Knappheit und Teuerungen Die Bürger sollen entlastet werden – aber die Bundesregierung verzettelte sich im Zoff um die passenden Maßnahmen

Streit um Entlastung der Bürger
Eine Tankstelle der TotalEnergies SE im Morgenlicht. Einen Monat nach dem Start sind viele Autofahrer enttäuscht von der Spritsteuersenkung
© Jan Woitas / DPA
Für das perfekte Entlastungspaket startet die Ampel-Koalition nun einen dritten Anlauf. Bisherige Pakete brachten vor allem politische Querelen und widersprüchliche Maßnahmen. Ändert sich das jetzt?

Neun-Euro-Tickets und Trankrabatte sollten es richten, das Problem mit den wirtschaftlichen Kriegsfolgen. Auch gegen die steigenden Gaspreise hatte die Bundesregierung bereits einen Plan in petto: Die Mehrwertsteuer sollte entfallen. Doch das wurde von der EU-Kommission abgeblockt. Die Steuer müsse weiter erhoben werden, hieß es aus Brüssel. Denkbar wäre aber, das Geld an die Haushalte zurückzuzahlen. Warum so kompliziert? Darauf gibt es keine Antwort. Immerhin gibt es einen Kompromiss: Die Mehrwertsteuer wird von 19 auf sieben Prozent gesenkt. Damit soll auch die Kostenexplosion durch die geplante Gasumlage gedämpft werden.

Widersprüchliche und kaum nachvollziehbare Pläne, die es laut Deutschem Mieterschutzbund gar nicht bräuchte. Die Gasumlage soll eigentlich nur Unternehmen retten. Verbandschef Lukas Siebenkotten sagt, dies könne auch direkt geschehen, ähnlich wie bei der Bankenkrise 2008. "Da muss man nicht diesen seltsamen Umweg über die Verbraucher gehen und denen dann hinterher erzählen, 'aber wir senken jetzt dafür dann die Mehrwertsteuer'", sagt er.

Ob der Plan mit der Steuersenkung am Ende auch so entlastend wirkt, wie von der Ampel-Koalition erhofft, ist mit Blick auf eine aktuelle Forsa-Blitzumfrage eher unwahrscheinlich. Wie die Umfrage unter 1000 Bundesbürgern im Auftrag von RTL/ntv ergab, haben bisherige Entlastungsmaßnahmen keinen nennenswerten Effekt gehabt. Nur fünf Prozent der Befragten fühlen sich entlastet. 89 Prozent gaben dagegen an, kaum oder gar nicht entlastet worden zu sein. Besonders betroffen sind laut Forsa Geringerverdiener.

Wenig Hoffnung geben auch die Prognosen von Bundesbank-Präsident Joachim Nagel. Für den Herbst rechnet er mit einer Inflationsrate von 10 Prozent. Der Grund: Tankrabatt und Neun-Euro-Ticket laufen aus – mit historischen Folgen. "Zweistellige Inflationsraten wurden in Deutschland das letzte Mal vor über siebzig Jahren gemessen. Im vierten Quartal 1951 waren es nach den damaligen Berechnungen elf Prozent", erklärt Nagel.

Ringen um das richtige Entlastungspaket

In der Hauptstadt bemühen sich die Ampel-Parteien derweil um das perfekte Maßnahmenpaket. Es wäre das Dritte. Doch das Erarbeiten fällt der Dreierkoalition wieder einmal alles andere als leicht. Möglicherweise ist deshalb bisher so wenig Konkretes über die angekündigten Entlastungsmaßnahmen bekannt. Fest steht bisher zumindest: Die Bürger sollen nicht allein gelassen werden. "You'll never walk alone", versuchte sich der Bundeskanzler woke zu geben.

FDP-Mann Christian Lindner brachte zuletzt ein Steuerentlastungspaket ins Gespräch, um die kalte Progression zu bekämpfen. Von dem sogenannten Inflationsausgleichsgesetz könnten laut Lindner 48 Millionen Menschen profitieren. Der Grundfreibetrag bei der Einkommenssteuer könnte so erhöht werden, selbiges gelte für das Kindergeld und den Kinderfreibetrag. Bei den Koalitionspartnern kommt der Vorschlag aber weniger gut an. SPD und Grüne halten die Maßnahme für ungerecht, weil damit vor allem höhere Einkommen entlastet werden.

Für die drei Parteien ist immerhin klar, dass die gestiegenen Preise nicht zu 100 Prozent vom Staat aufgefangen werden können. Jetzt streiten sie über die Frage, wer wie gestützt werden soll. Finanzminister Christian Lindner und seine FDP nennen drei Gruppen: Bedürftige, die arbeitende Mitte und die energieintensive Wirtschaft. Die Sozialdemokraten und die Grünen wollen dagegen zuerst jenen unter die Arme greifen, denen ein kalter Winter mit offenen Rechnungen droht.

Aus ihren Reihen kommen unter anderem Forderungen nach

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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  • einer Kindergrundsicherung und 300-Euro-Energiepauschalen (Adolf Bauer, SPD)
  • ausgebautem Wohngeld (Ricarda Land, Grüne)
  • einem Rettungsschirm für die Energiebranche und eine Einmalzahlung an Rentner zum Jahresende (Stephan Weil, SPD)
  • Stromsteuer auf europäisch zulässiges Mindestmaß zu senken (DGB-Chefin Yasmin Fahimi)
  • vollständiger Entlastung für Transferleistungsempfänger, weitere befristete Energiepreispauschale oder Energiepreisdeckel, Eneergiekosten über einen längeren Zeitraum verteilen (DGB-Chefin Yasmin Fahimi)
  • gezielter Entlastungen für einkommensschwache Haushalte und Familien (Lisa Paus, Bundesfamilienministerin der Grünen)

Olaf Scholz gibt sich indes gewohnt neutral und spricht von einem "Gesamtpaket", das am Ende möglichst alle Vorschläge beinhalten könnte. Das dritte Entlastungspaket wäre damit umfangreicher als seine Vorgänger und könnte aus Steuerentlastungen, Wohngeldreform, Hilfen für Geringverdiener, ein Bürgergeld und weiteren Unbekannten bestehen. Zumindest der Bundeskanzler hat ein gutes Gefühl dabei, wie er bei der Bundespressekonferenz im Sommer sagte.

Doch Einigkeit sieht anders aus. Auch wenn sich der Kanzler sichtlich um Ruhe bemüht. Eine große gemeinsame Linie der Ampel-Koalition ist aus den Vorschlägen der Parteien nicht ersichtlich. Die Koalition muss sich deshalb weiterhin den Vorwurf gefallen lassen, "konzeptlos" zu handeln, wie es der Grünen-Chef im Europaparlament, Rasmus Andresen, gegenüber dem "Spiegel" formulierte. Zumindest sollten sie den Vorwurf ernst nehmen, um am Ende ein Entlastungspaket präsentieren zu können, das seinem Namen auch gerecht wird.