SPD, Grüne und Ausländervertreter riefen die Union am Sonntag zur Mäßigung auf und warnten vor Hysterie gegen Muslime. Der CSU-Parteitag in München hatte sich am Samstag einstimmig für eine Kürzung der Sozialleistungen für nicht integrationswillige Ausländer ausgesprochen. Ausländer müssten "unsere Leitkultur" vollständig akzeptieren. Ex-CDU-Chef Wolfgang Schäuble warnte die Union vor dem Begriff Leitkultur.
In dem CSU-Beschluss heißt es, die Verpflichtung zur Teilnahme an Sprachkursen müsse tägliche Praxis werden. Der CSU-Vorsitzende Edmund Stoiber verlangte eine Rückbesinnung auf das christliche Wertefundament der Gesellschaft. Es sei richtig, die christliche Prägung Deutschlands zu verteidigen. "Ja zu Offenheit und Toleranz, Nein zu islamistischen Kopftüchern", sagte Stoiber.
"Debatte brandgefährlich"
Der Grünen-Vorsitzende Reinhard Bütikofer kritisierte die CSU-Debatte in Speyer als "brandgefährlich". "Mein Leitbegriff ist der einer multikulturellen Demokratie." Diese Vielfalt in Deutschland müsse weiter entwickelt werden. Co-Vorsitzende Claudia Roth sagte der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung", "in der Union sind da offensichtlich andere Motive vorhanden als das Bemühen um eine wirkliche Integration der Ausländer". SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz sagte dem "Tagesspiegel", Integration lasse sich "nicht im Feldwebelton befehlen".
Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) machte sich für einen Dialog der Kulturen stark. Schröder sagte bei der Verleihung des Toleranz-Preises in Berlin, der Gewaltausbruch zwischen Einheimischen und Muslimen in den Niederlanden zeige, dass die Debatte über die Werte notwendig sei. "Durch derartige Verbrechen dürfen sich die Menschen nicht in einen Kampf der Kulturen drängen lassen", warnte Schröder zugleich. Dem Integrationswillen der Deutschen müsse aber die Integrationsbereitschaft der Einwanderer gegenüberstehen. "Die vielen Muslime, die bei uns leben und leben wollen, dürfen nicht teilnahmslos beiseite stehen." Die Muslime müssten sich "zu unserer Rechtsordnung und unseren demokratischen Spielregeln" bekennen.
Auch der brandenburgische Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) forderte im "Spiegel" von Einwanderern die Übernahme der "deutschen Leitkultur". Die kulturelle und sprachliche Basis der Deutschen dürfe von Ausländern nicht "zerstört" werden. Schäuble lehnte in der "Bild am Sonntag" eine Debatte "über den missverständlichen Begriff der Leitkultur" hingegen ab. Nach Ansicht der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel ist "die Idee der multikulturellen Gesellschaft dramatisch gescheitert".
Demonstration für Toleranz
In Köln traten am Sonntag mehrere tausend Menschen mit einer Demonstration der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (Ditib) für Toleranz ein. Die Ausländerbeauftragte der Bundesregierung, Marieluise Beck, sagte zu den Teilnehmern, Konflikte der Integration müssten angesprochen werden. Allerdings dürften die Erfolge im Zusammenleben nicht mit Worten zerstört werden.
Der Jüdische Kulturverein Berlin warnte vor einer aktuellen Hysterie gegen Muslime: "Dumpf und zerstörerisch wird eine Islam- Feindschaft hoffähig geredet." Der türkische Botschafter in Berlin, Mehmet Ali Irtemcelik, sieht die Muslime als Bevölkerungsgruppe zu Unrecht "auf der Anklagebank". Es werde "verantwortungslos zugespitzt". Nur drei bis vier Prozent der Türken in Deutschland könne man zu den Islamisten rechnen.