Die Sommerinterviews von ARD und ZDF sind eine Institution im deutschen Fernsehen. Während der politische Betrieb in Berlin im Urlaub ist, werden die Vorsitzenden der im Bundestag vertretenen Parteien zu den großen Themen des Landes befragt. Große Themen, das heißt aktuell vor allem: Flüchtlinge und Migration. So ging es beim Interview der ARD mit CSU-Chef und Bundesinnenminister Horst Seehofer von 20 Minuten 18 Minuten lang nur um diesen Themenkomplex.
Beim Gespräch mit Alexander Gauland war das anders – zum Glück. Der Partei- und Fraktionsvorsitzende der AfD, der wie seine Parteikollegen regelmäßig durch Äußerungen zu Migranten provoziert, durfte diesmal nichts zur Flüchtlingsthematik beisteuern. Stattdessen wurde er von ZDF-Moderator Thomas Walde mit anderen aktuellen Fragen konfrontiert. Am Ende stand ein denkwürdiges Interview und ein politischer Offenbarungseid der AfD.
ZDF-Sommerinterview: Gauland und die AfD haben keine Antworten
Dabei musste Walde noch nicht einmal besonders hartnäckig nachhaken. Es reichte, Gauland nach den Standpunkten seiner Partei zu drängenden politischen und gesellschaftlichen Themen zu fragen. Klimawandel? "Man kann keine Lösungsvorschläge bringen." Gauland glaubt nicht, dass der Mensch zum Klimawandel "viel beitragen kann". Hat die AfD ein Rentenkonzept? "Nicht jetzt" – erst beim nächsten Parteitag. Digitalisierung? "Das kann ich nicht erklären." Bezahlbarer Wohnraum? "Eine Regulierungsmöglichkeit haben wir auch noch nicht gefunden."

Dabei darf man nicht vergessen: Die AfD ist die größte Oppositionspartei im Bundestag. Doch sobald es einmal nicht um Ausländer geht, gerät der AfD-Chef merklich ins Schwimmen. In Sachfragen bleibt er vage oder muss gleich Lücken im Programm seiner Partei eingestehen.
Das zeigt, wie der AfD und dem Rechtspopulismus im Allgemeinen beizukommen ist: auf nüchterne, sachliche und faire Art und Weise. Zu oft ist es der AfD gelungen, die öffentliche Diskussion nach ihrer Agenda zu gestalten. Sie zieht die anderen Parteien auf ihr Niveau und bringt sie dort in Erklärungsnot. Anders herum aber funktioniert das Prinzip auch.
Nicht die Flüchtlingspolitik ist das wichtigste Thema in Deutschland
Wenn man nämlich ganz ehrlich ist, hat sich das Leben der allermeisten Menschen in Deutschland durch den Zustrom der Flüchtlinge in den vergangenen Jahren nur minimal verändert. Die meisten Bürger beschäftigen andere Themen, die sie im Alltag betreffen: Wohnungsnot, die Sicherheit des Arbeitsplatzes, die Zukunft der Rente. Der "ARD-Deutschlandtrend", eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Infratest dimap, ergab Ende Juli, dass 69 Prozent Gesundheitspolitik und Pflege für den wichtigsten Politikbereich hielten. 64 Prozent gaben der Renten- und Sozialpolitik die höchste Priorität, 52 Prozent die Klimapolitik. Exakt zu diesen Themen kann die AfD keinerlei Antworten anbieten.
Die Asyl- und Flüchtlingspolitik hielten in der Umfrage nur 39 Prozent der Befragten für die wichtigste Frage. Die öffentliche Debatte vermittelt einen anderen Eindruck – das liegt vor allem an der Themensetzung der AfD. Das beschert Gauland und seinen Parteigenossen weiter großen Zulauf. Es ist absurd: Die AfD braucht das, was sie am meisten bekämpft, am dringendsten für ihre politische Strategie.
Alexander Gauland und die AfD haben sich mit dem Sommerinterview selbst entlarvt. Wenn es um die drängenden Fragen abseits der Flüchtlingspolitik geht, hat die selbsternannte "Alternative für Deutschland" keine Alternativen. Sie bestaunt maximal das Problem. So lässt sich keine verantwortungsvolle Politik machen.
Das ZDF-Sommerinterview mit AfD-Chef Alexander Gauland können Sie in der Mediathek des Senders nachsehen.
