Generalaussprache im Bundestag "So schlecht wurde seit Jahrzehnten nicht regiert"

Scharfe Worte von SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier: In der Generaldebatte im Bundestag warf er Angela Merkel Versagen vor. Die Kanzlerin ließ die Kritik an sich abperlen.

SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier hat die Generalaussprache im Bundestag für scharfe Angriffe gegen die schwarz-gelbe Koalition genutzt. "So schlecht wurde Deutschland seit Jahrzehnten nicht regiert", sagte Steinmeier am Mittwoch in Berlin. Er warf der Regierung aus Union und FDP vor, sie sei zerstritten und verspiele das Vertrauen der Bürger. Das angebliche Wunschbündnis habe kein einziges überzeugendes Projekt, kritisierte Steinmeier. Von einer Liebesheirat könne keine Rede sein. "Sie stehen vor den Trümmern einer zerrütteten Ehe. Und jeder sieht das."

Steinmeier griff Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) auch direkt an: "Frau Merkel, Sie sind dafür verantwortlich, dass die Regierung ihre Aufgaben nicht übernimmt."

Insbesondere kritisierte der SPD-Politiker die geplante Rekordneuverschuldung von 80,2 Milliarden Euro in diesem Jahr. Diese Kredite belasteten jeden einzelnen Bürger. Damit werde der Steuerzahler "für die Gier der Banken- und Hedge-Fonds-Manager zur Kasse gebeten". Vehement forderte Steinmeier zudem einen gesetzlichen Mindestlohn und wandte sich gegen die Forderung der FDP nach einer Kopfpauschale im Gesundheitssystem.

Merkel: "Es wird nicht einfach"

Direkt nach Steinmeiers Rede trat die Kanzlerin ans Mikrofon. Sie äußerte sich zu vielen Themen, ging auf die Angriffe Steinmeiers aber kaum ein. Die SPD kritisierte sie lediglich zweimal: In der Sozialpolitik warf sie den Sozialdemokraten eine Kehrtwende vor, die mit ihren Vorschlägen zu Hartz IV eine "Rolle rückwärts" machten. "Sie hätten dabei bleiben können, was sie immer gesagt haben", sagte Merkel. Die SPD habe es versäumt, ihren Anhängern zu erklären, dass die Hartz-IV-Reformen auch für mehr Beschäftigung gesorgt haben.

Einen Rüffel gab es von der Kanzlerin zudem in Bezug auf die jüngste Kritik an Bundespräsident Horst Köhler, weil der sich in letzter Zeit mit öffentlichen Äußerungen stark zurückgehalten hatte. "Die Opposition und speziell die SPD könnten dem gesellschaftlichen Klima einen guten Dienst erweisen, wenn sie dafür sorgen würden, dass unserem Staatsoberhaupt der notwendige Respekt entgegengebracht wird", sagte Merkel.

Ferner betonte die Kanzlerin, dass Deutschland in naher Zukunft zahlreiche Probleme lösen müsse. "Es wird nicht einfach", sagte Merkel. Die Regierung müsse "eigentlich Unvereinbares zusammenbringen", beispielsweise den Haushalt konsolidieren und zugleich Wachstum schaffen. Merkel verteidigte ihre Pläne für die bisher größte Neuverschuldung in der Geschichte der Bundesrepublik, weil die Krise weiter bekämpft werden müsse. Zugleich stärkte sie Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) den Rücken, der in den nächsten Jahren einen strikten Sparkurs durchsetzen will. In diesem Zusammenhang kritisierte sie die bisherigen, zu hohen Ausgabenwünsche der einzelnen Ministerien für das nächste Jahr.

Kritik von Grünen und Linkspartei

Die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Renate Künast, hat der schwarz-gelben Koalition eine "Politik der leeren Hände" bescheinigt. "Auf dieser Regierung liegt ein dunkler Schatten, nämlich der von Ideenlosigkeit und Klientelpolitik", sagte Künast. Sie forderte, mehr ökologische Akzente zu setzen, etwa für Elektroautos. Außerdem forderte sie einen Mindestlohn und mehr Investitionen in Jobs und soziale Gerechtigkeit.

FDP-Fraktionschefin Birgit Homburger sieht die schwarz-gelbe Koalition dagegen trotz der schwelenden Streitigkeiten uneingeschränkt arbeitsfähig. Der Haushalt 2010 sei ein "Dokument der Handlungsfähigkeit und auch der Entschlossenheit der Koalition", sagte sie.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick

Abonnieren Sie unseren kostenlosen Hauptstadt-Newsletter – und lesen Sie die wichtigsten Infos der Woche, von unseren Berliner Politik-Expertinnen und -Experten für Sie ausgewählt!

Der Fraktionsvorsitzende der Linken, Gregor Gysi, hat die SPD unterdessen aufgefordert, sich noch schneller von ihrer früheren Regierungspolitik abzuwenden. Er begrüßte die Beschlüsse der SPD zur Reform der Hartz IV-Gesetze und verlangte eine Rücknahme der Rente mit 67. Den Zustand der schwarz-gelben Koalition nannte Gysi "erbärmlich". "Deutschland ist inzwischen zum größten Niedriglohn- und Dumpinglohn-Sektor aller Industrieländer geworden", kritisierte er.

Prominente Rednerliste, exorbitante Schulden

Die Generaldebatte ist der Höhepunkt der Haushaltsberatungen im Bundestag. Regierung und Opposition nutzen die Aussprache über den Kanzleretat traditionell für einen grundsätzlichen Schlagabtausch über die Leitlinien der Bundespolitik. Die Rednerliste ist entsprechend prominent besetzt. Während die Debatten über Einzeletats wie Verkehr oder Verteidigung von den jeweiligen Fachpolitikern bestritten werden, treten in der Generaldebatte die führenden politischen Köpfe ans Rednerpult, also Kanzlerin und Fraktionsvorsitzende.

Nach derzeitigem Stand soll der Bund bis zum Jahresende 319,5 Milliarden Euro ausgeben dürfen. Das sind etwa 16 Milliarden mehr als vergangenes Jahr. Gut ein Viertel des Budgets wird mit neuen Schulden bezahlt.

Die Opposition im Bundestag hatte deshalb bereits am Dienstag die historisch hohe Neuverschuldung angeprangert und Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) mangelnden Sparwillen vorgeworfen. Die Neuverschuldung könnte um zehn Milliarden Euro sinken, doch Schwarz-Gelb verteile lieber Klientelgeschenke an reiche Erben, Hoteliers und Bauern, sagte der SPD-Experte Carsten Schneider.

Schäuble versicherte, die "exorbitant" hohe Kreditaufnahme werde in den nächsten Jahren schrittweise reduziert. Doch wie schon in den Monaten zuvor blieb der CDU-Politiker Details schuldig, wie er das Defizit im Haushalt bis 2016 um jährlich zehn Milliarden Euro senken möchte.

DPA
AFP/APN/DPA