Die Bundesregierung will nach dem Karlsruher Urteil zum Europäischen Haftbefehl das entsprechende Gesetz schnellstmöglich neu fassen. Justizministerin Brigitte Zypries kündigte unmittelbar nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts am Montag entsprechende Änderungen binnen vier bis sechs Wochen an. Die SPD-Politikerin bedauerte das Urteil, in dessen Folge der Terrorverdächtige Mamoun Darkazanli nun freigelassen werden müsse. Zypries sprach von einem "Rückschlag für die Regierung bei der Bekämpfung des Terrorismus". Ziel der Bundesregierung sei, dass die europäische Rechtshilfe so schnell wie möglich wieder funktioniere. Die Ministerin äußerte aber die Befürchtung, dass die Auslieferungen mit der Erfüllung der Karlsruher Auflagen unnötig bürokratisiert werden. Von einer "Ohrfeige" für Regierung und Parlament könne man gleichwohl nicht sprechen. Klar sei, dass bis zu einer gesetzlichen Neuregelung jetzt keine deutschen Staatsbürger mehr auf Grund eines Europäischen Haftbefehls in andere EU-Staaten ausgeliefert werden können. Was in den Fällen geschehe, in denen es bereits eine Auslieferung gegeben habe, konnte Zypries nicht sagen. "Darüber soll sich jetzt mal die Rechtslehre Gedanken machen", sagte sie.
Deutsches Gesetz zum EU-Haftbefehl nichtig
Das Bundesverfassungsgericht hat das deutsche Gesetz zum Europäischen Haftbefehl am Montag für nichtig erklärt. Damit gab das Karlsruher Gericht der Verfassungsbeschwerde eines unter Terrorverdacht stehenden Deutsch-Syrers statt, der nach Spanien ausgeliefert werden sollte. Deutschland hatte mit dem vereinfachten Auslieferungsverfahren im August 2004 erstmals die Auslieferung Deutscher an ausländische Strafverfolger erlaubt. Nach dem Urteil des Zweiten Senats hat der Gesetzgeber jedoch zu wenig Vorkehrungen für den Schutz der Grundrechte deutscher Tatverdächtiger getroffen. Der EU- Rahmenbeschluss zum Europäischen Haftbefehl aus dem Jahr 2002, auf den das Gesetz zurückgeht, lasse dafür genügend Spielraum. Damit ist die Auslieferung Deutscher nicht mehr möglich, solange der Bundestag kein neues Gesetz erlässt.
Der EU-Haftbefehl
Der Europäische Haftbefehl dient der leichteren Auslieferung von Straftätern innerhalb der Europäischen Union. Deutschland hat den EU-Rahmenbeschluss aus dem Jahr 2002 - eine Reaktion auf die Terroranschläge des 11. September 2001 - zum 23. August des vergangenen Jahres umgesetzt. Das Verfahren war wesentlich schneller und unbürokratischer als das bis dahin übliche komplizierte Rechtshilfeverfahren. Der Rahmenbeschluss enthält eine Liste von 32 Deliktgruppen: Fällt die Tat, für die eine Auslieferung beantragt wird, in eine dieser Gruppen, dann prüft die zuständige Justizbehörde nicht mehr, ob eine Strafbarkeit in beiden Ländern gegeben ist. Auch Deutsche konnten danach an einen anderen EU-Staat ausgeliefert werden. Bereits zuvor war im Jahr 2000 das Grundgesetz geändert worden, das bis dahin eine Auslieferung Deutscher strikt verboten hatte.
Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe verkündete seine mit Spannung erwartete Entscheidung über die Gültigkeit des Europäischen Haftbefehls in Deutschland. Anlass für das Urteil ist die Klage des deutsch-syrischen Kaufmanns Mamoun Darkazanli. Der in Hamburg ansässige 46-Jährige wird von der spanischen Justiz beschuldigt, seit 1997 in Deutschland, Spanien und Großbritannien als eine Schlüsselfigur von al Kaida das Terrornetzwerk logistisch und finanziell unterstützt zu haben. Unter anderem soll er am Kauf eines Schiffes für al Kaida-Führer Osama bin Laden beteiligt gewesen sein. Auch gilt Darkazanli den spanischen Ermittlern als ständiger Ansprechpartner und Assistent bin Ladens in der Bundesrepublik. Gegen den Hamburger Kaufmann war nach den Terroranschlägen von New York und Washington vom 11. September 2001 auch in Deutschland ermittelt worden, zu einer Anklageerhebung kam es aber nie. Am 15. Oktober vergangenen Jahres wurde Darkazanli dann auf Grund eines in Spanien ausgestellten Europäischen Haftbefehls in Hamburg festgenommen. Seine von den Justizbehörden der Hansestadt angeordnete und vom Hanseatischen Oberlandesgericht als zulässig erachtete Abschiebung nach Spanien stoppte das Bundesverfassungsgericht am 24. November in letzter Minute bis zur Entscheidung über die von seinen Anwälten eingereichte Verfassungsbeschwerde.
