Die Hauptstadt An Nikolaus ist Haushaltsgraus

Zur Kabinettssitzung am Nikolaustag gibt es einen Schoko-Nikolaus
Zur Kabinettssitzung am Nikolaustag gibt es einen Schoko-Nikolaus
© Maja Hitij / Getty Images
Auch dabei: Heintje, ein renitenter Juso-Chef und Markus Söder in seinem neuen Lieblingszelt.

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Liebe Leserinnen und Leser,

den folgenden Einstiegssatz kann ich Ihnen an einem 6. Dezember leider nicht ersparen: Als die Koalitionäre von SPD, Grünen und FDP heute morgen in ihre Schuhe schauten, lag immer noch kein neuer Haushalt drin. Selbst die Nüsse, die dafür noch zu knacken sind, hat der Regierung nicht der Nikolaus gebracht, sondern das Bundesverfassungsgericht hat sie Olaf Scholz, Robert Habeck und Christian Lindner schon vor drei Wochen vor die Füße geworfen.

Als ich ein kleiner Junge war, kam der Nikolaus noch zu uns ins Haus. Ich musste ein Lied vorsingen, um Geschenke zu bekommen und nicht in den Sack gesteckt zu werden. Mit etwa fünf Jahren wählte ich das Lied "Mama" von Heintje, einem Kinderstar aus Holland, der Ende der 60er Jahre schon das Deutsch sang, das Jahrzehnte später Rudi Carrell berühmt gemacht hat, und den von meinen jungen Berliner Kolleginnen und Kollegen wahrscheinlich niemand mehr kennt.

Ich sang also, schwenkte dazu die Arme im Rhythmus vor und zurück und begann schließlich in einer Mischung aus Rührung über das Lied und Angst vor dem Nikolaus zu weinen. Es gibt davon einen Super-8-Film, den ich aber unter Verschluss halte, solange ich noch als politischer Journalist ein wenig ernst genommen werden möchte, auch wenn der Film ins RTL-Programm gut passen würde.

Warum erzähle ich Ihnen das alles? Nun, weil der Nikolaussack, dem ich entkommen bin, das Problem der Koalition trefflich symbolisiert. Jahrelang hat sich Olaf Scholz wie ein Heiliger aufgeführt und erst als Finanzminister, dann als Kanzler ein Geschenk nach dem anderen präsentiert. Nichts war zu teuer, nichts unbezahlbar. Den Anforderungen an kindgerechtes Spielzeug wurden Bazooka und Doppelwumms zwar noch nie gerecht, aber erst das Bundesverfassungsgericht hat den Gebrauch der finanzpolitischen Wunderwaffen schließlich rigoros eingeschränkt.

Jetzt müssen SPD, Grüne und FDP einen neuen Etat zusammenschustern, was ihnen bislang nicht gelungen ist. Der Kanzler ist eben nicht der Nikolaus, und seine Koalitionsfreunde heißen nicht Ruprecht oder Krampus, sondern Robert und Christian, weshalb Scholz sie nicht wie Knechte nach Belieben rumschubsen kann. Wenn sich die drei nicht bald einigen, können sie übrigens – um im Bild zu bleiben – gleich in den Sack hauen.

Wir haben uns in den vergangenen Tagen mit vielen Aspekten der Haushaltskrise befasst. Wenn Sie sich auf den letzten Stand bringen wollen, empfehle ich Ihnen diesen Überblick, der zwar schon eine Nacht überlebt, aber nichts von seiner Aktualität verloren hat. Und wenn Sie wissen wollen, was alles passieren kann, wenn zwischen den drei Oberkoalitionären nichts passiert, sind Sie hier richtig.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Ein Dauerbrenner in den Diskussionen um Kürzungen im Etat war das Bürgergeld. Meinen Kollegen Jan Rosenkranz, der eigentlich ein sehr umgänglicher Mensch ist, hat diese Debatte so geärgert, dass er sich einen digitalen Zornesausbruch erlaubt hat, den Sie hier finden.

Und meine Kollegin Lisa Becke, die sich vor keinem noch so komplizierten sozialpolitischen Thema fürchtet wie ich vor dem Nikolaus, hat sehr verständlich aufgeschrieben, warum beim Bürgergeld für den Haushalt 2024 sowieso nichts mehr zu holen ist. Mit dem Ökonomen Achim Truger hat sie außerdem darüber gesprochen, warum Kürzungen an den Sozialausgaben vielleicht der Koalition beim Flicken von Haushaltslöchern helfen, dabei aber auch der Wirtschaft durchaus schaden können.

Wenn Sie nach all diesen Betrachtungen noch Lust haben, können Sie noch meine Kolumne lesen, in der ich mich mit der Frage befasse, warum Christian Lindner kein Wort so sparsam verwendet wie das Wort sparen.

PERSON DER WOCHE

Für Olaf Scholz ist die Lage besonders verzwickt, weil er am kommenden Freitag nicht nur auf den Tag genau zwei Jahre im Amt ist, sondern auf dem Parteitag der SPD auch auf Genossinnen und Genossen trifft, die angesichts schlechter Umfragewerte zu willenloser Gefolgschaft nicht mehr bereit sind. Einer, der den Kanzler hart angreifen dürfte, ist der neue Juso-Vorsitzende Philipp Türmer, der findet, dass Scholz sich jetzt mal an sein Wahlversprechen von mehr Respekt erinnern solle. Mein Kollege Florian Schillat ist mit Türmer durch den Berliner Schnee gestapft und hat den Quälgeist des Kanzlers näher kennengelernt: 

UND SONST SO?

Nikolaus ist Linke-Aus. Naja, noch nicht ganz, aber an diesem 6. Dezember hat sich die Fraktion der Linken im Bundestag aufgelöst. Die Abgeordneten sitzen zwar weiter im Plenum – die größere Gruppe rund um Dietmar Bartsch, die kleinere Gruppe rund um Sahra Wagenknecht –, aber miteinander zu tun haben wollen sie nichts mehr. Wie man so eine Fraktion auflöst und wer das bezahlt, hat meine Kollegin Miriam Hollstein recherchiert.

LAUTER LIEBLINGE

Ihr Highlight der Woche…

… war das Interview, das meine Kollegen Gregor Peter Schmitz und Veit Medick mit Markus Söder geführt haben. 

Der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef muss sich in der Kanzlerkandidatendebatte der Union ähnlich fühlen wie Münchener Autofahrer nach den heftigen Schneefällen der vergangenen Tage: blockiert. Seine eigenen Chancen stehen derzeit nicht so gut, aber im Interview können Sie einiges darüber lesen, welche Fähigkeiten Söder vom geeigneten Kanzlerkandidaten erwartet. Die Schlüsse, ob er sich damit vielleicht doch noch selber meint, überlasse ich Ihnen.

Mein Highlight der Woche…

… war nochmal Markus Söder – und zwar in seinem Social Media-Gruß zum ersten Advent. Man sieht, wie der bayerische Ministerpräsident eine Kerze anzündet und es sich mit einer Tasse im Sessel gemütlich macht. Der Knaller ist allerdings das riesige Zelt mit weihnachtlichen Motiven, das Söder trägt wie andere einen Pullover. Ach, das ist ein Pullover? Oh, pardon!

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Ich wünsch Ihnen noch eine gute Woche!

Nicolaus Fried

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