Haushaltskrise Ein Hauch von Showdown: Scholz und die Suche nach dem Da-geht's-lang-Moment

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD)
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD)
© Michael Kappeler / DPA
Diskutiert sich die Ampel noch ein letztes Mal zusammen? Heute Nacht treffen sich die Koalitionsspitzen im Kanzleramt zur entscheidenden Runde im Haushaltsstreit. Das ist die Ausgangslage.

Immerhin, in dieser Hinsicht sind sich die Ampelkoalitionäre schon einig: Niemand hat die Absicht, sich in die Karten schauen zu lassen. Und auch worüber die drei Spitzenmänner sprechen, wird einfach nicht verraten. Ein Hauch von Koalitionsverhandlungen liegt in der Berliner Luft, nur dass es diesmal nicht nach Zitrusfrische durftet, sondern eher nach Spekulatius – herzlich willkommen im Ampel-Advent.

Das ist also die Ausgangslage vor der womöglich entscheidenden Runde in den Haushaltsverhandlungen. Spätestens morgen müsste sich die Koalition geeinigt haben, damit das Kabinett den Haushaltsentwurf beschließen kann, gerade noch rechtzeitig, um ihn noch in diesem Jahr unter Dach und Fach zu bringen. 

Prognose? Schwierig.

SPD-Generalsekretär Kühnert will Sozialstaat nicht preisgeben

Dienstagvormittag im Willy-Brandt-Haus. SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert hat zum Pressegespräch in die Parteizentrale geladen, in den Besprechungsraum "Kasino". Es soll um den Parteitag am Wochenende gehen, die künftigen Schwerpunkte der Sozialdemokraten. Aber in diesen Tagen ist einfach alles mit der Haushaltskrise verknüpft. Eine Frage, die dem obersten Parteistrategen daher in verschiedenen Variationen gestellt wird: Wie laufen die Verhandlungen?

"Es sitzt ein Generalsekretär vor Ihnen, der beide Szenarien vorbereiten muss, das gehört zum Job dazu", sagt Kühnert. Man findet eine Einigung bis zum Parteitag, der am Freitag in Berlin beginnt. Oder man findet eben keine Einigung. Noch wisse er nicht, sagt Kühnert, welches Szenario eintritt. Allerdings stimmt auch er in den Chor der Genossen ein, der seit Tagen unermüdlich tönt: Der Sozialstaat werde "weder im Ganzen noch in Teilen" preisgegeben. Das ist die Position der Partei. Aber auch der Regierung? 

Insbesondere das Bürgergeld steht im Zentrum der Spar-Debatte. Union und FDP wollen die geplante Erhöhung zum Jahreswechsel stoppen. Großes Einsparpotenzial böte das allerdings nicht, schon aus rechtlichen Gründen (mehr dazu lesen hier). Zur Sicherheit hat Bundesarbeitsminister Hubertus Heil, SPD, bereits den Deckel auf die Debatte gesetzt – wohl kaum ohne Segen des Kanzlers.

Öffnet Hubertus Heil eine Hintertür für Einsparungen?

Heil sagt aber auch: "Ich bin auch dafür, dass wir darüber diskutieren, wie wir den Sozialstaat zielgenauer machen können." Eine Hintertür für Einsparungen an anderer Stelle? Möglich.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Geht es nach Partei und Fraktion, soll auch für 2024 eine Notlage erklärt werden. Die Aussetzung der Schuldenbremse sei "kein Fetisch" der SPD, sagte Generalsekretär Kühnert. Allerdings fehle ihm "die Kreativität", wie die vielen Ampel-Vorhaben sonst finanziert werden könnten. In anderen Worten: Kürzen allein wird sicher nicht reichen.

Der Druck ist groß. Gelingt bis zum SPD-Parteitag am Wochenende keine grundsätzliche Einigung, dürfte Olaf Scholz in Erklärungsnot geraten. Sollte der Kanzler auch noch Einsparungen bei Sozialleistungen in Aussicht stellen, dürfte es noch ungemütlicher für ihn und seine Koalition werden. Der Unmut der Genossen dürfte sich dann in heiklen Anträgen widerspiegeln, die den Parteivorsitzenden und auch dem Kanzler fiskalische Fesseln anlegen könnten. Scholz spricht am Samstag vor den Delegierten. So oder so: Er hatte schon angenehmere Tage vor sich.

Zwei Leitplanken und keine Notlage

Aus Sicht der FDP ist die Lage ganz einfach. Es gibt zwei Bedingungen, die waren für die Liberalen immer unverhandelbar. Zwei Leitplanken, wie Finanzminister Christian Lindner gerne sagt. Erstens, keine Steuererhöhungen. Zweitens, die Schuldenbremse gilt.

