Kein Witz. Es sind Crash-Tests, um die es geht an diesem Montag auf dem EU-USA-Gipfel in Washington. Crash-Tests. In Amerika. In Europa. Das hat Kanzlerin Angela Merkel selbst gesagt, in ihrem Podcast. Am Samstag. Diesseits und jenseits des Atlantiks gibt es unterschiedliche Crash-Test-Regeln für die Neuzulassung von Autos. Diese Regeln will man nun angleichen, um den Handel zwischen Amerika und Europa zu erleichtern.
Die Crash-Tests sind Teil der neuen von Merkel vorangetriebenen "transatlantischen Wirtschaftspartnerschaft", die auf dem Gipfel besiegelt werden soll. Nichttarifäre Handelshemmnisse will man so abbauen. Hurra! Aber das ist bei weitem nicht alles. Zusätzlich wollen USA und EU das Luftfahrtsabkommen "Open Skies" unterzeichnen. Es wird Fluglinien des Partners, so der Plan, erleichtern, Flüge in den Bereichen des jeweils anderen anzubieten. Auch das ist ein kleiner Schritt in Richtung eines gemeinsamen Marktes. Na Bravo!
Nicht weltbewegend, aber dennoch beachtlich
Nein, weltbewegend werden die Ergebnisse dieses Gipfels nicht sein. Verachten darf man sie trotzdem nicht. Es ist nämlich eine Leistung der EU-Vorsitzenden Merkel, überhaupt zählbare Ergebnisse aufweisen zu können. Denn man darf sich nicht täuschen lassen. Zwar ist die Tagesordnung mit allerhand Themen vollgestopft. Tatsache ist jedoch auch, dass bei fast keinem dieser Themen maßgebliche Fortschritte erwartet werden dürfen.
Die Liste der strittigen Themen ist lang
Nach wie vor knirscht und knarzt es im transatlantischen Verhältnis. Bei der Klimapolitik etwa wird sich wenig tun. Die EU hat gelobt, bis 2020 ihre CO2-Emissionen auf der Basis von 1990 um 20 Prozent zu verringern. Die USA wollen sich jedoch nicht auf Obergrenzen festzulegen. Deshalb wird auf dem Gipfel zwar eine gemeinsame Erklärung verabschiedet, aber ohne konkrete Verpflichtungen. Auch die Liste der weiteren strittigen Themen ist lang. Auf ihr steht der Streit um das geplante US-Raketenabwehrsystem, das vielen Europäern ein Dorn im Auge ist.
Auf der Liste steht auch die Auseinandersetzung um ein stärkeres Engagement der Europäer in Afghanistan. Dieses wünschen sich die USA. Viele Europäer, auch die Deutschen, stehen einen größere militärischen Engagement jedoch skeptisch gegenüber. Auch der Umgang mit dem US-Gefangenenlager Guantanamo auf Kuba ist weiter ein delikates Thema, ebenso wie die Verhandlungen über das Abkommen zum Austausch von Passagierdaten. Die USA fordern mehr als 30 Datensätze jedes Passagiers aus Europa, die Europäer haben mit der Weitergabe dieser Informationen Schwierigkeiten.
Auch der Wirtschaftspakt selbst ist Ergebnis eines sorgsam ausgehandelten Kompromisses: Das Ziel einer transatlantischen Freihandelszone, wie Merkel sie vor Augen hat, wollte man nicht festschreiben - auch weil man dadurch auch den ohnehin stockenden Verhandlungen der Doha-Welthandelsrunde noch geschadet hätte. Die Doha-Runde verhandelt den weltweiten Abbau von Zöllen, um Handel zu erleichtern.
Washington ist empfänglich
Trotz der Fülle von Streitfragen hat Merkel sich für eine Strategie der Harmonie per Crash-Test entschieden. Dabei ist der richtige Ansatz, auf niedrigem Niveau das Vertrauen zwischen den Europäern und den Amerikanern zu stärken, zunächst also dort, wo keiner schmerzhafte Zugeständnisse machen muss.

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Aus zwei Gründen. Zum einen muss Merkel der fast schon peinlichen Tatsache Tribut zollen, dass sie zwar die EU vertritt, aber sich die 27 EU-Mitglieder bei fast keiner außenpolitischen Frage einig sind. Das trifft etwa bei dem Streit um den Raketenschild zu. Will Merkel Europa als glaubwürdigen Partner präsentieren, tut sie gut daran, diese Vielstimmigkeit der Europäer nicht allzu offensiv ins Licht zu rücken, nicht allzu gewagte Versprechen zu machen.
Zum anderen ist es auch jetzt noch wichtig, nach dem Totalschaden, den der Streit um den Irakkrieg dem transatlantischen Verhältnis zugefügt hat, auf vertrauensbildende Maßnahmen zu setzen. Die Empfänglichkeit dafür ist in Washington gegeben, und das nicht nur, weil US-Präsident George W. Bush mit Merkel schlicht besser kann als mit Schröder. In den vergangenen zwei, drei Jahren haben auch andere Veränderungen das Weiße Haus auf einen neuen Kurs in der Außenpolitik gezwungen: Das Irak-Desaster, aber vor allem der Wahlsieg der Demokraten im vergangenen November.
Putin könnte für Einigkeit sorgen
Für Einigkeit könnte auf dem Gipfel zudem noch der russische Präsident Wladimir Putin sorgen, der gegenüber dem Westen in den vergangenen Tagen die Gangart verschärft hat. Putins Äußerungen, das KSE-Abrüstungsabkommen auszusetzen, dürfte der Gipfel jedenfalls einhellig verdammen. Auch die harte Ablehnung Moskaus einer möglichen Unabhängigkeit des Kosovos dürfte USA und Europäer einen, auch wenn einige südosteuropäische EU-Mitglieder es unverhohlen eher mit Moskau halten.
Gegenüber dem wütenden Putin kann die Kanzlerin, die die frappierende Nachsichtigkeit ihres Vorgängers Schröder gegenüber dem Russen aufgegeben hat, mit Bush auf dem Gipfel demonstrativ den Schulterschluss üben. Sie kann so einmal mehr unter Beweis stellen, dass das Bündnis der EU mit den USA für sie eine andere, tiefere Qualität hat als jede Partnerschaft mit Moskau, dass dieses Verhältnis, trotz aller Verwerfungen und Irrungen, den Kern des "Westens" darstellt - also jenes symbolischen Ortes, der für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit steht.
Ein wertvolles Geschenk
Es ist daher auch ein kluger Teil der Crash-Test-Harmonie-Strategie Merkels, dass sie die Inhaltsleere des Washingtoner Gipfels mit einer Geste wettmachen will, die noch einmal verdeutlicht, wie eng die USA und Europa verknüpft sind. Der Bibliothek des US-Parlaments, der "Library of Congress", übergibt die Kanzlerin am Montag offiziell die "Waldseemüllerkarte".
Diese umfassende Weltkarte hatte der deutsche Kartograph Martin Waldseemüller 1507 gezeichnet. Das Besondere daran ist, dass der soeben entdeckte Kontinent darauf erstmals als "Amerika" bezeichnet wurde. In einer Phase, in der Crash-Tests Vertrauen schaffen müssen, kann es viel bedeuten, wenn Merkel diese Karte nun in Washington lässt.