In ganz Deutschland hat am Sonntagmorgen die Wahl der Abgeordneten für das Europaparlament begonnen. Die Wahllokale öffneten um 08.00 Uhr und schließen um 18.00 Uhr. In Thüringen wird am so genannten Superwahltag zugleich über den neuen Landtag entschieden. Außerdem begannen in sechs weiteren Bundesländern Kommunalwahlen.
Zur Wahl des Europaparlaments sind in Deutschland rund 63,6 Millionen Menschen aufgerufen: etwa 61,6 Millionen Deutsche sowie weitere knapp zwei Millionen in Deutschland lebende EU-Ausländer, die stattdessen aber auch in ihrem Heimatland an der Europawahl teilnehmen können. Mit Spannung wird die Wahlbeteiligung erwartet, die 1999 auf ein historisches Tief von nur 45,2 Prozent gefallen war.
Die Osterweiterung der Union ist mit viel Sorgen und Ängsten bei den Menschen abgeschlossen. Über die europäische Verfassung wird noch heftig gestritten. Und die Europa-Wahlkämpfer wichen mehr und mehr auf innenpolitische "Denkzettel"-Strategien aus. Doch das zündende europapolitische Thema fehlt. Beste Voraussetzungen dafür, dass auch diesmal am Wahlabend alle mit Entsetzen auf die Wahlbeteiligung blicken werden.
Stimmungstest für die deutsche Innenpolitik
Knapp zwei Jahre nach der Bundestagswahl gilt die Entscheidung über die Europaparlamentarier auch als Stimmungstest für die deutsche Innenpolitik. Vor fünf Jahren hatten CDU und CSU mit zusammen 48,7 Prozent die absolute Mehrheit der auf Deutschland entfallenden 99 Mandate im Europaparlament erobert. Die SPD war dagegen auf lediglich 30,7 Prozent zurückgefallen. Die Grünen bekamen 6,4 Prozent, auch die PDS schaffte es mit 5,8 Prozent, Abgeordnete ins Europaparlament zu entsenden. Dagegen war die FDP vor fünf Jahren mit 3,0 Prozent gescheitert.
Bundeskanzler Gerhard Schröder hat sich skeptisch über das Interesse der Deutschen an der Europawahl gezeigt. "Ich hoffe natürlich auf eine hohe Wahlbeteiligung, bin aber skeptisch", sagte Schröder am Sonntagvormittag bei seiner Stimmabgabe in Hannover. Der Kanzler war mit seiner Ehefrau Doris die wenigen hundert Meter zum Wahllokal zu Fuß gegangen. Nachdem er seinen Wahlzettel in die Urne geworfen hatte, sagte er zu den wartenden Journalisten: "Ich wusste, was ich zu tun habe."
Zur Wahl stehen am Sonntag 24 Parteien und politische Vereinigungen, von denen die meisten mit bundesweiten Listen antreten, unter anderen die CSU in Bayern sowie die CDU in allen übrigen Ländern aber mit Landeslisten.

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Landtagswahl in Thüringen
Zur gleichzeitig stattfindenden Landtagswahl in Thüringen sind rund 1,9 Millionen Wahlberechtigte aufgerufen; hierfür treten 14 Parteien an. Als offen gilt nach den Umfragen, ob die seit 1999 allein regierende CDU unter Ministerpräsident Dieter Althaus die absolute Mehrheit verteidigen kann. 1999 hatte die CDU - noch mit Bernhard Vogel als Regierungschef - 51,0 Prozent der Stimmen bekommen.
Wenn es für die Christdemokraten nicht mehr zur Alleinmehrheit reicht, hofft SPD-Spitzenkandidat Christoph Matschie auf eine Rückkehr seiner Partei in die Landesregierung. Dafür käme am ehesten eine große Koalition in Frage, denn eine Zusammenarbeit mit der PDS hat Matschie definitiv ausgeschlossen. 1999 war die PDS mit 21,3 Prozent zweitstärkste Partei vor den Sozialdemokraten mit 18,5 Prozent geworden.
Eine Koalition mit den Grünen, die vor fünf Jahren mit 1,9 Prozent gescheitert waren, lehnt Althaus ab. Die FDP, die bei der letzten Wahl nur auf 1,1 Prozent kam, will im Fall einer Rückkehr in den Landtag am liebsten mit der CDU regieren.
