Hinter der Theke schwingt eine Blonde im Takt, breitbeinig hocken junge Burschen auf Barhockern, rappelvoll der Laden. Drei harte Jungs lehnen lässig an der Wand: durchdringender Blick, Stoppelhaar, mordsmäßige Schultern in Bomberjacken. Die drei gehören dazu: hundertprozentig KSK. Das Kommando Spezialkräfte, die Eliteeinheit der Bundeswehr, die geheimste Truppe Deutschlands, ist in die schummrige Kneipe in der Bahnhofstraße eingefallen, um sich durch die letzte freie Nacht vor dem Einsatz zu trinken.
»Meine Beichte dauert Minimum 14 Tage«
Calw, Mittwochabend vergangener Woche, zehn Uhr. Dunkel die Fenster der Fachwerkhäuser. Niesel und Nebel. Durch die Kneipe wabern Rauchschwaden und die Musik von Supertramp. Mit Bier in der Hand und coolem Kopfnicken begrüßen die drei jeden, der durch die Tür kommt: den Kompakten, den Streber mit Brille, den Blonden, den Dunklen, den Kräftigen, den Schmächtigen. Und den Grauhaarigen in schwarzer Lederhose und Stretchshirt. »Ist schon klar, Pfarrer. Ich muss beichten«, sagt der Schmächtige. »Du musst nicht. Du kannst«, antwortet der Grauhaarige. »Meine Beichte dauert aber Minimum 14 Tage«, prahlt der Schmächtige. »Dann musst du dich beschränken«, rät der Grauhaarige.
Sie sind Spezialisten für die Terroristenjagd
Thomas Stolz, 39, ist der durchtrainierte katholische Militärseelsorger des KSK. »Meine Jungs« nennt er die Spezialisten für die Terroristenjagd. Manchmal fährt er mit ihnen übers Wochenende auf die Schwäbische Alb - für Exerzitien und Entspannung. In den nächsten vier Monaten nicht. Übermorgen, sagen sie, werden sie nach Afghanistan ausgeflogen.
Das Verteidigungsministerium sagt dazu gegenüber dem stern nur: »Keine Auskunft.« Jetzt stehen die Männer noch einmal an der Theke und trinken und rauchen. Junge Männer, die Wüsten durchrobbt, in der Arktis Iglus gebaut und sich durch den Dschungel gekämpft haben. Die hinter Feindeslinien abgesetzt werden, in Vierergruppen, mit Masken und Blendgranaten und G-22-Gewehren, das Stück zu 13 000 Dollar. Männer mit der Lizenz zum Töten.
- »Wenn ich dir im Dunkeln begegnen würde - ich würde sterben vor Angst.«
- »Wenn du uns bei einem Einsatz sehen würdest, dann hättest du ein verdammtes Problem an der Backe.«
- »Warum?«

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- »Wir dürfen nicht entdeckt werden. Niemals.«
- »Und wenn doch?«
- »Dann würden wir dich auf den Boden zwingen.«
- »Und dann? Würdet ihr mich gehen lassen?«
- »Wenn du gehen dürftest, dann hättest du Glück. Unwahrscheinlich viel Glück.«
Hinter Tannen, Stacheldraht und Panzersperre liegen die grauen Kasernengebäude über dem weiten Schwarzwaldtal und der 23 000-Seelen-Stadt. Videokameras beobachten jeden Winkel. »Näher fahr ich nicht ran. Schusswaffengebrauch«, flüstert der Taxifahrer. Den Jungs geht die Muffe, heißt es im Ort. Seit dem 11. September kann jeder Tag eine Bombe bringen. Besonders in Calw. Alle wissen doch, wer da mit 80 Kilo auf dem Buckel durch die Wälder pirscht, sich mit Fallschirmen aus Kampfhubschraubern stürzt, Häuser sprengt, präzise schießt und den Nahkampf übt. »Ist ja klar. Die sind nervös«, sagt der Taxifahrer und wendet.
Früher gab es oberhalb der Stadt nur Äcker und Zwiebelzucht. Dann kam das Schwarzwald-Luftbrigadekommando und bezog die neu gebauten Kasernen und Wohnblöcke - der ganze Stadtteil Heumaden wurde für die Soldaten errichtet. Man verstand sich prächtig: Die honorigen Bürger wurden zu Offiziersbällen geladen, man kegelte miteinander, und manchmal organisierten die Bundis einen Infostand auf dem Marktplatz. Bis 1996. Da wurde Calw KSK-Standort, Heimat der 850 Mann starken Supertruppe aus Sprengmeistern, Waffenexperten, Sanitätern und Fernmeldern. Mit diesen unsichtbaren Anti-Terror-Kämpfern zog das Geheimnis ein.
