Vielleicht hilft ein Blick in den Tuschkasten, um die verzwickte Angelegenheit etwas greifbarer zu machen. Wer Grün und Gelb miteinander vermischt, erhält: einen helleren Grünton. Je mehr gelb im Grün landet, desto satter, greller – und schließlich gelber – wird das Gemisch. Nur: Bis das Grün allmählich das Gelb preisgibt, braucht es viele gelbe Farbkleckse.
Nun kommt es auch in Regierungskoalitionen auf die richtige Mischung an. Und die FDP ist mit dem aktuellen Mischverhältnis offenkundig nicht zufrieden. Die Liberalen ringen um Wahrnehmung und Sichtbarkeit neben dem grünen Koalitionspartner, der im Ampel-Bündnis von SPD-Kanzler Olaf Scholz deutlich mehr Strahlkraft entfaltet. Folglich ist die FDP bemüht, vermehrt eigene (Farb-)Akzente zu setzen.
Wo Grüne und FDP im Clinch liegen
Dass es sie es nicht leicht miteinander haben werden, wussten beide Seiten. Nach den Bundestagswahlen kam den Parteien die Rolle der Kanzlermacher zu, ohne sie konnte praktisch keine Regierung gebildet werden. Und so galt es erst einmal zu klären, ob Grün und Gelb überhaupt zueinander passen.
Der damalige Grünen-Co-Chef Robert Habeck plädierte vor Koalitionsverhandlungen dafür, "dass die Parteien, die erstmal am weitesten voneinander entfernt sind, mal schauen, ob die das zusammen hinkriegen". Und das seien nun mal FDP und Grüne, sei man "in sozial-, steuer- finanzpolitischen Fragen wirklich konträr." Ähnlich sah man es offenbar in der FDP, die zunächst in "Vorsondierungen" mit den Grünen gehen wollte.
Nun regieren Grüne und FDP seit 194 Tagen im Ampel-Bündnis – und liegen bei immer mehr Themen über Kreuz:
Fracking-Verbot. Angesichts der Energiekrise will die FDP das Verbot der Erdgasförderung in Deutschland durch das sogenannte Fracking auf den Prüfstand stellen. Wissenschaftliche Studien zeigten, dass Fracking "unter modernen Sicherheitsstandards keine relevanten Umweltschäden" verursache, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer Torsten Herbst zur "Welt am Sonntag", und forderte eine ernsthafte Prüfung, "ob eine größere Schiefergasförderung unter wirtschaftlichen und technischen Gesichtspunkten in Deutschland machbar ist." Die Grünen halten dagegen: "Fracking wird unsere aktuelle Situation keinesfalls lösen", sagte die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Julia Verlinden den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Auch Bundeswirtschaftsminister Habeck lehnte Fracking in Deutschland unlängst ab und verweist auf mögliche negative Folgen für die Umwelt sowie rechtliche Hürden.
Atomkraft. Abermals hat Bundeswirtschaftsminister Habeck sein Nein zur Atomkraft betont, eine Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke ausgeschlossen. In der Energiepolitik "schließen wir Atomkraft weiterhin aus", heißt es nicht zuletzt im Ampel-Koalitionsvertrag. Dennoch fragte FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai angesichts der "energiepolitischen Herausforderungen" in einem Interview mit der "Welt": "Können wir eine Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke kategorisch ausschließen?" Deutschland dürfte sich "einer Debatte nicht verschließen", forderte FDP-Chef Lindner. Die Grünen tun es trotzdem: Dort will man von einem Ausstieg aus dem Ausstieg nichts wissen. "Eine Laufzeitverlängerung lässt sich, wenn überhaupt nur mit Abstrichen bei der AKW-Sicherheit realisieren. Dies kommt für das Bundesumweltministerium, das für die nukleare Sicherheit zuständig ist, nicht infrage.", zitierte die "Bild"-Zeitung einen Sprecher von Umweltministerin Lemke.