<zwit>Kommunalwahlen in sechs Bundesländern
Außerdem begannen am Sonntag Kommunalwahlen in Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Sachsen, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und dem Saarland. Zuerst ausgezählt werden jeweils die Stimmen zur Europawahl, deren Ergebnis mit Rücksicht auf die anderen teilnehmenden EU-Staaten aber nicht vor 22.00 Uhr bekannt gegeben werden darf. Wie üblich wollen die großen Fernsehsender aber schon um 18.00 Prognosen und wenig später erste Hochrechnungen präsentieren.
Was Dolly Buster in Brüssel will, warum die Abgeordneten so wenig Macht haben, und wie Sie im Internet die richtige Partei finden – ein stern-Ratgeber zur Europawahl:
Wer steht am Sonntag zur Wahl?
Auf dem Wahlzettel stehen nicht europäische, sondern die üblichen deutschen Parteien. Sie sitzen im Europaparlament in gemeinsamen Fraktionen mit Abgeordneten ihrer europäischen Schwesterparteien zusammen. Die CDU/CSU zum Beispiel mit der Forza Italia von Italiens Premier Silvio Berlusconi und mit britischen Euro-Skeptikern, die Grünen mit schottischen Nationalisten.
Um welche europäischen Themen geht es bei der Wahl?
Es gibt kaum echte europäische Themen - die Wahl wird auch von den Parteien eher als innenpolitisches Stimmungsbarometer angesehen. Neben der Diskussion über den EU-Beitritt der Türkei (s. Seite 58) sorgt allenfalls die geplante EU-Verfassung für Kontroversen. Die CSU findet, dass die Verfassung zu viel Macht in Brüssel zentralisieren würde. CDU, SPD und Grüne sind für den Text. FDP und PDS fordern eine Volksabstimmung.
Wo erfährt man mehr über die Europa-Absichten der Parteien?
Hilfreich ist der "Wahl-o-mat" der Bundeszentrale für politische Bildung. Dort kann jeder testen, wie seine Überzeugungen zu den EU-Programmen der deutschen Parteien passen und wo man sein Kreuzchen machen müsste: www.wahlomat.de. Das Gleiche gibt es für die europäischen Parteienbündnisse: www.votematch.net.
Gibt es europaweite Umfragen, wer die Wahlen gewinnen wird?
Ja, die meisten gehen davon aus, dass Christdemokraten und Konservative (1999: 37,2 Prozent der Sitze) abermals stärkste Fraktion werden und vielleicht sogar noch zulegen. Die Sozialdemokraten (1999: 28,8 Prozent) dürften stabil bleiben. Verlierer drohen europaweit die Grünen (1999: 7,7 Prozent) zu werden. Sie leiden darunter, dass sie in den osteuropäischen Ländern schwach verankert sind.
Ist Brüssel demokratisch, oder ist die Wahl eher eine Farce?
Das Europaparlament bestimmt bei etwa 75 Prozent aller EU-Gesetze mit, aber viele elementare Parlamentsrechte fehlen der Vielvölkerkammer. So wird die EU-Kommission nicht vom Parlament gewählt. Stattdessen kungeln die Staats- und Regierungschefs die Frage aus, wer die Brüsseler Exekutive dirigiert. Das Europaparlament hat nicht einmal das Recht, neue Gesetze vorzuschlagen - das Initiativmonopol liegt bei der Kommission. Grotesk: Das EU-Parlament will dieses Recht nicht haben, weil damit angeblich die Kommission geschwächt würde.
Bringt es etwas, aus Protest gegen das EU-Demokratiedefizit nicht zu wählen?
Jetzt schon sind die EU-Politiker sehr besorgt, weil seit der ersten Direktwahl 1979 die Wahlbeteiligung stetig gefallen ist. In Deutschland haben vor fünf Jahren nur 45,2 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme abgegeben. Viele Umfragen sagen, dass sie noch weiter absacken könnte. Möglich, dass das dann einige zum Nachdenken bringt. Andererseits ist die Wahl die einzige direkte Einflussmöglichkeit, um verstärkt jene Abgeordneten ins Parlament zu entsenden, die sich für mehr Demokratie einsetzen.
Stehen auch Promis zur Wahl?
Ja. Die SPD hat den türkischstämmigen Reiseunternehmer Vural Öger aufgestellt, um ihre Kandidatenliste aufzufrischen. In Estland tritt das 25-jährige Supermodel Carmen Kass an. In Tschechien führt Ex-Pornodarstellerin Dolly Buster unter ihrem bürgerlichen Namen Nora Baumberger eine Splitterpartei an. Und der finnische Rallyefahrer und Europaabgeordnete Ari Vatanen (Wohnsitz: Monaco) geht als Kandidat der französischen Regierungspartei UMP an den Start.