Juschtschenko im Bundestag "Die Ukraine ist ein europäischer Staat"

Die Mission des ukrainischen Präsidenten Viktor Juschtschenko heißt Europa. In seiner Rede vor dem Bundestag appellierte er an die Abgeordneten, die Ukraine bei ihrem Streben zu unterstützen - und erntete stehende Ovationen.

In seiner Rede vor dem Plenum des deutschen Bundestags in Berlin hat der ukrainische Staatspräsident Viktor Juschtschenko am Mittwoch für eine Annäherung seines Landes an die Europäische Union geworben. "Ich sehe die Ukraine in nicht allzu ferner Zukunft im vereinten Europa", sagte er. Nach seiner Rede erhoben sich die Abgeordneten und spendeten stehend Beifall.

Juschtschenko hat ein klares Programm. Auch bei seiner Ansprache im Reichstag wiederholte er die Kernbotschaften seines zweitägigen Besuchs in Berlin: Der Machtwechsel war erst der Anfang der Umwälzung in der Ukraine. Der Demokratierisierungsprozess wird forgesetzt und dazu bedarf es der Westbindung. Die Ukraine muss in die Bündnisse und Organisationen – von der EU bis hin zur Welthandelsorganisation WTO - aufgenommen werden. Für diese Ziele setzt der Präsident seinen Ruf als entschlossener Reformer und Kopf der "Revolution in Orange" ein.

Konsequente Reformen versprochen

Juschtschenko bemühte sich in seiner 30-minütigen Rede, die Bedeutung Deutschlands für sein Land hervorzuheben. Die Deutschen seien für ihn immer noch der Motor der europäischen Integration. Deshalb rechne er besonders mit Hilfe aus Berlin, wenn es darum gehe, die Ukraine in die europäischen Strukturen zu integrieren, sagte er. "Die Ukraine ist ein europäischer Staat und soll Teil des vereinigten Europas sei". Auf dem Weg hin zu mehr Demokratie und Rechtsstaatlichkeit versprach er einen konsequenten Reformkurs. "Wir haben den politischen Willen, diese Veränderungen durchzuführen", sagte er.

Den Abgeordneten des Bundestags dankte er für die Unterstützung der "Revolution in Orange"und erinnerte an die zentrale Rolle, die die deutsche Wiedervereinigung für den Zusammenbruch der Sowjetunion und die Unabhängigkeit der ehemaligen Sowjetrepubliken gespielt habe. Juschtschenko sagte zudem, dass mit Johann Gottfried Herder ein deutscher Dichter schon sehr früh auf die Zugehörigkeit der Ukraine zu Europa hingewiesen habe. "Die deutschen Denker haben das Europäertum der Ukraine am besten verstanden", sagte er.

Sonderstellung der Deutschen

Unter den EU-Staaten haben die Deutschen eine herausragende Bedeutung für den Mann aus Kiew. Deutschland ist nach Russland der zweitwichtigste Handelspartner der Ukraine, in der EU hat es erheblichen Einfluss und zudem verfügt Bundeskanzler Gerhard Schröder über hervorragende Kontakte zu Russlands Präsident Wladimir Putin, der die Strategie der ehemaligen Sowjetrepublik kritisch beäugt. Ausdrücklich ging Juschtschenko auf mögliche Folgen der Visa-Affäre ein, die seinen gesamte Besuch überschattet.

"Unterstützen Sie die ukrainische Jugend, die Studenten, Journalisten, Künstler und Geschäftsleute bei ihrem Bestreben nach Kommunikation - unterstützen Sie die Liberalisierung des Visa-Wesens für diese Kategorien von Ukrainern", sagte er. Zuvor hatte Bundestagspräsident Wolfgang Thierse verdeutlicht, dass die Visa-Affäre nicht zu einer pauschalen Verurteilung von Ukrainern führen dürfe, die nach Deutschland reisen.

Vor der Rede im Bundestag war Juschtschenko mit Bundeskanzler Gerhard Schröder zusammengetroffen. Auch dort war es um die Aufnahme der Ukraine in die EU und die WTO gegangen. Schröder hatte sich ausweichend zu einem EU-Beitritt geäußert. "Wir unterstützen den Wunsch der Ukraine, von der Europäischen Union bald einen Marktwirtschafts-Status zu erhalten", sagte er. "Und selbstverständlich unterstützen wir den Beitritt der Ukraine zur WTO." Schröder sagte jedoch auch, dass er bei diesem bilateralen Treffen nicht, an der EU-Kommission und den anderen Mitgliedsstaaten vorbei, über konkrete Termine reden wolle. Für eine verbesserte wirtschaftliche Zusammenarbeit regte er die Gründung einer hochrangigen deutsch-ukrainischen Expertengruppe an.

Florian Güßgen