Man darf aus der Reihenfolge der beiden Leitplanken eine gewisse Hierarchie lesen. Hart bleiben gegen Steuererhöhungen ist wichtiger als Rückgrat zeigen bei der Schuldenbremse. Aber nur ganz, ganz minimal wichtiger. Wer im Hochsteuerland Deutschland die Steuern erhöht, so die FDP-Sicht, schadet schließlich nicht nur der Wirtschaft, nein, er bringt auch Wähler gegen sich auf. Vor allem jene, die sich darauf verlassen haben, dass Liberale halten, was sie versprechen.

Die Schuldenbremse war da im Vergleich ein eher abstraktes Instrument, das man zwar stets richtig und wichtig fand, über das sich aber jenseits der Politik hauptsächlich Finanz-Nerds austauschen. Das Verfassungsgerichtsurteil hat diese Wahrnehmung geändert. Und wer sich für solide Staatsfinanzen feiern lässt, darf das nicht ignorieren. Entsprechend streng reagiert die FDP nun, wenn SPD und Grüne vorschlagen, für 2024 wegen des Ukraine-Kriegs noch einmal die Notlage auszurufen. Das will sie unbedingt vermeiden, das kann nicht die Lehre aus Karlsruhe sein.

Die FDP hofft auf eine Rentenreform

Was aber will die FDP? Auch ziemlich einfach: Kürzen, kürzen, kürzen. Das Haushaltsloch von 17 Milliarden Euro, so ist aus Partei- und Fraktionsführung zu hören, sei nun nicht so groß, dass man es nicht durch Sparmaßnahmen stopfen könnte. Einige Liberale möchten die Krise gleich als Chance verkaufen und endlich anschieben, wovor sich diese Regierung drücken wollte: eine umfassende Rentenreform. Reform heißt auch in diesem Fall, klar: kürzen. Auf Nachfrage, wo er denn genau zu sparen gedenke, hüstelte ein führender FDP-Koalitionär kürzlich kurz und kaum hörbar etwas wie "Rente mit 63". Konkreter wird’s nicht.

Nun ist auch den Liberalen klar, dass sie irgendwo Entgegenkommen zeigen müssen. Wo genau? Nun ja, schwieriges Thema, man merkt nur: Wo immer es Steuererleichterungen gibt, die ordnungspolitisch nicht wirklich gut begründbar sind, da zeigen sich einige Liberale inzwischen flexibel. So etwas zu korrigieren, heißt es dann, wäre ja keine Steuererhöhung im engeren Sinne.

Die Grünen steigen in den Boxring

Die Grünen hingegen haben vor allem eine Sorge: Dass nun alles, was auch nur nach Klimaschutz und Transformation riecht, gestrichen wird. Als wären sie die einzigen, die innerhalb der Koalition für diese Themen verantwortlich zeichnen, beklagt mancher Grüne. In Wahrheit ist es natürlich genauso, dass sich im Prinzip niemand so sehr dafür interessiert, wie sie selbst.

14 Milliarden Euro – so groß ist die Finanzlücke, die sich allein im Klima- und Transformationsfonds auftut, nur für das kommende Jahr. Für erste Auszahlungen an die privaten Heizungssanierer etwa oder für Förderbescheide an deutsche Stahlwerke, die sich unterstützt mit Staatsgeldern auf den Weg der Dekarbonisierung machen wollen. 

Umbau oder Abbau, das sei die Alternative, vor der zahlreiche Unternehmen aktuell stünden, warnte Wirtschaftsminister Robert Habeck vor zwei Wochen schon auf dem Grünen-Parteitag in Karlsruhe. Genau jetzt ginge es um eine Neuerfindung des Geschäftsmodells Deutschland. Da draußen tobt ein brutaler Wirtschaftskrieg, geführt mit unfassbar vielen Milliarden, aber wir Deutschen haben uns gerade selbst entwaffnet: "Mit der Schuldenbremse, wie sie ist, haben wir uns freiwillig die Hände auf den Rücken gefesselt und so ziehen wir in den Boxkampf."

Man kann sich die Stimmung leicht ausmalen, wenn in so einer Ampelverhandlungsrunde das große Habeck'sche Schlachtengemälde auf die aus seiner Sicht finanzpolitische Kleinkrämerseele Lindners trifft. Trotzdem betonen weiterhin alle Seiten unisono, dass das Vertrauen vorhanden sei.

Aber gut, Kleinklein, das können die Grünen auch: Fragt man die Fachpolitiker, fallen ihnen sofort diverse Dinge ein, die sie streichen würden, wenn man sie nur ließe. Immer genannt: die umweltschädlichen Subventionen. Auf 60 Milliarden Euro beziffert sie regelmäßig das Bundesumweltamt. Passenderweise die gleiche Summe wie im KTF steckt. Oder stecken sollte. Aber selbst Grüne weisen darauf hin, das auch der soziale Wohnungsbau auf der Liste stünde – wegen Beton und Flächenversiegelung. Und wenn sogar die Grüne Jugend darauf hinweist, dass man auch bei der Pendlerpauschale nicht mal eben Kahlschlag betreiben könne, wegen drohender sozialen Verwerfungen, spätestens dann weiß man: Einfach wird das alles nicht.