Deutscher EU-Vorsitz Steinmeiers Krisen-Pläne

Außenminister Steinmeier hat skizziert, was Deutschland sich für den EU-Vorsitz vorgenommen hat: Russland soll mit einer Freihandelszone gelockt und die Verfassung erst im Juni 2007 richtig angepackt werden.

Ball flach halten. Erwartungen dämpfen. Ja nicht zu schnell vorpreschen. Die EU steckt in der Krise, und wer sie da wieder rausführen will, der muss bedächtig vorgehen. Wie Frank Walter Steinmeier. Im Januar 2007 übernehmen die Deutschen für ein halbes Jahr den EU-Vorsitz, und - Ball flach halten! - am Montag hat der Außenminister in Berlin schon einmal verkündet, dass sich in Sachen Verfassung bis zum Juni vermutlich wenig rühren wird. "Wir wollen den Verfassungsvertrag," sagte Steinmeier bei einer EU-Konferenz der SPD-Fraktion im Bundestag. "Aber wir tun gut daran, im größeren Teil des Jahres viel zu diskutieren, viel zuzuhören und mit einem eigenen Vorschlag erst relativ spät aufzutreten", sagte er. "Spät" bedeutet: Im Juni, nachdem Franzosen und Niederländer gewählt haben und möglicherweise Tony Blairs Nachfolger schon in Downing Street Nr. 10 eingezogen ist. Erst dann, im neuen Regentengefüge, macht es nach Auffassung der Deutschen Sinn, einen neuen Anlauf in der zermürbenden Verfassungsfrage zu wagen.

"Wir brauchen keinen Formelkompromiss

Ja nicht vorpreschen. Es wird also dauern, bis die Deutschen sich mit konkreten Vorschlägen aus der Deckung wagen werden. Dennoch forderte Steinmeier schon vorab eine Kompromissbereitschaft der EU-Staaten ein. "Alle müssen sich bewegen", sagte er. "Aber einige müssen sich mehr bewegen als andere." Damit nahm er indirekt Bezug auf Euroskeptiker, etwa in Polen, wo Präsident Lech Kaczynski die Verfassung strikt ablehnt, oder in Frankreich, wo der konservative Präsidentschafts-Anwärter Nicolas Sarkozy sich für eine Art Rumpf-Verfassung einsetzt. Steinmeier unterstrich, dass es bei der Verfassungsfrage seiner Ansicht nach mit einem rein politischen Kompromiss nicht getan sein werde, sondern dass die Verfassung in einem Europa mit 27 oder sogar 30 Mitgliedern für praktische Verbesserungen sorgen müsse: "Wir brauchen keinen Formelkompromiss, wir brauchen eine Lösung, die Europa arbeits- und zukunftsfähig macht", sagte Steinmeier. Gleichzeitig dämpfte er, gaaaanz flach halten!, die Erwartungen an den deutschen Vorsitz. Mit einem konkreten Entwurf sei auch gegen Ende der Ratspräsidentschaft Berlins nicht zu rechnen. Es sei schon viel erreicht, wenn dann ein Fahrplan stehe, der das weitere konkrete Vorgehen konkret festschreibe.

Steinmeier lockt Moskau

Die Erwartungen an Berlin sind groß. Im Machtgefüge der Europäischen Union ist das europafreundliche Deutschland eines der einflussreichsten Länder. Deshalb erhoffen sich viele Beobachter, dass es Kanzlerin Angela Merkel und ihrem Außenminister trotz aller Widrigkeiten gelingen wird, der europäischen Integration wieder in Schwung zu bringen.

Steinmeier skizzierte in groben Zügen die Schwerpunkte, die die Deutschen jenseits der Verfassungsfrage setzen wollen. Die Partnerschaft der EU mit Russland soll runderneuert werden, im kommenden Jahr muss die EU ein neues Abkommen mit Moskau verhandeln. Steinmeier stellte dabei mittel- und langfristig sogar eine Freihandelszone mit Russland in Aussicht. Und auch die Nachbarschaftspolitik der EU gegenüber Staaten an ihrer Ostgrenze, etwa der Ukraine oder Moldawien, will Steinmeier vorantreiben. Vor allem hinsichtlich der Russland-Politik dürften energiepolitische Überlegungen eine wichtige Rolle spielen. Um die Abhängigkeit der Europäer von den fossilen Brennstoffen zu reduzieren, will Steinmeier für verstärkte Investitionen in die Wasserstofftechnologie sorgen. Spätestens auf dem Frühjahrsgipfel der Staats- und Regierungschefs im März soll das Thema angegangen werden.

Beck dringt auf Vollmitgliedschaft der Türkei

Auch zu dem Thema EU-Erweiterung bezog der deutsche Außenminister Position. Mit der Aufnahme Bulgariens und Rumäniens vermutlich Anfang 2007 sei die Erweiterung voraussichtlich nicht abgeschlossen, sagte er. Es sei durchaus möglich, dass die EU in den nächsten Jahren auf bis zu 30 Mitglieder anwachse, auch wenn Verhandlungen für weitere Kandidaten schwerer werden dürften als in den bisherigen Erweiterungsrunden.

Steinmeier, wie auch SPD-Chef Kurt Beck, bekannten sich am Montag eindeutig zu einer Beitrittsperspektive für die Türkei. Beck beharrte auf der Option einer Vollmitgliedschaft des Landes in der EU. "Ich hielte es für einen kapitalen Fehler, wenn wir die Türen für eine echte Mitgliedschaft der Türkei zuschlagen würden", sagte Beck.