Schuldenbremse. Lindner will sie ab 2023 einhalten, Grüne (und SPD) nicht zwingend. Wegen der gestiegenen Energie- und Lebensmittelpreise will Grünen-Co-Chefin Ricarda Lang die Bürger entlasten, die Einhaltung der Schuldenbremse sei dabei zweitrangig. "Die entscheidende Frage ist doch nicht, ob wir die Schuldenbremse auf Teufel komm raus aussetzen oder einhalten, sondern ob wir den Herausforderungen unserer Zeit gerecht werden", sagte sie der "Bild am Sonntag". Bundesfinanzminister und FDP-Chef Christian Lindner sagte dagegen: "Zur Bekämpfung der Inflation muss der Staat die Politik auf Pump beenden". Ab jetzt müsse das "Erwirtschaften des Wohlstands wieder wichtiger sein als das Verteilen", so Lindner in der "Welt am Sonntag".
Aus für den Verbrennungsmotor. Das EU-Parlament will das Aus des Verbrennungsmotors ab 2035 besiegeln, die EU-Mitgliedsstaaten müssen dem Vorschlag noch zustimmen – genauer gesagt deren Regierungen. Das Vorhaben "findet nicht unsere Zustimmung", ließ Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) prompt wissen. Auch Lindner äußerte sich kritisch. Die Aussagen der Liberalen stehen im Kontrast zu dem, was Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) noch im März in Brüssel gesagt hatte: Sie hatte sich im Namen der Bundesregierung ausdrücklich hinter die im vergangenen Jahr verschärften Klimaziele der EU-Kommission gestellt – was auch bedeute, mit Verbrennermotoren bei Pkw und Transportern bis 2035 abzuschließen.
Coronapolitik. Wie geht es nach dem 23. September weiter? Das Infektionsschutzgesetz läuft aus, in dem unter anderem Fragen zur Maskenpflicht geregelt werden können. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will eine mögliche Maskenpflicht ab Herbst vorbereiten, allerdings zum Unmut von Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP), der zuletzt sogar den Nutzen anzweifelte. Lindner warnt vor "pauschalen Freiheitseinschränkungen", will die Ergebnisse einer Expertenkommission abwarten. Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne) mahnte, dass die Liberalen die Corona-Vorbereitungen "nicht wieder bremsen" dürften. "Ich empfehle den Grünen, zu einer faktenbasierten Politik zurückzukehren, statt weiter eine angstbasierte Politik zu betreiben", schoss FDP-Vize Wolfgang Kubicki zurück.
Übergewinnsteuer. Die Spritpreise sind trotz Steuersenkung vielerorts nur vorübergehend gesunken, Mineralölkonzerne stehen in der Kritik. Sollten ihre "Übergewinne" über eine zusätzliche Abgabe auf die Extraprofite durch den Ukraine-Krieg abgeschöpft werden? Bundeswirtschaftsminister Habeck hält das für überlegenswert. "Ich finde es richtig, nicht jeden Gewinn zu akzeptieren", sagte er zu RTL. "Vom Krieg zu profitieren, das gehört sich eigentlich nicht." Lindner sagt: Wird es mit mir nicht geben. "Es besteht die große Gefahr, dass das Gegenteil von dem erreicht wird, was die BefürworterInnen und Befürworter wollen", so Lindner. Seine Sorge sei, dass eine "willkürliche Steuererhöhung" für eine einzelne Branche dazu führe, dass es am Ende in Deutschland teurer werde.
Die einen profitieren, die anderen wollen sich profilieren
Konnten die Grünen vom Ampel-Bündnis bislang profitieren, versucht sich die FDP nun zu profilieren. Laut aktuellem RTL/n-tv-Trendbarometer konnten die Grünen seit der Bundestagswahl acht Prozentpunkte in der Wählergunst zulegen (von 14,8 auf 23 Prozent), während die Liberalen an Zustimmung verlieren (von 11,5 auf acht Prozent). Allein: Bei einer Insa-Umfrage für die "Bild am Sonntag" gaben 41 Prozent der Bundesbürger an, dass die Grünen ihrer Meinung nach den Ton in der Ampel angeben. 28 Prozent sehen die SPD demnach als Taktgeber, nur elf Prozent die FDP.
Die FDP dürfte nicht zulassen, dass es bei diesem Trend bleibt – und noch ein paar demonstrative Farbkleckse platzieren.