In Deutschland geht man bislang gelassen mit der Corona-Epidemie um. Trotz Hamsterkäufen, die vielerorts stattfinden, macht sich eine Mehrheit der Deutschen (76 Prozent) keine allzu großen Sorgen vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus. Sicherlich wird sich das ändern, wenn die Fallzahlen steigen.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn mahnte gerade erst vor Panik und hält sich mit weitergehenden Maßnahmen zurück. Am Freitag erst lehnte er Reisebeschränkungen ab: "Ich fände jede Maßnahme, die zur Einschränkung des Reiseverkehrs über die Grenze führt, angesichts dessen, was wir über das Virus – Stand heute – wissen, weiterhin nicht für angemessen", sagte er vor dem Treffen der EU-Gesundheitsminister.
Schweiz und Israel ergreifen die härtesten Maßnahmen
In anderen Ländern ergreift man hingegen viel schärfere Maßnahmen, um die Ausbreitung des Virus zu verhindern. Das hat verschiedene Gründe: Zum einen liegt das schlicht an den Fallzahlen.
Beispiel Italien. Das Land leidet in Europa mit Abstand am stärksten unter der Epidemie. Aktuell liegt die Zahl der Infizierten bei 3858 und 148 Toten*. Entsprechend schärfer sind die Maßnahmen, um der Ausbreitung des Virus Herr zu werden. Mittlerweile hat das Robert-Koch-Institut in Berlin vier Risikogebiete identifiziert: Dazu gehören Südtirol, die Lombardei, Emilia-Romagna und Venetien. Die jüngste drastische Maßnahme war die landesweite Schließung sämtlicher Schulen und Universitäten. Auch Theater und Kinos halten die Tore vorerst geschlossen. Große Sportveranstaltungen wie Fußballspiele der Serie A und Champions-League-Spiele finden ohne Zuschauer statt. Zu Beginn der Krise wurden ganze Städte in der Lombardei unter Quarantäne abgeriegelt.
Es gibt aber auch Länder, die trotz vergleichsweise geringer Fallzahlen zu drastischen Maßnahmen greifen:
Beispiel Schweiz. Die Zahl der Infizierten liegt bei 80. Dennoch beschloss der Bundesrat umgehend drastische Maßnahmen. Im Moment finden bis auf Weiteres keine Großveranstaltungen mit mehr als 1000 Teilnehmern statt. Keine Fußball- oder Eishockeyspiele, keine Messen, keine Konzerte oder Festivals jeder Art. Einige Kantone haben sogar noch schärfere Maßnahmen verabschiedet.
Beispiel Israel. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat auf einer Pressekonferenz mit markigen Worten "drakonische" (so die Zeitung "Haaretz") Maßnahmen angekündigt. Trotz der erst 15 Infizierten im Land sprach der israelische Ministerpräsident von "einer der gefährlichsten Pandemien dieser Art in den vergangenen hundert Jahren". Die Regierung erließ Einreiseverbote für Menschen aus Deutschland, Spanien, Italien, Frankreich, der Schweiz, China, Japan, Südkorea, Vietnam, Thailand und Singapur. Israelis, die aus diesen Ländern einreisen, müssen in eine vierzehntägige Quarantäne. Insgesamt wurden 100.000 Israelis zur Hausquarantäne verdonnert. Sämtliche öffentliche Feste und Veranstaltungen mit mehr als 5000 Teilnehmern wurden abgesagt, auch Fußballspiele und internationale Konferenzen. Die israelische Armee brach ein eine gemeinsame Übung mit 600 US-Soldaten ab. Die Stadt Bethlehem im Westjordanland wurde abgeriegelt.

Beispiel Frankreich. Bei unseren Nachbarn (423 Infizierte) ist man zumindest bei den Schulschließungen radikaler. 120 Schulen bleiben geschlossen, das betrifft 44.000 Schüler. Um die Bevölkerung zu beruhigen, wurden Atemmasken beschlagnahmt, um den Bestand vor Hamsterkäufen zu sichern, außerdem deckelte die Regierung den Preis für Handdesinfektionsmittel.
In den meisten anderen europäischen Staaten wie auch in Deutschland verzichtet man – noch – auf solch einschneidende Restriktionen. In den Niederlanden (82 Infizierte) sieht der Gesundheitsminister "keinen Anlass für besondere Maßnahmen".
Beispiele Norwegen und Schweden. In Norwegen sind 72 Fälle registriert, man fährt an den Fjorden die gleiche Linie wie in Deutschland oder im Nachbarland Schweden (90 Infizierte). Es werden Hausquarantänen verordnet und Schulschließungen. Aufregung gab es um das Kreuzfahrtschiff Aida Aura, das im Hafen von Oslo wegen zweier Verdachtsfälle festsaß. Es stellte sich aber heraus, dass keiner der Passagiere erkrankt war.
Kritik an den Behörden
Hierzulande gibt es zwar mehr Schul- und Kita-Schließungen als in Skandinavien, weil die Fallzahlen höher sind, aber niemals flächendeckend. Eine Ausnahme ist der Kreis Heinsberg, der die meisten Infizierten des Landes hat. Dort befinden sich alle Kinder in den Zwangsferien. Auch das Rathaus war dicht. Die Behörden verordnen einzelnen Personen oder Gruppen, die untereinander Kontakt hatten, Hausquarantäne. Sie stoppen, wenn es nötig erscheint, einen ICE und lassen ihn evakuieren, so wie kürzlich in Hagen. Zahlreiche Großveranstaltungen wie die ITB in Berlin oder die Buchmesse in Leipzig wurden abgesagt. Zahlreiche Flüge werden gestrichen.
Aber die Maßnahmen sind bislang nur punktuell, weil in Deutschland die lokalen Behörden verantwortlich sind. "Welche Maßnahmen in Deutschland wie umgesetzt werden, ist (…) natürlich von der Situation in den verschiedenen Regionen abhängig, und die variiert bundesweit stark", teilte das Robert-Koch-Institut dem stern mit. Erst wenn die Lage ernster wird, übernimmt der Krisenstab in Berlin mit Vertretern mehrerer Ministerien, der Kontakt zum RKI, zum Bundesministerium und zur lokalen Ebene hält. So weit ist es laut Einschätzung der Behörden und von Gesundheitsminister Spahn noch nicht.
Aber reicht das? Die Kritik an der Zurückhaltung wird lauter. Dass die Stadt Mönchengladbach das Bundesliga-Spiel zwischen Borussia Mönchengladbach und Borussia Dortmund nicht absagt, obwohl der Kreis Heinsberg mit 195 Infizierten keine zehn Kilometer entfernt liegt, erzürnt den Chef-Virologen der Berliner Charité, Christian Drosten: "Volle Stadien mit Zehntausenden von Fans - gerade in Gegenden wie dem vom Coronavirus jetzt stark betroffenen Rheinland – müssten aus medizinischer Sicht eigentlich gestoppt werden", sagte er.
Der Virologe Alexander Kekulé von der Universität Halle fordert, alle Schulen und Kindergärten in Deutschland zu schließen. Zudem sollten alle Großveranstaltungen abgesagt und innerdeutsche Reisen auf ein Minimum reduziert werden – und das müsse sofort geschehen.
*Alle Zahlen beziehen sich auf Angaben des Robert-Koch-Instituts vom 6. März 2020, 7.00 Uhr.
Quellen: Robert-Koch-Institut, "Tagesschau", "infratest diamap", "Bayerischer Rundfunk", "Deutschlandfunk", "Haaretz", DPA