Hallelujah! Nun haben wir endlich einen Ersatz-Gauck. Seit heute Mittag sogar von der Heiligen Dreiuneinigheit Merkel, Seehofer, Gabriel unter der Reichstagskuppel dem geneigten Publikum amtlich vorgestellt. Und wer sich jetzt alarmiert daran erinnert, dass am selben Ort vor sieben Jahren auch der unglücksrabenhafte Christian Wulff von der Koalitionsspitze (Gabriel hieß damals allerdings noch Westerwelle) als neues Staatsoberhaupt ausgestellt worden war, der darf sich gleich wieder beruhigen: So schlimm wird es schon nicht werden mit unserem Künftigen. Verheerender als der Findungsprozess kann die Präsidentschaft des Frank-Walter Steinmeier, 60, aus Brakelsiek im Lipperland gar nicht werden.
Wem schadet diese Entscheidung und wem nützt sie?
Nachdem sich die Weihrauchschwaden ("bester Mann" etc. pp) langsam etwas gelichtet haben, ist es nun Zeit, mal nüchtern eine kleine Zwischenbilanz zu ziehen über den Kollateralschaden bzw. -nutzen für alle Beteiligten. Los geht´s. Oben auf dem Siegertreppchen:
1. Frank-Walter Steinmeier, logo. Kann es jetzt ein bisschen ruhiger angehen, muss sich nicht mehr mit den Erdogans dieser Welt vor laufender Kamera zanken und 400.000 Kilometer pro Jahr runterreis(s)en auf seiner never ending Tour von Krisenherd zu Krisenherd. Muss auch nie wieder Wahlkampf machen. Hat außerdem endlich gezeigt, dass er doch nicht so risikoscheu ist, wie viele glauben. Obwohl, dass er zu kandidieren bereit ist, hat ER nie gesagt, bevor er nicht Merkels Segen hatte; ein Spalt im Hintertürchen war bis Montagmorgen immer offen.
2. Martin Schulz. Kann jetzt relativ ruhig abwarten, ob er Präsident des EU-Parlaments bleiben darf. Falls nicht, wird er eben Außenminister. Oder sogar auf jeden Fall. Einen anderen Außenpolitiker von dem Kaliber hat die SPD nicht aufzubieten. Wird verbal mit Sicherheit etwas weniger diplomatisch auftreten als Steinmeier – und sich mit Sicherheit stärker einmischen, wenn die Kanzlerin in seinem angestammten Revier Brüssel Politik macht. Kennt da schließlich Hinz und Kunz und Juncker mindestens so gut wie sie.

3. Horst Seehofer. Wie man in Bayern sagt: A Hund is er scho. Manche sagen eher: Hundsfott. Ist nicht ganz so bewundernd gemeint. Bestimmt von München aus zunehmend die Geschicke der Republik und macht dabei längst keine Gefangenen mehr. Wollte unbedingt ein schwarz-grünes Signal vermeiden. Machte deshalb die Personalie Steinmeier bei einem Geheimtreffen mit Steinmeier klar. Weißte Bescheid, Angela.
4. Wir alle. Hätten es vielleicht noch ein bisschen besser treffen können (siehe 6). Aber auch viel, viel schlechter (Namen aus der lange Liste mit Vorschlägen nach Gusto hier einfügen, bitte). Steinmeier genießt bei einer großen Mehrheit der Deutschen viel Vertrauen. Das viel Wert in einer Zeit des grassierenden Trumpismus.
5. Sigmar Gabriel. Ist manchmal einfach ein guter Bluffer. Keine Zähne im Maul, aber La Paloma pfeifen. Hat beim Präsi-Poker All-in gespielt, obwohl sein Blatt miserabel war: Ein Kandidat, der lange nicht wollte; keine Mehrheit in der Bundesversammlung; Widerstand bei allen anderen. Hatte aber verdammt gute Nerven. Hat mit Steinmeier aber alle verprellt, die sich von der Wahl des Staatsoberhauptes ein rot-rot-grünes Signal erhofft hatten. Steht nur deshalb nicht weiter oben, weil er es schon häufiger geschafft hat, aus einem grandiosen Sieg eine Niederlage zu machen.

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6. Norbert Lammert. Wollte sich nicht von der Kanzlerin in eine Kandidatur drängen lassen, jedenfalls nicht als dritte oder vierte Wahl. Bleibt lieber Bundespräsident der meisten schwarzen, vieler grüner und sogar einiger linker Herzen. Kann in seiner selbstgewählten Freigeistigkeit zugucken, welche Fehler Steinmeier macht, die er selber sicher vermieden hätte.
7. Die CDU. War mal eine stolze Partei, wenn auch nicht ganz so stolz wie die SPD. Jetzt ganz schön auf den Hund gekommen (siehe 3). Stellt die weitaus größte Gruppe in der Bundesversammlung, findet aber niemand Vorzeigbaren, der gegen Steinmeier antreten könnte? Hätte es unter Kohl nicht gegeben. Unter Schäuble auch nicht. Diese Kränkung wird der Partei lange zu schaffen machen.
8. Die politische Klasse. Je nun. Hat so ziemlich alle (Vor-)Urteile gegen sich bestätigt. Ewiges Mauscheln, kein Wettstreit der Besten, und am Ende wird es der, den man bereits vor einem halben Jahr ganz einfach hätte haben können.
9. Angela Merkel. Hat gezeigt, dass sie nicht immer durch Erfahrung klüger wird. Kriegt zum zweiten Mal einen Präsidenten aufgezwungen, den sie über Monate abgelehnt hat. Eindeutige Verliererin dieser Kandidatensuche. Von Seehofer dahin getreten worden, wo es Machtmenschen am meisten weh tut. Weiß jetzt wenigstens sicher, wer wahrscheinlich die größte Gefahr im Wahlkampf für sie sein wird.
Keine Bedeutung für die Bundestagswahl
So, und jetzt machen wir einen dicken Strich drunter und ziehen, wie wir das in der Schule gelernt haben, ein ordentliches Fazit. Welche Bedeutung hat das alles für den Ausgang der Bundestagswahl? Kurze Antwort: Keine. Die Präsidentenkür ist nichts von weiterer Bedeutung. Erstens fließen bis zum kommenden Herbst noch viele Biere die Kehle runter. Zweitens kann, wer eine Partie im Poker gewonnen hat, am Ende trotzdem in Unterhosen nach Hause gehen. Wir erinnern da an Philipp Rösler (sonst noch jemand anwesend, der sich an ihn erinnert?). Weil Rösler sich als FDP-Chef vor fünf Jahre auf Gaucks Seite geschlagen hatte, musste Merkel den Ungeliebten notgedrungen akzeptieren. Auch das eine als folgenreich interpretierte Niederlage. Rösler freute sich fast den Ast ab über seinen Coup. Eine Bundestagswahl später war Merkel immer noch Kanzlerin – die FDP aber aus Regierung und Parlament verschwunden.
Deshalb sei ganz am Schluss noch einmal schnell auf Punkt 9 verwiesen und einen Spruch aus dem Lukas-Evangelium: Und siehe, es sind Letzte, die werden die Ersten sein.
Amen.