Hoffnung auf baldige Freilassung
Die Anwälte Darkazanlis äußerten die Hoffnung auf eine baldige Entlassung des deutsch-syrischen Kaufmanns aus der Auslieferungshaft. "Ich bin der Auffassung, dass mein Mandant alsbald freizulassen ist", sagte die Hamburger Rechtsanwältin Gül Pinar. Ihr Karlsruher Kollege Michael Rosenthal äußerte sich "in doppelter Hinsicht glücklich über die Entscheidung" der Verfassungsrichter. Zum einen habe er Rechtsschutz für den Mandanten erreicht, zum anderen seien vielfach geäußerte Befürchtungen über einen Rückschlag für die europäische Integration nicht eingetreten. Der stellvertretende Fraktionschef der Grünen im Bundestag, Hans Christian Ströbele, sah Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Bundesverfassungsgericht und dem Europäischen Gerichtshof. Letzterer habe erst kürzlich in einem anderen Verfahren entschieden, dass so genannte Rahmenbeschlüsse für die nationalen Parlamente bindend seien. Davon sei auch der Bundestag bei der Verabschiedung des Gesetzes zum Europäischen Haftbefehl ausgegangen. Dieses müsse jetzt gleichwohl nachgebessert werden. Ströbele räumte ein, dass Deutschland mit dem Urteil "ein riesiges Problem" in der EU bekomme, zumal es ohnehin im Verzug mit der Umsetzung des Rechts zum Europäischen Haftbefehl gewesen sei.
Bei der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht am 13. und 14. April 2005 kritisierte die Mehrzahl der Richter das Gesetz offen. "Man muss doch den Menschen und seine Rechte betrachten und sich fragen, wie man dem gerecht werden kann", fasste Verfassungsrichter Rudolf Mellinghof am zweiten Verhandlungstag die Kritik des Senats zusammen. Überraschend ging auch der Hamburger Justizsenator Roger Kusch auf Distanz zu der eigenen Auslieferungsbewilligung. An der halte der Senat nicht mehr uneingeschränkt fest, sagte der CDU-Politiker und nannte als Grund Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des 2004 vom Bundestag beschlossenen Gesetzes über den Europäischen Haftbefehl. So führte er einen möglichen Verstoß gegen das so genannte Rückwirkungsverbot an, weil mit der neuen Regelung nicht nur künftige, sondern auch zurückliegende Taten erfasst würden. Das Gericht wird den EU-Haftbefehl an sich zwar wahrscheinlich billigen, aber das dazugehörige Gesetz so nicht gelten lassen, sondern zum Schutze deutscher mutmaßlicher Straftäter deutliche Nachbesserungen verlangen.

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Rechtsgrundsatz "Keine Strafe ohne Gesetz" in Gefahr
Darkazanlis Anwalt Michael Rosenthal monierte vor dem Bundesverfassungsgericht, sein Mandant solle in Spanien wegen unterschiedlicher Rechtsnormen unter Umständen für Taten belangt werden, die in Deutschland gar nicht strafbar wären. Er sah daher den Rechtsgrundsatz "Keine Strafe ohne Gesetz" in Gefahr. Außerdem sprach er von Verstößen gegen das Auslieferungsverbot und die Rechtsweggarantie im Grundgesetz.
Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) hatte in der Verhandlung die Bestimmungen zum Europäischen Haftbefehl als verfassungsrechtlich unbedenklich verteidigt. Diese dienten der verbesserten Strafverfolgung im gemeinsamen europäischen Raum, sagte die SPD-Politikerin in der Verhandlung. Angesichts der Freizügigkeit und des Wegfalls der Grenzkontrollen reiche eine konsequente inländische Strafverfolgung nicht mehr aus.