Eines immerhin ist beim ersten Aufeinandertreffen aller drei Kanzlerkandidat:innen vor großem Publikum deutlich geworden: Wer seine Wahlentscheidung im Herbst von der Außenpolitik abhängig machen will, der muss die Nuancen studieren, muss ins kleinste Detail gehen. Denn ob Annalena Baerbock (Grüne), Armin Laschet (CDU) oder Olaf Scholz (SPD) – niemand stellt im Grundsatz das transatlantische Bündnis mit den USA infrage, niemand will der Nato den Rücken kehren, alle befürworten die Stärkung Europas und alle stehen natürlich auch künftig an der Seite Israels.
Angesichts der aktuellen Eskalation in Nahost wurde es am Donnerstagnachmittag auf dem Europaforum des WDR im letzten Punkt – bekanntlich deutsche Staatsräson – konkreter. Wobei Armin Laschet betonte: "Es gibt keinen Krieg zwischen der Hamas und Israel." Der Konflikt bestehe schließlich schon seit der israelischen Staatsgründung. Deutschland trete für die Zwei-Staaten-Lösung ein und betrachte Mahmud Abbas, den Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde, und nicht die, so Laschet, "Terrororganisation" Hamas als Gesprächspartner. Insgesamt aber habe Deutschland "den Akteuren vor Ort keine Vorgaben" zu machen.

Heikel für Baerbock: Waffenlieferungen an Israel
Annalena Baerbock wollte es dabei nicht bewenden lassen. "Das Allerwichtigste ist jetzt, dass die Raketenangriffe aufhören", sagte die Grünen-Kandidatin. Sie betonte mehrfach, wie wichtig eine intensive "Telefondiplomatie" sei, um mindestens indirekt auf die Hamas einzuwirken. Dies im engen Zusammenwirken mit den USA, die bei der Beilegung der aktuellen Eskalation eine Schlüsselrolle einnähmen. Laschet fühlte sich durch Baerbocks Hinweis dazu genötigt zu betonen, es sei "logisch" hinter den Kulissen "jemanden dazu zu bringen, auf die Hamas einzuwirken". Als direkter Gesprächspartner komme die radikalislamische Palästinenserorganisation aber nicht infrage. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte sich zuvor bei der gleichen Veranstaltung für "indirekte Kontakte" zur Hamas ausgesprochen: "Natürlich muss Hamas in gewisser Weise eingebunden sein, ohne Hamas gibt es auch keinen Waffenstillstand."
Für die Grünen ist die Israel-Frage in einem Punkt besonders heikel. Während SPD-Kandidat Olaf Scholz eindeutig dazu stand, dass im Rahmen der existierenden engen Rüstungskooperation Deutschland Waffen zur Selbstverteidigung an Israel liefert, steht im grünen Wahlprogramm, dass sich "Rüstungsexporte in Kriegsgebiete" verbieten. Darauf angesprochen betonte Annalena Baerbock, dass die Rüstungskooperation geltendes Recht sei und gab keine Hinweise, dass sie als Kanzlerin daran grundsätzlich rütteln wolle. Gleichwohl nehme ihre Partei die Exportrichtlinie, Waffen nicht in Kriegsgebiete zu liefern, ernst. Deshalb solle im konkreten Fall entschieden werden, einen Blankoscheck werde es nicht geben.
EU mit Einstimmigkeit kein Akteur auf der Weltbühne
Sowohl Baerbock als auch Laschet und Schulz bedauerten, dass es der EU nicht gelungen sei, sich als Einheit für einen Waffenstillstand in Nahost einzusetzen. Ungarn wollte in diesem Punkt nicht folgen. "Wir müssen bei bestimmten Themen von der Einstimmigkeit weg", sagte SPD-Kandidat Scholz, "und die Außenpolitik gehört dazu." Der Zwang zu einstimmigen Beschlüssen verhindere, dass die EU "ein guter Akteur in der Welt" sein könne. Scholz: "So wird die EU herumgeschubst." Dass dies bedeute, "dicke Bretter" bohren zu müssen, darin stimmten ebenfalls alle drei überein. Baerbock sprach sich sogar dafür aus, dass Einstimmigkeitsprinzip in der EU gänzlich zu kippen.
Und so ging es weiter in Details: Laschet und Scholz bekannten sich beispielsweise zwar zum Zwei-Prozent-Ziel, laut dem jeder Nato-Staat zwei Prozent seines Bruttoinlandsproduktes für Verteidigungsausgaben aufwenden muss, machten aber ebenso deutlich, dass sie sich an diese Vorgabe weiterhin heranrobben wollen. Baerbock nannte die Marke "absurd", was sich daran ablesen lasse, dass Deutschland dem Ziel näher gekommen sei, just weil die Wirtschaft wegen Corona beeinträchtigt sei. Sie sprach sich dennoch für eine selbstbewusstere Rolle der EU in der Verteidigungspolitik aus, die die Union schon hätte einnehmen müssen, als die USA während der Trump-Jahre als Partner ausgefallen sei. Jetzt gelte es für die EU, mit den USA eine Partnerschaft auf Augenhöhe zu formen.
Angela Merkel hinterlässt übergroße Fußstapfen
Einen tiefgreifenden Bruch mit der bisherigen Außenpolitik – das wird viele beruhigen – wird es mit der künftigen Bundesregierung wohl nicht geben – egal, welcher Couleur sie ist. Die Frage, die keine Gesprächsrunde zwischen Baerbock, Laschet und Scholz beantworten wird, ist aber eine bedeutende: Wer von den dreien ist am ehesten geeignet, in die übergroßen Fußstapfen von Angela Merkel auf internationalem Parkett zu steigen. Vor allem für die Stellung Deutschlands in der EU wird dies wichtig sein. In Brüssel, so ist zu hören, ist man schon sehr gespannt.