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Schlag 12 - der Mittagskommentar aus Berlin BND-Affäre: Dr. Merkels gestammeltes Schweigen

Der neue BND-Skandal rüttelt an der Republik. Doch die Kanzlerin will ihn offensichtlich aussitzen. Statt klarer Worte gibt es Merkelsche Satznebelschwaden, bis uns ganz gräulich wird ums Hirn.
Von Andreas Hoidn-Borchers

Bitte nicht erschrecken und sofort weiterklicken, nur weil jetzt gleich der Name Günter Grass fällt. Ist nur ganz kurz. Die Szene aus seiner "Blechtrommel" ist einfach zu schön, um sie im Zusammenhang mit Angela Merkel und der jüngsten BND-Affäre unerzählt zu lassen: jene Kirchen-Szene, in der Oskar Matzerath dem puttenhaften Jesus-Kind erwartungsvoll seine Trommel samt Stöckchen in die Hände drückt, wartet, guckt, wartet und - nachdem nichts passiert - ihm eine schallert und den wunderbaren Satz sagt: "Kannste nich oder willste nich, Bürschchen? Kannst doch sonst alles!"

So, Schluss mit Grass, Ende der Literatureinheit und rein ins wahre Leben (oder, an dieser Stelle, besser: ins teilwahre Leben), zur Kanzlerin, die man, verböten es nicht Anstand und Respekt, doch gern genau das fragen würde: Willste nich? Oder kannste nich? Kannst doch sonst alles! Natürlich könnte sie. Sie müsste nur wollen. Angela Merkel ist durchaus zu klaren Sätzen fähig. Zumindest immer dann, wenn es ihr nützt. Dann sagt sie deutliche, unmissverständliche Sätze wie: "Abhören unter Freunden, das geht gar nicht."

Merkel ist eine Ausschweigerin

Genau solche Sätze hörte man auch jetzt mal gern von ihr. Sätze wie: "Ich lasse mich nicht von einem Geheimdienst zum Narren halten. Der BND darf sich nicht zum Büttel der NSA machen. Er darf auch kein Eigenleben führen, das gefährdet die Demokratie. Ich erwarte, dass wir über alle Verstöße sofort umfassend informiert werden. Danach werden wir die Konsequenzen ziehen. NSA, NSU, NPD-Verbotsverfahren, was unsere Geheimdienste in den letzten Jahren verbockt haben, geht auf keine Kuhhaut. Ich habe dem viel zu lange zugeguckt. Als Kanzlerin habe ich geschworen, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden, deshalb räumen wir jetzt in diesem Saustall auf."

So könnte, so sollte sie sprechen. Aber es ist wie beim Oskarchen in der Danziger Kirche. Wir warten, gucken, warten und - nichts. Stattdessen macht Merkel das, was sie in Situationen, die sie in Bedrängnis bringen könnten, am liebsten macht: Sie schweigt erst einmal ausgiebig. Helmut Kohl mag ein Aussitzer gewesen sein; Merkel ist eine Ausschweigerin. Erst wenn die Sprachlosigkeit hochnotpeinlich zu werden droht und es gar nicht mehr anders geht, schwurbelt sie uns einen. Ach was, schwurbeln, sie hüllt uns ein in Merkelsche Satznebelschwaden, bis uns ganz gräulich wird ums Hirn. Beispiel gefällig? Bitte, Sie haben es so gewollt, ein Fuder Dr. Merkels gestammeltes Schweigen:

"Auf der anderen Seite haben Nachrichtendienste - deshalb werden sie ja manchmal auch Geheimdienste genannt - die Aufgabe, dass sie auch geheim arbeiten müssen, um die Sicherheit zu gewährleisten. Die Bundesregierung wird alles daransetzen, diese Arbeitsfähigkeit der Nachrichtendienste auch zu gewährleisten, und diese Arbeitsfähigkeit kann angesichts der internationalen terroristischen Bedrohungen zum Beispiel auch nur in Kooperation mit anderen Nachrichtendiensten erfolgen. Dazu gehört auch und vorneweg zum Teil die NSA."

Sigmar Gabriel hat Recht

Auch und vorneweg zum Teil - damit wäre der Wille der Kanzlerin, sich um dem BND-Skandal zu kümmern, ganz trefflich beschrieben. Bloß nicht kontaminiert werden, das ist Merkels oberstes Ziel. Lasst mich bloß in Ruhe mit dem Zeug! Wer nichts weiß, dem kann auch nichts angehängt werden. Wegducken. Weghören. Wegschweigen. Aufklärung geht anders. Es ist einer Regierungschefin unwürdig. So kann sie sich - und uns - ihren Auftritt vor dem Untersuchungsausschuss gleich ersparen.

"Die sind seit zehn Jahren verantwortlich, die könnten für Aufklärung sorgen", hat Sigmar Gabriel gestern gewettert. Natürlich kann man dem SPD-Chef parteitaktische Motive unterstellen. Geschenkt. Recht hat er trotzdem. Und wenigstens versucht er, ohne Rücksicht auf den Frieden in der Großen Koalition in Erinnerung zu rufen, was in den letzten Jahren offenbar aus dem öffentlichen Bewusstsein gemerkelt wurde: Doch, es gibt eine Endverantwortliche für alles, was sich im Kanzleramt abspielt. Es ist die Hausherrin. Die Kanzlerin. Angela Merkel, die von fast allen Angehimmelte.

Bislang hat sie es noch immer geschafft, die Verantwortung für Affären und Versagen in ihrer Amtszeit von sich weg zu delegieren. Es macht einen nicht geringen Teil ihres Erfolges aus. Wir sollten es ihr nicht länger durchgehen lassen. Im Geheimdienstskandal sollte sie können wollen.

Andreas Hoidn-Borchers erwartet keine sprachliche Sensibilität von Geheimdienstlern. Trotzdem schüttelt es ihn jedes Mal, wenn er den Begriff "Selektoren" hört. Sie können ihm auf Twitter folgen: @ahborchers

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