Ach, Würselen! Erst seit ein paar Tagen ist Martin Schulz Kanzlerkandidat der SPD. Aber in diesen paar Tagen hat er es geschafft, das harmlose Kleinstädtchen, das so herrlich nach deutscher Provinz klingt und bisher nahe dem Autobahnkreuz Aachen im Schatten der Weltgeschichte vor sich hin dämmerte, zur Chiffre zu machen für seine Kampagne. "Würselen", so will es Martin Schulz, steht für Volksnähe. Für die "einfachen Menschen im Land". Für "die, die jeden Tag zur Arbeit gehen und sich an die Regeln halten". Also, so meint es Schulz wohl: "Würselen" steht für Menschen wie ihn.
Die notorische Volksnähe des Kandidaten kommt offenbar gut an. Im stern-RTL-Wahltrend kann die SPD um fünf Prozentpunkte zulegen, im direkten Sympathie-Vergleich mit der Kanzlerin kommt der gerade erst gekürte Herausforderer auf höchst respektable 33 Prozent. Merkel liegt mit 42 Prozent noch vorn, aber nicht mehr uneinholbar.
Schulz macht das Gleiche wie Wagenknecht und Petry
Schulz setzt aufs Gefühl. Seine Kampagne wird, das lassen erste Auftritte als Kandidat vermuten, Merkel dort angreifen, wo sie am verletzbarsten ist: in ihrer Kommunikation. Nach zwölf Jahren im Amt hat sie die Fühlung zu weiten Teilen des Volkes verloren. Viele Menschen sind verstört von ihrer chaotischen Flüchtlingspolitik. Ihre hermetische Technokraten-Sprache schreckt ab, auch ihr immer mehr zum Vorschein kommender Hang zu pampiger Rechthaberei.

Ein seriöses politisches Alternativ-Angebot ist von ihrem Herausforderer aber bisher noch nicht gekommen. Martin Schulz macht im Grunde das, was die Populisten von ganz links bis ganz rechts, von Sahra Wagenknecht bis Frauke Petry machen: Er bedient die anti-elitären Ressentiments, die im Volke schlummern, auch die latenten Aversionen gegen alles Gebildete und Intellektuelle. Seiner breit ausgestellten Normalität ist das Absichtsvoll-Instrumentelle stets anzumerken. Und sie wirkt ein bisschen peinlich bei einem Mann, der mehr als 20 Jahre finanziell üppig versorgt im Europaparlament gesessen hat und dort zuletzt als Präsident durchaus zu genau jenem "Establishment" gehörte, von dem er sich nun so wortreich als Mann des Volkes abzugrenzen versucht.
Und was soll eigentlich der ständige Verweis darauf, dass er einst als Buchhändler seine berufliche Laufbahn begann? Permanent werden die armen Buchhändler von Martin Schulz in Haftung genommen für seine bemühte Volksnähe, als sei dieser durchaus Bildung und Qualifikation erfordernde Beruf gleichzusetzen mit der Maloche als Tagelöhner in einem Schlachthof. Dass sein Nachbar in Würselen bei der Feuerwehr arbeitet, wird von Martin Schulz ebenfalls dick aufgetragen. Die dahintersteckende Botschaft soll wohl lauten: Ich kann Kanzler, weil mein Nachbar ein Feuerwehrmann ist.
Martin Schulz handelt unseriös
Seit fast zwei Jahrzehnten regiert die SPD im Bund, unterbrochen nur von vier Jahren schwarz-gelber Koalition. Sie stellt in den Ländern die weit überwiegende Zahl der Ministerpräsidenten. Als langjähriges Mitglied von Präsidium und Vorstand seiner Partei hatte der SPD-Mann Schulz hinreichend Gelegenheit, jene von ihm behaupteten Gerechtigkeitsdefizite in der deutschen Gesellschaft gar nicht erst entstehen zu lassen, gegen die er nun zu Felde ziehen will. Seinen erheblichen Einfluss auf europäischer Bühne hätte er nutzen können, um all die Probleme um Steuerflucht, Niedrigzinspolitik, Schuldenmacherei, mangelnden Schutz der EU-Außengrenzen oder auch die eklatanten Defizite in der internationalen Terrorabwehr zumindest mal anzugehen.
Jetzt tut er so, als sei er all die Jahre nicht dabei gewesen. Jetzt will er plötzlich wieder der kleine Buchhändler aus Würselen sein. Das ist nicht seriös.
Martin Schulz ist ein Populist. Aber immerhin, das muss man ihm lassen: Einer von der netten Sorte.
