel und Brunsbüttel endgültig stillgelegt wissen und dafür dem dritten Atomkraftwerk im Norden, dem Druckwasserreaktor Brokdorf, längere Laufzeiten einräumen. Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU) sagt, dass Sicherheit das oberste Gebot ist.

Niedersachsen

Auch hier hat infolge der Atomkatastrophe ein Sinneswandel in der schwarz-gelben Landesregierung eingesetzt. Bisherige Befürworter der Laufzeitverlängerung wie Ministerpräsident David McAllister (CDU) und sein Umweltminister Hans-Heinrich Sander (FDP) begrüßen das Moratorium und die damit verbundene vorübergehende Abschaltung der ältesten Atommeiler. "Nach den Ereignissen in Japan haben wir jetzt die politischen Konsequenzen zu ziehen", sagte McAllister. Von den drei noch am Netz befindlichen Atomkraftwerken ist zunächst nur der älteste Meiler in Unterweser von der Abschaltung betroffen. Während das 1979 gebaute Kraftwerk zumindest vorübergehend vom Netz geht, dürfen die moderneren Meiler in Grohnde und Emsland vermutlich noch bis ins nächste Jahrzehnt weiter produzieren.

Bayern

Die CSU/FDP-Staatsregierung will das Atomkraftwerk Isar I, einen von fünf Meilern im Freistaat, schnell abschalten und stilllegen. Das 1977 ans Netz gegangene AKW in Niederbayern zählt zu den ältesten in Deutschland und entspricht nicht mehr den heutigen Sicherheitsanforderungen. Die Grünen wollen die Landesregierung aber mit einer großen Unterschriftensammlung und dem "Druck der Straße" zwingen, zum unter Rot-Grün beschlossenen Atomausstieg zurückzukehren. Die CSU ist seit den 50er Jahren eine Verfechterin der Atomenergie, der erste deutsche Atomminister war Franz Josef Strauß. Die jetzige Kehrtwende bezeichnet Grünen-Landeschefin Theresa Schopper als "letzten Strohhalm vor dem Machtverlust" - obwohl in Bayern die nächste Wahl erst 2013 ansteht.

DPA DPA

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