Urteil in Karlsruhe Wird die Bundestagswahl in Berlin wiederholt? Wer jetzt am meisten zittern muss

Kuppel des Reichstags mit dunklen Wolken.
Kuppel des Reichtags: In Berlin könnte es zur Wiederholung der Bundestagswahl kommen.
© Jan Huebner / Imago Images
Am Dienstag entscheidet das Bundesverfassungsgericht, ob die Bundestagswahl in Berlin wiederholt werden muss. Was auf dem Spiel steht. 

Es ist erst einen Monat her, da stürzte ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts die Regierung in eine tiefe Krise: Unzulässige Haushaltstricks – höchstrichterlich bescheinigt – führten zu fehlenden Milliarden in diesem und den folgenden Jahren. Gerade ist ein Notkompromiss samt zahlreicher Einsparmaßnahmen mit heißer Nadel gestrickt, da richtet sich der Blick der Berliner Politik schon wieder ängstlich nach Karlsruhe

Dort entscheiden die Richterinnen und Richter am Dienstag über eine weitere Klage der Opposition: Es geht darum, inwiefern die Bundestagswahl aus dem Jahr 2021 in Berlin neu durchgeführt werden muss – der Grund sind zahlreiche Pannen am Wahltag. Dass es da Probleme gab, sehen eigentlich alle so. Mehr als 1700 Einsprüche wurden gegen die Wahl erhoben, unter anderem vom damaligen Bundeswahlleiter selbst. 

Deshalb legte der Bundestag mit seiner Regierungsmehrheit von SPD, Grünen und FDP fest: Die Bundestagswahl soll in 431 der 2257 Berliner Wahlbezirke, also etwa einem Fünftel, wiederholt werden. Doch reicht das? Nein, denken CDU und CSU. Die Unionsfraktion geht davon aus, dass die Wahl in noch mehr Bezirken wiederholt werden sollte und zog deshalb, wie schon beim Haushalt, vors Gericht. Bekommt sie Recht, wäre das die zweite Niederlage in Karlsruhe für die Ampel innerhalb kürzester Zeit. Wie schlimm kann es kommen? Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Muss die Bundestagswahl in Berlin wiederholt werden? 

Es ist zumindest eine theoretische Möglichkeit: Die Karlsruher Richterinnen und Richter könnten von der Entscheidung des Bundestags abweichen und festlegen, dass die Wahl überhaupt nicht wiederholt werden muss. Das halten Expertinnen und Experten jedoch für unwahrscheinlich. 

Viel eher wird es wohl darum gehen, in welchem Maß es zur Wahlwiederholung kommt: Reicht der von den Ampelfraktionen festgelegte Umfang aus oder muss in noch mehr Bezirken neu abgestimmt werden? Genügt es, die Zweitstimmen (mit denen für eine Partei gestimmt wird) neu abstimmen zu lassen oder muss die Bundestagswahl in Berlin komplett wiederholt werden? Die Unionsfraktion will, dass die Zweitstimmen für die Parteilisten in jener Hälfte der Berliner Wahlkreise neu abgegeben werden, in denen der damalige Bundeswahlleiter die Wahl angriff. Die Erststimmen für Direktkandidaten sollten in zwei Wahlkreisen erneut abgegeben werden.

Für wen wird es besonders kritisch?

Erklärt Karlsruhe alle Ergebnisse der Bundestagswahl in Berlin für ungültig, würden die rund 2,4 Millionen Berlinerinnen und Berlin erneut zur Abstimmung gerufen. Weil Berlin 2021 nur rund vier Prozent der Wahlberechtigten in ganz Deutschland stellte, dürfte es aber selbst in diesem Fall kaum Auswirkungen auf die Mehrheitsverhältnisse im Bundestag geben. 

Berliner Abgeordnete aber, die ihren Wahlkreis vor zwei Jahren nur knapp gewonnen haben, könnten bei einer Wiederholung eine Niederlage einfahren und müssten dadurch aus dem Bundestag ausscheiden. Andere, die 2021 scheiterten, könnten nun doch noch ins Parlament einziehen.

Besonders harte Konsequenzen könnte es für die ehemalige Linksfraktion geben, die 2021 unter der Fünf-Prozent-Hürde blieb und nur deshalb in das Parlament einziehen konnte, weil sie drei Direktmandate holte, zwei davon in Berlin. Verlieren entweder Gregor Gysi oder Gesine Lötzsch bei der Wiederholungswahl ihr Direktmandat, würden alle 39 Abgeordneten ihre Mandate verlieren – inklusive der zehn Abtrünnigen um Sahra Wagenknecht.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Experten sind sich uneins, wie wahrscheinlich dieses Szenario ist. Aus Sicht des Staatsrechtlers Ulrich Battis, emeritierter Professor der Berliner Humboldt-Universität, ist es gut möglich: "Ich rechne damit, dass es zu einer Wiederholung der Bundestagswahl in ganz Berlin kommt", sagte er dem "Tagesspiegel". Die Verfassungsrechtlerin Sophie Schönberger von der Universität Düsseldorf hingegen widerspricht: "Bei der Berlin-Wahl sind offenbar Fehler bei den Stimmzetteln aufgetreten, die für die Bundestagswahl so nicht zutreffen. Das könnte gegen eine vollständige Wiederholung der Bundestagswahl in Berlin sprechen", sagte sie ebenfalls dem "Tagesspiegel".

Was sie meint: 2021 wählten die Berlinerinnen und Berliner nicht nur einen neuen Bundestag, sondern auch ein neues Abgeordnetenhaus. Die Wahlen zum Abgeordnetenhaus wurden bereits am 12. Februar 2023 komplett wiederholt. Mit weitreichenden Folgen: Die CDU löste die SPD als stärkste Kraft im Land ab und führt seitdem die Landesregierung. 

Was ist das wahrscheinlichste Szenario? 

Am wahrscheinlichsten ist, dass am Ende nur ein Teil der Berlinerinnen und Berliner noch einmal zur Urne gebeten wird. Wie viele Stimmbezirke es betreffen wird, ist dabei die entscheidende Frage. Es ist denkbar, dass das Bundesverfassungsgericht das Begehren der Union zurückweist – dann käme es zu der Wiederholung, wie sie der Bundestag bereits beschlossen hat. 

Es kann jedoch auch sein, dass das Gericht die Zahl der Bezirke, in denen nochmals gewählt werden muss, verringert oder erhöht. Bei der mündlichen Verhandlung im Juli habe das Gericht sich nicht in die Karten blicken lassen, wohin es tendiert, sagte der Berliner Landeswahlleiter Stephan Bröchler dem "rbb". "Die Richterinnen und Richter des Zweiten Senats haben in alle Richtungen gefragt." Sicher wird man es also erst sagen können, wenn man das Urteil kennt: Um 10 Uhr am Dienstag soll es verkündet werden.

Wie geht es dann weiter? 

Davon hängt auch ab, wie die weiteren Abläufe sind. "Erst, wenn wir wissen, ob eine teilweise oder vollständige Wiederholungswahl vor uns steht, können eine Reihe elementarer Entscheidungen in Gang gesetzt werden", erklärte Landeswahlleiter Bröchler vor einigen Tagen. Festgelegt werden müsse dann beispielsweise die Zahl der Wahllokale sowie der Wahlhelferinnen und Wahlhelfer und die Menge der erforderlichen Stimmzettel. Für die Umsetzung blieben nach dem Urteil aus Karlsruhe 60 Tage Zeit, so Bröchler. Damit sei der 11. Februar 2024 der letztmögliche Wahltag.