Amerikaner verlangten »German beer«
Ein wenig stolz sind die Calwer schon auf ihre Elitejungs. Ein wenig Angst haben sie aber auch. »Es hätte ja nicht sein müssen, dass man den Standort der KSK so publik macht«, sagt Tanja, die rot gesträhnte Bedienung aus dem »Sonnenwinkel«, das Bierlokal im Einkaufszentrum. Ende September saßen mit Orden behängte Amerikaner auf ihrer Terrasse, verlangten nach »German beer«, und sie ahnte: Da ist was im Busch.
Niemand weiß, wer dazugehört
Geheimnisse beflügeln die Fantasie, und so erzählen manche Calwer gern über ihren Vielleicht-war's-einer-Kontakt mit dem Kommando: Der junge Bursche, der dem Immobilienmakler die Visitenkarte mit Kampfhubschrauber in die Hand drückte - ein KSK-Kämpfer? Der düstere Typ, der nach dem friedensbewegten Vortrag zackige Fragen stellte - vielleicht auch der? Die junge Frau, die über Wochen so fertig war und auf einmal wegzog - eine KSK-Ehefrau? Niemand weiß was Genaues. Absolute Nachrichtensperre beim Pressestab des KSK. Information berge Gefahr für die Sicherheit der Soldaten und für das Gelingen der geheimen Operationen.
Und jetzt stehen diese bestgehüteten Jungs der Bundeswehr in Rauchschwaden und Bierdunst gehüllt und wippen angetrunken zur Musik. Jungs aus der Lausitz, aus der Heide und aus dem Pott. Jungs, die 3800 Mark im Monat verdienen und ein paar Zulagen als Zuckerl. Die Männer vom KSK, Deutschlands Geheimwaffe bei Out-of-area-Einsätzen, umarmen und küssen sich und prosten und prosten.
»Du wirst es meinem Sohn sagen, wenn's Scheiße gelaufen ist«
»Noch 'ne Runde Sekt, Antonio! Mensch, trink, Junge! Was weißte denn, ob du jemals wieder so was kriegst. Hau raus das Geld heute Abend. Was willste denn noch damit?«, ruft der Schmächtige. Der Brillenstreber nickt. »Ey, Pfarrer, ich habe meine Grabrede geschrieben. Du wirst sie vorlesen müssen. Und du wirst meinem Sohn sagen, wenn's scheiße gelaufen ist. Du ganz allein. Das ist mein Wille. Und dass ihr alle sauft, wenn ich unter die Erde komme.« Der Pfarrer drückt die Schulter des Soldaten. Der sagt leise: »Wir sind die Müllabfuhr der Politiker - mehr nicht. Scheiße.«
Viele Männer sind inzwischen geschieden
Für diesen Job sind sie durchs Fegefeuer gegangen, haben drei Jahre Ausbildung mit Schikane, Schweiß und Schmerzen hinter sich gebracht. Jahre der Schweigsamkeit, der Einsamkeit, weit und lange weg von zu Hause. Viele der Männer sind inzwischen geschieden. »Es ist Gift für die Familien, wenn die Kinder Onkel statt Papa sagen«, sagt Militärseelsorger Thomas Stolz. »Welche normale Frau soll so ein Leben denn bitte mitmachen?«, fragt der Schmächtige und lacht laut und lang. Er ist zehn Jahre jünger, als er aussieht.
Bis zum Alter von 40 Jahren, sagt er, könnten die Elite-Männer kämpfen, doch die meisten seien schon vorher Wracks. Angst zermürbt. »Jeder normale Mensch hat mal Angst - und nicht nur bei Vollmond auf dem Friedhof. Ich auch. Scheiße noch mal.« Angst macht Falten. Kugeln machen kleine knotige Geschwülste. Nach einem Durchschuss spürt man die erste halbe Stunde gar nichts - kein Brennen, kein Ziehen, kein Zucken. Das Fleisch steht unter Schock. Doch dann kommt der Schmerz und später der Knoten. Mehrere Jungs vom Kommando tragen Schockmale am Körper, viele haben sich schon die Knochen gebrochen.
Das Kriegerdenkmal sagt: »Wir starben für Euch«
»Wir starben für Euch«, steht auf der schwarzen Tafel vor der evangelischen Kirche am Marktplatz. Das Kriegerdenkmal von Calw. Darunter viele Namen und vier Kränze aus Tannengrün und Trockenblüten: von der Kriegsgräberfürsorge, vom Verband der Heimkehrer, von der Kreisstadt Calw und vom Kommando Spezialkräfte. Am Volkstrauertag hat Oberbürgermeister Werner Spec eine Rede gehalten: über die Weltgesellschaft, die verwundbar geworden ist, über die Bürger von Calw, die den Frieden lieben und tiefe Solidarität empfinden mit den Elitesoldaten und ihren Familien.
