Es ist die größte Flüchtlingsbewegung innerhalb Europas seit dem Zweiten Weltkrieg: Der Angriff Russlands auf die Ukraine zwingt weiterhin unzählige Menschen dazu, ihre Heimat zu verlassen.
Seit Kriegsausbruch sind nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR) weit mehr als drei Millionen Menschen in Nachbarländer geflüchtet – die meisten davon Frauen und Kinder und Ältere. Behördenangaben zufolge überquerten bislang allein zwei Millionen Menschen die Grenze nach Polen. Viele von ihnen reisen aber von hier aus weiter in andere europäische Länder, auch nach Deutschland.
Es ist nicht ganz klar, wie viele Ukrainer bislang Schutz in der Bundesrepublik gesucht haben. Wie die Bundespolizei am Freitag unter Berufung auf das Innenministerium angab, sind es bisher fast 200.000 – täglich kämen zwischen 12.000 und 15.000 Menschen hinzu. Die meisten Vertriebenen erreichen zunächst die Großstädte München, Köln, Hamburg und Bremen. Besonders viele Menschen kommen offenbar in Berlin an. Die Hauptstadt hatte sich wiederholt beklagt, bei der Aufnahme der Vertriebenen zu wenig Unterstützung zu bekommen.
Der Ruf nach einer zügigen, effektiven Umverteilung wurde lauter. Die Bundesregierung hat auf Forderungen der Länder reagiert und plant jetzt eine Verteilung der Ukraine-Flüchtlinge nach dem sogenannten Königsteiner Schlüssel.
Königsteiner Schlüssel: Drei Bundesländer tragen den Löwenanteil
Der Name kommt vom 1950 beschlossenen Königsteiner Staatsabkommen, bei dem die damals zwölf Ministerpräsidenten im hessischen Königstein die Reihenfolge für die Wahl des Bundesratspräsidenten festgelegt haben.
Laut der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz (GWK), bei der "Bund und Länder alle sie gemeinsam berührenden Fragen der wissenschafts- und forschungspolitischen Strategien" beraten, ist der Königsteiner Schlüssel dazu gedacht, den Anteil der Bundesländer bei gemeinsamen Finanzierungen zu regeln – so eben auch die Unterbringung und Integration von Flüchtlingen.
Der Anteil der jeweiligen Bundesländer setzt sich demnach zu zwei Dritteln aus deren Steuereinkommen und zu einem Drittel aus der Bevölkerungszahl zusammen. Die GWK berechnet den Schlüssel jedes Jahr neu und veröffentlicht ihn im Bundesanzeiger. Laut dem Königsteiner Schlüssel für das Jahr 2019, dem die Daten von 2017 zugrunde liegen, tragen Nordrhein-Westfalen (21 Prozent), Bayern (15,5 Prozent) und Baden-Württemberg (13 Prozent) den Löwenanteil.

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick
Abonnieren Sie unseren kostenlosen Hauptstadt-Newsletter – und lesen Sie die wichtigsten Infos der Woche, von unseren Berliner Politik-Expertinnen und -Experten für Sie ausgewählt!
"Anpacken, nicht meckern": Innenministerin Faeser wehrt sich gegen Kritik der Länder
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sagte dem "Spiegel", seit vergangener Woche seien von den Ländern nicht mehr genug freie Unterkünfte gemeldet worden. Deshalb habe sich der Bund jetzt entschieden, den Königsteiner Schlüssel auf die Verteilung der Kriegsflüchtlinge anzuwenden. Zuvor hatte Faeser das Vorgehen der Bundesregierung gegen Kritik aus den Ländern verteidigt. "Wovon ich gar nichts halte, ist, wenn man in Krisen- und Kriegszeiten gegenseitig mit dem Finger aufeinander zeigt", sagte Faeser der neuen Ausgabe des Magazins "Spiegel". "Anpacken, nicht meckern, lautet da mein Motto."
Außerdem forderte Faeser eine gerechtere Umverteilung der Vertriebenen in Europa. Vor allem Polen, das "gerade Herausragendes" leiste, müsse entlastet werden. Das Ziel müsse eine Verteilung der Ukraine-Geflüchteten innerhalb Europas nach festen Quoten sein. Darauf arbeite sie mit Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) hin.

Ukrainische Flüchtlinge müssen weiterhin kein Asylverfahren durchlaufen
Die Staaten der Europäischen Union haben sich darauf verständigt, dass Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine aufgenommen werden, ohne einen Asylantrag stellen zu müssen. Sie erhalten erst einmal Schutz für ein Jahr, durch EU-Ratsbeschluss kann das auf bis zu drei Jahre verlängert werden. Anders als Asylbewerber müssen sie also nicht beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) vorstellig werden, um Schutz zu beantragen.
Ein Teil der Ankommenden hat sich aber bereits am Zielort bei der Ausländerbehörde gemeldet: etwa um staatliche Unterstützung zu erhalten, oder damit die Kinder zur Schule gehen können. Die Registrierung bei der Behörde ist auch notwendig für alle, die arbeiten wollen. Das Bamf ist dennoch beteiligt. Es hat in den vergangenen Tagen Geräte und Personal in Städte wie Berlin geschickt, wo besonders viele Flüchtlinge ankommen. Die Nürnberger Behörde soll helfen, damit die Ankommenden erkennungsdienstlich erfasst werden: es werden Fotos gemacht und Fingerabdrücke genommen.
mit dpa / AFP