»Das Verhältnis zum KSK ist gut«
Der parteilose Bürgermeister ist ein energischer Mann. Hat den historischen Altstadtkern vom Verkehr befreit, Baudenkmäler restaurieren lassen und Gemeinderatsmitglieder nach Indien mitgenommen - auf den Spuren von Hermann Hesse, dem berühmtesten Sohn der Stadt. »Das Verhältnis zum KSK ist gut.
Die Familien wohnen in unserer Mitte, besuchen unsere Schulen und Vereine», sagt der Bürgermeister. Wer dazugehört, weiß keiner genau. «Das muss man respektieren. Schließlich geht es um die Sicherheit der Republik.»
Der Blick auf den Schwarzwald entschädigt für die Strapazen
In der Bahnhofstraßenkneipe röhrt die Grunge-Band Nirvana. Immer mehr Bier, Desperado-Bier, Bier mit Tequila und Zitrone. »Der herrliche Blick, der sich den Soldaten vom Speisesaal der Graf-Zeppelin-Kaserne auf die Ausläufer des Schwarzwaldes bietet, entschädigt möglicherweise für so manche dienstliche Strapaze«, wirbt die Bundeswehr für den Standort.
- »Was sagst du deinen Kindern?«
- »Nichts.«
- »Gar nichts? Nicht wo, nicht wann, gar nichts?«
- »Niemand darf etwas wissen. Manchmal tut das weh. Sicher, das sind verdammte Schmerzen. Aber es geht nicht.«
- »Als Kind würde ich dich dafür hassen.«
- »Ich sage eben: Ich tu es für euch. Und sonst für nichts. Das ist die Wahrheit.«
Bei Nirvana flippt der Schmächtige aus. Doch am geilsten ist Death Metal. Und dann »Im Sturm« von Tom Clancy lesen, über Krieg und Geheimstrategien, über Feinde und Freundschaft. Der Streber sitzt auf dem Hocker, sagt nichts, grinst nur. Denkt er an übermorgen? An den Hubschrauber, in den er steigen soll?
An instinktives Schießen, Anlegen von Sprengfallen, lautloses Töten? In den nächsten vier Monaten, erzählen sie sich, werden sie viermal nach Hause telefonieren dürfen - zehn Minuten über das Satellitentelefon. Mir geht's okay, alles klar, ein bisschen Kopfschmerzen, aber sonst alles gut, wie ist es zu Hause? »Hey, Antonio, noch 'n Sekt. Mach schon. Man lebt nur einmal, und diese Nacht ist kurz.«
Anfeindungen: »Soldaten sind doch Mörder«
Für vergangenen Samstag hatte das Friedensnetz Baden-Württemberg zu einer Demonstration aufgerufen. »Schöne Scheiße«, sagt der Schmächtige. »Wir halten unsere Ärsche hin, damit die in Ruhe ihren heimeligen Pazifismus pflegen können«, wettert der Blonde. Immer wieder stehen Kriegsgegner vor der Eingangspforte, verteilen Flugblätter und Zitate an den Reporter vom »Schwarzwälder Boten« und recken Fäuste und Transparente in den feuchtkalten Herbsthimmel: »Soldaten sind doch Mörder« und »Kommando Spezialkräfte auflösen« und »Stoppt die Spirale der Gewalt«.
»Der Einsatz ist der blanke Wahnsinn«
Vor einigen Wochen hat KSK-General Reinhard Günzel öffentlich gewarnt, ein Einsatz in Afghanistan könnte zu einem Blutbad führen. Dafür wurde er abgemahnt. »Hinterher will wieder keiner was gewusst haben«, sagt der Schmächtige. »Der Einsatz ist der blanke Wahnsinn. Die Nord-Allianz, das sind genau die gleichen Drecksbrüder wie die Taliban. Die machen uns kalt. Ganz schnell und ganz kalt«, sagt der Kräftige.
Die Männer haben Weihnachten vorgefeiert und ihre Testamente aufgesetzt. Einige haben noch schnell geheiratet. »Hey, Antonio, mach mal hinne. Morgen kann alles zu spät sein.« Dann prosten sie und prosten und rauchen und lachen lang und laut. Sie heben blonde Mädchen in die Höhe, knutschen ein wenig und wippen sich durch die letzte freie Nacht im Frieden.